Die Hauptakteure seien der Iran und seine Verbündeten in Syrien, Irak, Libanon und dem Jemen einerseits und die USA, Israel und deren Partner im Anti-Iran-Lager auf der Arabischen Halbinsel andererseits, so heisst es in diesen Meldungen. Noch vor der Amtsübergabe im Weissen Haus an seinen gewählten Nachfolger, Joe Biden, plane Noch-Präsident Trump mit israelischer Unterstützung einen grossangelegten Angriff auf Atomeinrichtungen im Iran, um in letzter Minute zu erreichen, was ihm trotz all seiner Massnahmen gegen den Iran bisher nicht gelungen ist.
Ein Manöver vor Bidens Amtsantritt?
Konkrete Hinweise oder gar Beweise für das vermeintlich drohende Szenario gibt es keine. Bestenfalls eine Sammlung verschiedener Nachrichten der letzten Wochen, die – zusammengenommen – dazu herhalten sollen, diese Theorie mit „Fakten“ zu unterfüttern. So wird auf verstärkte Aktivitäten der US-Luftwaffe im irakisch-iranischen Grenzgebiet in letzter Zeit hingewiesen; es ist die Rede von einem israelischen Atom-U-Boot, das den Suez-Kanal auf dem Weg in den Indischen Ozean durchquert habe; und Berichte über israelische Luftangriffe auf iranische und proiranische Einheiten in Syrien werden zitiert, obwohl diese seit Jahren mit grosser Regelmässigkeit stattfinden.
Genauer betrachtet sind die meisten dieser Beispiele nicht neu, relativ leicht zu erklären und deswegen kaum geeignet, das Drohbild eines neuen und heftigen Krieges mit dem Iran zu rechtfertigen. Der Verdacht liegt deswegen nahe, dass dahinter politische Motivation steckt, an der es ja bei allen erwähnten Parteien nicht mangelt:
So hat der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen plötzlich die Hoffnung auf Entspannung mit dem Iran aufkommen lassen, weil Biden wiederholt erklärt hat, er sei für eine Rückkehr zum Atomabkommen von 2015, aus dem Trump 2018 ausgetreten war. Radikale Kreise möchten das verhindern. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu warnt vor solch einem Schritt; in den USA gibt es weiterhin nicht wenige, die dem Iran unterstellen, Atomwaffen zu entwickeln; und selbst die EU, die offiziell weiter am Abkommen von 2015 festhält (obwohl sie auch die Trump-Sanktionen gegen den Iran befolgt) will jetzt ein modifiziertes Atomabkommen.
Unheilige Allianz radikaler Kräfte
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas etwa hat solches bereits wiederholt gefordert. Sogar die Uno-Atomenergie-Behörde IAEA hält inzwischen eine Rückkehr zum Atomabkommen nicht mehr für möglich wegen der Verstösse Teherans gegen das Abkommen. Sie sagt aber nicht, dass dies „Verstösse mit Ansage“ sind und die Antwort auf die amerikanischen (und auch europäischen) Sanktionen.
Während der Westen die von Teheran ursprünglich zugesagte Rückkehr zum Abkommen einfach ignoriert, wollen iranische Konservative im Parlament eine radikalere Fassung des Abkommens durchsetzen oder dieses überhaupt aufkündigen. Wie so oft arbeiten radikale Kreise auf beiden Seiten Hand in Hand. Beiden scheint in erster Linie daran gelegen zu sein, die Spannungen in der Region aufrechtzuerhalten. Selbst wenn Trump-Nachfolger Biden eigentlich Entspannung erreichen will.
Nicht nur die Amtsübergabe an Biden aber treibt jetzt radikale Theorien – und sicher auch radikale Kräfte – an: Vor diesem Datum jährt sich nämlich am 3. Januar die Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch eine amerikanische Drohne bei Bagdad und vor knapp einem Monat hat – höchstwahrscheinlich – Israel die Ermordung des iranischen Atom-Wissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh unweit von Teheran durchführen lassen. Beide Angriffe haben im Iran grosse Bestürzung und Wut ausgelöst. Vor allem aber auch Rufe nach Vergeltung. Gegenüber den USA hatte es zwar bereit vor einem Jahr einige – eher symbolische – Angriffe im Irak gegeben, jetzt kam es wieder zu Angriffen auf die „Grüne Zone“ in Bagdad, wo die US-Botschaft steht. Washington will jetzt einen Teil seiner Truppen aus dem Irak abziehen und dies könnte eine Gelegenheit für iranische Attacken sein.
Zurück zum Atomabkommen?
Kaum anders mit Israel: Auch für den Mord an Fakhrizadeh hat Teheran Rache geschworen; und in Israel dürfte man wissen, dass damit nicht die jüngst aufgedeckten iranischen Online-Attacken gemeint sein dürften. Ein israelisches Atom-U-Boot vor dem Zugang zum Persischen Golf aber dürfte in erster Linie als Warnung gemeint sein, nicht als Drohung vor einem israelischen Angriff.
Ob die direkt Beteiligten in der Lage sind, eine Eskalation auf Dauer zu verhindern, dürfte aber die Frage sein. Es wäre deswegen sicher besser, wenn zumindest die Unterzeichner-Staaten des Atomabkommens Vernunft annähmen und zu dem Abkommen zurückkehrten, das sie damals doch als grossen Erfolg gefeiert hatten. Sie waren es doch – mit Trump an der Spitze –, die daraus eine Waffe gegen den Iran gemacht haben, mit der sie dem Land unter anderem sogar den Erwerb von Anti-Corona-Impfschutz verwehren.