Er kämpft gegen die korrupte Machtelite. Am 14. Januar soll der Sozialdemokrat Bernardo Arévalo als neuer Präsident Guatemalas vereidigt werden. Viele fürchten, dass die Machtübergabe nicht unproblematisch verlaufen könnte. Droht gar ein Militärputsch?
Arévalo, ein Diplomat und früherer Aussenminister, war am 20. August letzten Jahres in international überwachten Wahlen mit fast 60 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Er hat dem «Kartell der Korrupten» den Kampf angesagt. Zu diesem Kartell gehören Politiker, Vertreter der Wirtschaftselite, Militärs, Polizeibeamte, Richter und Staatsanwälte. Sie geniessen in dem verarmten Land riesige Privilegien, die satte Pfründe abwerfen. Dass sich die Machtelite, die das Land jahrzehntelang ausbeutete, mit allen Mitteln an ihren Privilegien festklammert, ist nachvollziehbar.
Speerspitze der Korrupten
Den bisher letzten Versuch, den designierten Staatspräsidenten zu verhindern, machte die korrupte Staatsanwaltschaft Mitte Dezember. Sie erklärte, einmal mehr, das Wahlergebnis vom 20. August für null und nichtig. Arévalo und seine Kreise hätten die Wahlen gefälscht. Am vehementesten kämpft Maria Consuela Porras gegen die Machtübernahme von Arévalo. Sie ist die oberste Staatsanwältin, gilt als «bis in die Knochen korrupt» und steht auf einer schwarzen Liste der USA, auf der korrupte Richter und Staatsanwälte aufgeführt sind. Porras ist die Speerspitze aller, die den neuen Präsidenten verhindern wollen.
Arévalo erklärte darauf, in der Staatsanwaltschaft habe sich «eine Gruppe von Putschisten verschanzt». Diese hätten zu «einem absurden, lächerlichen und perversen Staatsstreich» angesetzt.
Bisher allerdings fruchtete das alles nichts. Blanca Alfaro, die Präsidentin des Wahlgerichts TSE (Tribunal Supremo Electoral), erklärte klipp und klar, die Stimmenauszählung sei gültig gewesen. Arévalo und seine designierte Vizepräsidentin Karin Herrera müssten am 14. Januar ihr Amt antreten.
«Betrug gegen den Willen des Volkes»
Wichtig ist, dass Arévalo von den USA, der EU und der OAS, der Organisation Amerikanischer Staaten, unterstützt wird. Sie alle verurteilen «den versuchten Staatsstreich der Staatsanwaltschaft». Das Vorhaben, die Wahlen zu annullieren, sei «ein Betrug gegen den Willen des Volkes», erklärt die OAS.
Auch ein grosser Teil der Bevölkerung hat für Arévalo mobil gemacht. Wöchentlich finden in guatemaltekischen Städten Demonstrationen für den designierten Präsidenten statt, an denen Tausende teilnehmen.
Schock für die Machthaber
Der Sieg von Arévalo am 20. August kam überraschend. Der 65-jährige Diplomat, Politiker, Schriftsteller und Soziologe war als völliger Aussenseiter ins Rennen gegangen. Dass er im ersten Wahlgang im Juli das zweitbeste Ergebnis erzielte, war für die Machthaber ein Schock. Hätten sie ihn nicht als «politischen Nobody» unterschätzt, hätten sie ihn wohl mit einigen Tricks von den Wahlen ausgeschlossen.
Im zweiten Wahlgang dann schlug er Sandra Torres, die Vertreterin der Machtelite, mit 58 Prozent der Stimmen deutlich. Schon am Tag nach seinem Sieg begann die Justiz seine Wahl anzufechten – mit lächerlichen Argumenten. So hiess es, Arévalos sozialdemokratische «Semilla»-Partei sei eine illegale Partei, da sie den Wahlbehörden nicht die nötige Anzahl von Unterschriften eingereicht habe. Deshalb hätte Arévalo gar nicht an den Wahlen teilnehmen dürfen.
Ein gebildeter Mann
Die USA belassen es nicht bei Pro-Arévalo-Bekenntnissen. Washington belegte im Dezember 100 Kongressabgeordnete, die für den Entzug der Immunität Arévalos gestimmt hatten, mit einem Einreiseverbot. Auch Frau Porras und «ihre Putschisten» dürfen nicht in die USA einreisen. Dazu gehören die Staatsanwälte Rafael Curruchiche und Leonor Eugenia Morales Lazo.
Arévalo ist ein gebildeter Mann. Er spricht neben Spanisch auch Englisch, Hebräisch, Französisch und Portugiesisch. Er ist der Sohn des reformwilligen, ersten gewählten guatemaltekischen Präsidenten, der Ende der Vierzigerjahre an der Macht war. Arévalo Junior lebte längere Zeit mit seiner Familie in Genf, wo er für eine gemeinnützige Organisation arbeitete.
Schmutziger Hass-Feldzug
Nach seinem Sieg startete die guatemaltekische Oligarchie einen schmutzigen Hass-Feldzug gegen ihn. Er sei gar kein Guatemalteke, da er in Montevideo geboren wurde. Er wolle eine LGBT-Herrschaft errichten, da er sich dafür aussprach, dass auch Homosexuelle «vollwertige Menschen mit Rechten» seien. Er sei ein «verkappter Kommunist» und wolle die katholische Kirche «längerfristig abschaffen». Auch einige fundamentalistische, evangelikale Freikirchen, die in Guatemala stark sind, haben sich gegen Arévalo verschworen. Der Präsident wolle den Eltern die Kinder wegnehmen, um sie in Erziehungslagern zu «Kommunisten» zu formen.
Guatemala gehört seit Jahrzehnten zu einem der korruptesten Länder Lateinamerikas. Eine kleine, weisse Oberschicht schanzt sich die Schätze des Landes zu. Das Land ist das zweitärmste Lateinamerikas. Über 60 Prozent der Bevölkerung sind arm oder sehr arm. Betroffen ist vor allem die indigene Bevölkerung. Die meisten jungen Menschen sehen keine Perspektive. Viele wollen auswandern.
Unter einem unglücklichen Stern
Doch Guatemala ist nicht nur eines der korruptesten, unterentwickeltesten und ärmsten Länder der Welt, sondern auch eines der gefährlichsten. Morde, auch politische Morde, sind an der Tagesordnung. Kriminelle Gangs wüten seit Jahrzehnten. Mitglieder des organisierten Verbrechens schiessen von Motorrädern aus auf Menschen, die den Machthabern in die Quere kommen. Die Zeitungen drucken dann – als Abschreckung – die Bilder der Leichen auf ihren Frontseiten.
Selbst wenn das «Kartell der Korrupten» jetzt nicht verhindern kann, dass Arévalo am 14. Januar sein Amt antritt, so steht doch seine Präsidentschaft unter einem unglücklichen Stern. Denn die Oberschicht, die eigentlichen Machthaber im Staat, ist noch immer da. Ihre Arme reichen bis weit ins Militär, die Justiz, die Wirtschaft und die Politik. Sie werden wohl alles versuchen, um Arévalo das Leben schwer zu machen und seinen Sturz vorzubereiten. Zudem verfügt die Partei von Aerévalo im Parlament über keine Mehrheit. In den sozialen Medien wird bereits von einem möglichen Militärputsch fabuliert, auch wenn ein solcher angesichts der entschlossenen US-Haltung eher unwahrscheinlich ist.
Zu allem bereit?
Hinter vorgehaltener Hand erinnern viele daran, dass Auftragsmorde in Guatemala Tradition haben. Wenn es um die Verteidigung ihres Reichtums und ihrer Vormachtstellung geht, könnte das «Kartell der Korrupten» zu allem bereit sein, heisst es. Und natürlich gibt es auch das Drogenkartell, das Alévaro entmachten will.
Der Präsident lebt gefährlich. Schon während des Wahlkampfs trat er mit kugelsicherer Weste auf und wurde auf Schritt und Tritt von Bodyguards begleitet. Doch auch Bodyguards können korrupt sein.