Der vor sechs Monaten als neuer Staatspräsident gewählte Sozialdemokrat Bernardo Arévalo ist in der Nacht zum Montag vereidigt worden. Doch die korrupte guatemaltekische Elite kämpft noch immer gegen ihn – mit allen Mitteln.
Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro warnte am Sonntag vor «einem drohenden Staatsstreich» in Guatemala. Er forderte alle lateinamerikanischen Staatschefs auf, Arévalo zu unterstützen. «Lasst den demokratischen Kampf des guatemaltekischen Volkes nicht im Stich», erklärte Petro.
Tatsächlich ist die Gefahr eines Umsturzes nicht gebannt. Politiker und Menschenrechtsaktivisten, die Arévalo unterstützen, werden eingeschüchtert, schikaniert und teils mit dem Tod bedroht. Für den Präsidenten selbst und seine Vizepräsidentin Karin Herrera gelten höchste Sicherheitsmassnahmen. Das Verfassungsgericht spricht von einer «dringenden Situation», in der sich Arévalo und Herrera befinden. Beide würden «Gefahr laufen, in ihren Rechten irreparabel verletzt zu werden».
Bis vor kurzem hatten Anhängerinnen und Anhänger von Arévalo befürchtet, es würde seinen Gegnern und Gegnerinnen doch noch gelingen, ihn vom höchsten Amt auszuschliessen. Während Wochen demonstrierten im ganzen Land Zehntausende in den Strassen für ihn und verlangten einen Machtwechsel.
Kampf gegen die korrupte Elite
Am Sonntag war es soweit. Vor der Inaugurationszeremonie brausten Flugzeuge über den Präsidentenpalast, Musikkapellen spielten, Helikopter scheuchten Tausende Tauben auf, Indigene aus allen Landesteilen waren in die Hauptstadt geströmt; ihnen will der neue Präsident mehr Gehör verleihen. Die Vereidigung verzögerte sich bis Mitternacht. Grund dafür waren interne Streitigkeiten im Parlament und formelle Fragen im scheidenden Kongress. Ein schlechtes Omen für die Präsidentschaft?
Guatemala gehört zu den korruptesten, ärmsten und kriminellsten Ländern Lateinamerikas. Eine hemmungslose Elite, das «Kartell der Korrupten», dominiert das Land seit Jahrzehnten. Verflochten ist dieses Kartell mit dem organisierten Verbrechen, das auch im Drogengeschäft aktiv ist.
Der 65-jährige Arévalo, Soziologe, Schriftsteller, Diplomat und früherer Aussenminister, hatte sich auf die Fahne geschrieben, gegen die korrupte Oligarchie und gegen die Drogenmafia vorzugehen. Dass diese nicht kampflos klein beigeben, versteht sich.
Auf der Liste der «undemokratischen und korrupten» Beamten
Speerspitze im Kampf gegen Arévalo ist Generalstaatsanwältin Maria Consuelo Porras. Als Vertreterin des Kartells der Korrupten erklärt sie seit Monaten die Wahl Arévalos mit Vehemenz und allerlei Tricks für ungültig. Das amerikanische Aussenministerium hatte sie auf eine Liste «undemokratischer und korrupter» Beamten gesetzt. Sie steht eindeutig auf der Seite der weissen Elite und hat nach Angaben Washingtons Korruptionsermittlungen «aktiv untergraben». Selbst am Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten liess ihre Entourage durchblicken, dass sie weiter gegen Arévalo kämpfen werde.
Arévalo will das nicht auf sich sitzen lassen. Am Wochenende erklärte er, er werde die Generalstaatsanwältin vorladen und sie zum Rücktritt auffordern. Doch auch in Guatemala herrscht Gewaltenteilung. Consuelo wird sich vermutlich – mit Unterstützung der bisherigen Machthaber – vehement gegen einen Rücktritt zur Wehr setzen.
Der Präsident hat bereits ein juristisches Team bestellt, das «in ständiger Alarmbereitschaft» das Vorgehen der Generalstaatsanwältin kontern will.
Arévalos Mitstreiter leben gefährlich. Rony López, ein Richter des Verfassungsgerichts bestätigt, dass eine «Gruppe von Drogenhändlern» seine Ermordung angeordnet habe. Auf Leyla Lemus, eine Verfassungsrichterin, soll ein Anschlag verübt worden sein. Sowohl López als auch Lemus gehören zu jenen, die gegen die Machenschaften von Generalstaatsanwältin Consuelo Position bezogen.
«Mara Salvatrucha»
Am vergangenen Samstag, zwei Tage vor der Amtseinführung, hat die Polizei nach einem Bericht der Zeitung «Prensa libre» in der vornehmen 18. Zone der Hauptstadt einen 57-jährigen Mann festgenommen. Er trug einen Revolver und Geld auf sich. Während der Festnahme versuchte er, die Polizeibeamten zu bestechen, um seiner Verhaftung zu entgehen. Jetzt wird spekuliert, ob er vielleicht Geld für einen Mord erhalten habe.
Der 57-Jährige gehört nach Polizeiangaben zur Gangsterbande «Mara Salvatrucha» – oder auch M-13 genannt. Diese Gruppe ist zu allem fähig und vor allem in Ecuador, Guatemala, Bolivien und Mexiko aktiv. Die Gang verdient ihr Geld mit Waffenhandel, Prostitution, Drogenhandel, Autoschieberei und Menschenhandel. Viele Morde werden ihr angelastet.
Der neue Präsident ist sich seiner Gefahr bewusst. Am Sonntag erinnerte er an die Situation in Ecuador. Dort war im vergangenen August der Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio bei einem Auftritt erschossen worden. Inzwischen wird das Land von einer Welle der Gewalt heimgesucht. Arévalo erklärte, der Kampf gegen das organisierte Verbrechen gehöre zu den grössten Herausforderungen.
«Beispiel für die Region»?
Um Arévalo Rückendeckung zu geben, war der spanische König Felipe VI. zur Inaugurationsfeier nach Guatemala gereist, ebenso EU-«Aussenminister» Josep Borrell. Beide erklärten, sie würden den Demokratisierungsprozess mit Kräften unterstützen.
Trotz all der Schwierigkeiten: Die amerikanische NGO «Human Rights Watch» HRW weist darauf hin, dass die neue Regierung «Beispiel für die Region werden könnte». «Sobald der neue Präsident im Amt ist, wird er die Verantwortung haben, die Verstrickungen der korrupten Netzwerke im Staat zu zerschlagen, die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen und die Menschenrechte wieder zu garantieren», sagte Juan Pappier, stellvertretender Direktor für Amerika bei HRW.
Seiner Meinung nach kann Arévalo mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft «ein Beispiel dafür werden, wie man demokratisch regiert, um ernste Probleme in Zentralamerika, wie Unsicherheit und Armut, zu bekämpfen». Die neue Regierung könnte «eine historische Chance für Guatemala» sein.
Doch: Laut Angaben der guatemaltekischen Zeitung «La Hora» prophezeit Human Rights Watch dem Land «ein kompliziertes neues Jahr» – ein netter Euphemismus.