In Basel wird Licht in die Geschichte der Museumssammlung von Werken der Klassischen Moderne gebracht. Diese Geschichte ist auf komplizierte Art mit dem Nationalsozialismus kontaminiert. Dass Werke vor der Vernichtung gerettet wurden, ist ein Teil der Wahrheit.
Das Kunstmuseum Basel geht mit zwei Sonderausstellungen neue Wege. Es macht sich mit seiner eigenen Entstehungsgeschichte selber zum Gegenstand. Der Ruhm, 1939 einige grossartige Werke der Moderne vor den Schergen des Nationalsozialismus gerettet zu haben, wird durch die vertiefte Recherche kritisch untersucht. Zwar ist nicht zu leugnen, dass ohne den Ankauf des Museums bedeutende Werke verloren gegangen wären. Aber der geschichtliche Hintergrund des Ankaufs steht in dieser Ausstellung zum ersten Mal öffentlich im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Josef Helfenstein, der Direktor des Museums, schreibt in seiner Einleitung zum Katalog: «Was unter anderen Vorzeichen ein Höhepunkt der Sammlungsgeschichte und ein Anlass zum Feiern hätte sein können, kann auf Grund der historischen Situation, in der diese Ankäufe zustande kamen, aus heutiger Perspektive nur als höchst komplex beschrieben werden.»
«Entartete Kunst»
Wie kam das alles? 1936 wurde der Neubau und heutige Hauptbau eröffnet, dessen Bestimmung es war, moderne Kunst zu zeigen. 1939 ermöglichte ein Kredit der Basler Regierung, 21 bedeutende Werke der klassischen Moderne zu erwerben. Das war nur deshalb möglich, weil das Reichspropagandaministerium unter Adolf Hitler 1933 beschloss, Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Kubismus und Fauvismus als «nicht Deutsch» zu deklarieren. Arbeiten von Juden und Jüdinnen, so wie politisch motivierte Werke waren besonders betroffen. In der Folge wurden 21’000 Objekte beschlagnahmt.
Der Begriff «entartete Kunst» entstand 1937, als in München in den Hofgartenarkaden viele der beschlagnahmten Werke unter dem Titel «Entartete Kunst» gezeigt und in grotesker Weise der angeblich wahren «Deutschen Kunst» gegenübergestellt wurden. Letztere wurde dem Publikum in der gleichzeitig eröffneten Ausstellung «Erste Grosse Deutsche Kunstaustellung» im Haus der Deutschen Kunst vorgestellt. Der Begriff «Entartung» war vom jüdischen Arzt und Schriftsteller Max Nordau (1849–1923) geprägt worden. Für ihn war moderne Kunst eine Entartung, die im Urheber liegen musste. Die Nationalsozialisten setzten den Begriff «Entartung» bald mit «Judentum» gleich.
Um an Devisen zu kommen, entschieden die Nazis, 780 Gemälde und 3’500 Papierarbeiten als «international verwertbar» einzustufen. Der damalige Direktor des Basler Museums, Georg Schmitt, wurde von Hildebrand Gurlitt und Karl Buchholz nach Berlin gebeten, um Werke, die ihn besonders interessierten, auszuwählen. 1939 wurden dann 125 Werke in einer Auktion bei Theodor Fischer in Luzern versteigert. Viele der «nicht verwertbaren» Werke wurden übrigens 1939 in Berlin verbrannt.
Es sind diese zeitgeschichtlichen Umstände, unter denen das Kunstmuseum Basel 1939 die 21 Werke ersteigern konnte. Die Ausstellung zeigt minutiös, wie Direktor Schmitt die Basler Regierung bearbeitete und schliesslich überzeugen konnte, einen Kredit von 50’000 Franken zu gewähren, um in Luzern mitbieten zu können. Die anderen Werke gingen an andere Institutionen. Die Ausstellung ist bemüht, dem Schicksal der zur Versteigerung freigegebenen Werke nachzugehen, sie zu lokalisieren und zu beschreiben, wenn möglich auch zu zeigen.
Der Fall Curt Glaser
Parallel zu «Zerrissene Moderne» zeigt das Museum den Leidensweg von Curt Glaser (1887–1943), der vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten wurde. 1933 erwarb das Kunstmuseum Basel von ihm 200 Zeichnungen und Druckgrafiken für das Kupferstichkabinett. Ebenso erstand das Kunsthaus Zürich sieben Gemälde aus Glasers Sammlung, die dieser vor seiner Emigration dem Kunsthaus in Obhut gegeben hatte.
Curt Glaser ist einer der vielen jüdischen Intellektuellen, deren Lebensbahnen plötzlich abgeschnitten wurden. Glaser promovierte 1902 in Medizin und begann dann das Studium der Kunstgeschichte, das er 1907 ebenfalls mit einem Doktorat abschloss. 1924 bis 1933 war er Direktor der Berliner Kunstbibliothek, bis er von den Nationalsozialisten erst freigestellt, dann entlassen wurde. Als Privatperson und Kunstliebhaber erstand er grossartige Werke, meist von Künstlern der Moderne, die er auch persönlich kannte. So entstanden Portraits von ihm selbst und seiner Frau von Edvard Munch, mit dem er besonders befreundet war.
Glaser emigrierte erst in die Schweiz, dann nach Italien, schliesslich nach New York. Das Museum zeigt minutiös, wie das Leben Glasers mit Basel in Berührung kam. Da sind viele Briefe, Bücher, Texte, und selbstverständlich auch die Werke, die einst in seiner Wohnung beherbergt waren. Es ist eine traurige Biografie, das erschütternde Zeugnis einer Zeit, für die es kaum Worte gibt.
Kunstmuseum Basel:
Zerrissene Moderne – Die Basler Ankäufe «entarteter Kunst»
und
Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten
Bis 19. Februar 2023
Kataloge:
Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst, Hg. Eva Reifert, Tessa Rosebrock, Hatje Cantz Verlag Berlin 2022
und
Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten, Hg. Anita Haldemann, Judith Rauser, Deutscher Kunstverlag Berlin 2022