Europäischer Gerichtshof (EuG), Efta-Gerichtshof (EftaG) oder gar kein Gerichtshof? Glücklicherweise ist dieses juristische Rätselspiel lediglich ein Streit um des Kaisers Bart, eine fruchtlose Debatte um den «sexe des anges», wie das französisch viel eleganter ausgedrückt wird.
Mitmachen oder nicht mitmachen
Mit Bezug auf Europa gibt es für die Schweiz nur noch zwei Alternativen. Entweder wir machen mit – oder nicht. Gar nicht mitmachen, da ist sich wohl die grosse Mehrheit der Schweizer einig, geht nicht, weil uns das schaden würde und weil die Schweiz zu Europa gehört. Dass jeder Schweizer auch Europäer ist, entspricht geographischer Logik und erscheint so offensichtlich wie die Tatsache, dass jeder Urner, Zürcher, Tessiner oder Genfer auch Schweizer ist.
Substantiell zwar meist voll, institutionell bei der EU aber nur ein bisschen mitmachen im Sinne unserer bisherigen europapolitischen Wurstelei, das geht je länger desto weniger. Weil dies die EU weder will noch kann. Hier liegt also der Ausgangspunkt der gegenwärtigen innerschweizerischen Debatte über die Art des Gerichtshofes: Die EU hat klar zu verstehen gegeben, dass EU-Recht strukturell gefestigt ist und bleibt. Die Schweiz kann im Verkehr mit ihr nicht weiter finessieren. Weder die Verkleidung schweizerischer Interessen als Gutachten (EuG) noch die Umdefinition eines Gerichtes, welches ausschliesslich für den EWR – dem wir bekanntlich weder beitreten wollten noch wollen – geschaffen worden ist (EftaG), können der Schweiz die gegenüber der EU gesuchte Verhandlungsposition verschaffen. Schon von daher ist die Gerichtshofdebatte also fruchtlos, da mit einiger Wahrscheinlichkeit die eine wie die andere Alternative in Brüssel «dead on arrival» ankommen wird.
Richter sind nicht einheimisch oder fremd, sondern unabhängig
Ebenso unsinnig ist die Diskussion, ob als Schiedsinstanz der EuG ein Schulbeispiel für «fremde Richter» sei, und der EftaG nicht, da hier einer von mehreren Richtern aus der Schweiz stammen würde. In beiden Fällen wird eine Mehrzahl der Richter nicht aus der Schweiz kommen, und es ist nicht einzusehen, warum ein deutscher Richter (im EuG) der Schweiz fremder sei als ein isländischer Kollege (im EftaG), oder ein Franzose fremder als ein Norweger. Richter entscheiden ohnehin unabhängig; ihre Unabhängigkeit vom Entsendestaat ist geradezu die Grundvoraussetzung dafür, dass ein internationaler Gerichtshof überhaupt funktionieren kann. Richterliche Unabhängigkeit von wechselnder Tagespolitik ist übrigens auch innerstaatlich eine gerade von der Schweiz als Rechtstaat hochgehaltene Kardinalstugend. Schliesslich war es ja das schweizerische Bundesgericht, und nicht etwa der Menschenrechts-Gerichtshof in Strassburg (dem die Schweiz übrigens als stolzes Mitglied angehört), welches damals die Innerrhödler zwang, das Frauenstimmrecht einzuführen.
Wie übrigens 15 Professoren von schweizerischen Universitäten dazu kommen, in einem öffentlichen Brief an den Bundesrat eine von zwei, wie gezeigt, rein theoretischen «Lösungen» heftig zu verteidigen und die zweite ebenso zu verdammen, ist mir sowohl als Völkerrechtler (siehe oben zur Unabhängigkeit von Richtern) wie als Staatsbürger (weil sie in einer ohnehin heillos verworrenen Situation für noch grössere Verwirrung gesorgt haben) schlicht unverständlich.
Rückzug ist kein gangbarer Weg
Verbirgt sich allenfalls hinter dem gegenwärtigen Aufschrei senkrechter Eidgenossen, keine «fremden Richter» zu wollen, der Wunsch nach gar keinem Gerichtshof? Dies würde aber nicht den status quo zementieren, sondern bedeuten, dass wir uns von Europa zurückziehen. Über eine gewisse Zeitdauer würden nämlich alle bilateralen Verträge hinfällig, da ja keine Instanz zur Bereinigung unterschiedlicher Interpretationen besteht. Auch dies ist offensichtlich kein gangbarer Weg.
Schliesslich, wie dies Europa-Experte Dieter Freiburghaus in einem Kommentar zum gegenwärtigen Hornberger-Gerichtshofschiessen feststellt, hat ja die Schweiz viel EU Recht – und damit dem EuG unterstelltes Recht – bereits mit verschiedensten bilateralen Verträgen übernommen. Da haben sich also die vermeintlich fremden Richter bereits bei uns etabliert. Weil sie eben nicht fremd sind, sondern europäisch, wie alle Schweizer auch.
Im Gegensatz zu Engeln hat Mutter Helvetia ein Geschlecht. Europa ebenso. Höchste Zeit also, dass die beiden Damen sich fest und untrennbar liieren. Damit könnten wir dann auch in der Schweiz wieder die wirklichen Probleme diskutieren und im allein möglichen europäischen Rahmen anpacken. So etwa die volle Integration Osteuropas in Gesamteuropa (Friedensprojekt EU), die Konsolidierung der politischen Strukturbereinigung in Südeuropa (Wirtschaftsprojekt EU), die Verteidigung europäischer Interessen auf Augenhöhe mit anderen globalen Akteuren (Machtprojekt EU) ebenso wie europäische Vorreiterrollen in Wissenschaft, Umwelt, Immigration, Menschenrechten und anderem (Zukunftsprojekt EU).