In der nordirakischen Stadt Mosul soll ein „Staatsstreich“ fehlgeschlagen sein. Dies berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Seit Juli 2014 wird die Metropole Mosul von Kämpfern des „Islamischen Staats“ (IS) beherrscht.
Reuters bezieht sich auf fünf Gewährsleute, die die Agentur per Telefon erreicht hatte. Danach sollen sich 58 IS-Mitglieder unter der Führung eines Stellvertreters des „Kalifen“ Bagdadi gegen Bagdadi aufgelehnt haben. Sie sollen Waffen zusammengetragen und an einem geheimen Ort gehortet haben. Stattfinden sollte die Auflehnung offenbar während der erwarteten Grossoffensive der Regierungskräfte gegen Mosul – oder schon früher. Doch die Verschwörung wurde entdeckt.
Verräterisches Handy
Auf einem Handy eines der Verschwörer seien Hinweise auf ein Waffenversteck gefunden worden, berichten die Gewährsleute der Agentur Reuters. „Im Verhör“, das heisst wohl „unter Folter“, habe der Besitzer des Handys die übrigen Waffenverstecke und offenbar auch die Namen der Mit-Verschwörer preisgegeben.
Danach seien alle 58 Verschwörer in der vergangenen Woche ertränkt und in einem Massengrab verscharrt worden. Den Verwandten der Hingerichteten sei nicht erlaubt worden, die Leichen selbst zu begraben. Die IS-Führung habe anschliessend die Sonderausweise der Getöteten eingezogen. Damit sollte verhindert werden, dass sie von andern bei der Flucht aus Mosul benutzt würden. Reuters wollte keine Namen der Ertränkten preisgeben, um nicht weitere Personen zu gefährden. Hisham al-Hashmi, der IS-Spezialist der irakischen Regierung, hat diese Vorgänge bestätigt.
Wann beginnt die Offensive?
Aus Bagdad verlautet, die seit Monaten geplante und angekündigte Grossoffensive gegen Mosul werde noch vor dem 20. Oktober beginnen. Eingesetzt würden ein Grossteil der regulären irakischen Truppen, Sondereinheiten zur Terrorbekämpfung, Milizangehörige von schiitischen und von sunnitischen Kampfgruppen sowie kurdische Einheiten. Unterstützt wird die Offensive offenbar von etwa 500 Mann einer US-Spezialeinheit. Auch Kampfflugzeuge der von den USA geleiteten Koalition sollen zum Einsatz kommen.
Streit gibt es wegen türkischen Armee-Einheiten, die in Bashiqa unweit von Mosul auf irakischem Boden stationiert sind. Die Türken sagen, sie seien von der kurdischen Führung „eingeladen“ worden. Kurdische Soldaten kontrollieren die Front bei Bashiqa.
Doch Bagdad fordert den sofortigen Abzug der Türken. Die türkischen Soldaten befänden sich „illegal“ auf irakischem Boden. Schiitische Milizen drohen sogar, sie mit Waffengewalt zu vertreiben. Die türkische Regierung entgegnet, sie sei entschlossen, sich an der Offensive auf Mosul zu beteiligen.
Der IS gräbt sich ein
In Mosul selbst hat sich der „Islamische Staat“ nach üblicher Methode eingegraben und auf die Offensive vorbereitet. Unterirdische Gänge wurden gegraben, Strassen und Wege wurden vermint. An exponierten Orten wurden Sprengstofffallen angebracht.
Der IS setzt auch verminte Drohnen ein. Kürzlich schossen die Kurden eine Drohne ab, die über ihrem Gebiet kreiste. Als kurdische Soldaten die Trümmer untersuchen wollten, explodierte der Sprengstoff und tötete zwei Soldaten.
Flüchtlingsstrom
Die Offensive auf Mosul wird wohl einen riesigen Flüchtlingsstrom auslösen. Schon die Rückeroberung der Städte Ramadi (im letzten Februar) und Falludscha (in diesem Sommer) hat Zehntausende Zivilisten in die Flucht getrieben. Jetzt rechnet man damit, dass die Kämpfe um Mosul einen fünf Mal gewaltigeren Flüchtlingsstrom auslösen als damals in Ramadi und Falludscha.
In der einstigen Zwei-Millionen-Stadt Mosul leben heute offenbar immer noch eine Million Menschen. Nur wenigen gelingt zurzeit die Flucht aus der Stadt. Der Weg hinaus führt nur über Schleichpfade. Die grösseren Wege sind vermint. Wer flüchten will, zahlt zwischen 600 und 1'000 Dollar Bestechungsgeld.
Vor einer humanitären Katastrophe
Mosul könnte schon bald vor einer riesigen humanitären Katastrophe stehen. Davor warnen die internationalen Hilfsorganisationen. Sollte es wirklich zu einer Massenflucht kommen, seien mindestens eine Milliarde Dollar nötig, um die Flüchtlinge in Lagern unterzubringen und sie über den Winter hinweg notdürftig zu versorgen.
Doch den Hilfswerken fehlt das Geld dazu. Sie erklären, sie seien bereits überbeansprucht. Noch immer unterhalten sie Zehntausende Flüchtlinge aus Ramadi und Falludscha. Die aus Ramadi Geflüchteten sind jetzt dabei, nach und nach in ihre zerstöre Stadt zurückzukehren. Eine Rückkehr nach Falludscha ist noch immer nicht möglich, weil die Zufahrtswege vermint sind.
Schlechtes Geld für gutes Geld
Dem IS in Mosul geht offenbar das Geld aus. Schon zum zweiten Mal versuchen IS-Kämpfer die Bevölkerung zu erpressen, um an Gelder heranzukommen. Die Menschen werden aufgefordert, das bisher gültige Geld umzutauschen.
Gültig sei jetzt nur noch eine neue Währung, die der „Islamische Staat“ herausgibt. Es ist bereits das zweite Mal, dass der IS in Mosul eine neue Währung verordnet.
Belagertes Hawidscha
Vor Beginn der Offensive auf Mosul will die irakische Armee offenbar die sunnitische Kleinstadt Hawidscha erobern. Die Stadt in der Provinz Kirkuk liegt etwa 35 Kilometer von Kirkuk entfernt und befindet sich noch in den Händen des „Islamischen Staats“. Sie ist jetzt jedoch von der IS-„Hauptstadt“ Mosul abgeschnitten und wird von Regierungstruppen belagert.
Aus Angst vor den bevorstehenden Kämpfen versuchen viele Bewohner die Stadt zu verlassen. Nach Angaben von Hilfswerken fliehen auch Kinder, allein und barfuss, durch die Berge und tauchen in erschöpftem Zustand an der kurdischen Front vor Kirkuk auf.