Der Demokrat Raphael Warnock gewinnt die Senatsnachwahl in Georgia gegen den von Donald Trump unterstützten Republikaner Herschel Walker – eine weitere Niederlage für den Ex-Präsidenten. Damit ist die von Trumps Partei erwartete «rote Welle» endgültig versandet.
Herschel Walker, dem früheren Football-Star und legendären Ballträger, ist es nicht gelungen, genügend Boden zu erobern, zu punkten und zu siegen: Der einkalkulierte Touchdown in der Endzone blieb aus. Anders als einst auf dem Rasen konnte Walker seinen Gegner nicht mehr einfach um- und überrennen, auch wenn in Amerika Politik mitunter ein Kampfsport ist und Gewinnen nicht alles, sondern das Einzige ist.
Mit Ausnahme einer Nachzählung bei einem Rennen für das US-Repräsentantenhaus in Colorado war die Senatsnachwahl in Georgia der letzte Akt eines Dramas, dessen Handlung nicht so verlief, wie die einen es erwartet und die andern es befürchtet hatten. Und als dessen Hauptakteur Donald Trump eine für die Republikaner verhängnisvolle Rolle spielte.
Amerikas Zwischenwahlen enden nach dem Sieg von Raphael Warnock nicht mit einer «roten Welle», einem überwältigenden Sieg der republikanischen Partei, sondern mit einem «blauen Tsunami», einem überraschend guten Abschneiden der demokratischen Partei, wie ihn der linke Dokumentarfilmer Michael Moore («Fahrenheit 9/11») hellsichtig vorausgesagt hatte.
Während die Demokraten im US-Abgeordnetenhaus die Mehrheit nur relativ knapp verloren, bauten sie im Senat ihre hauchdünne Mehrheit aus und halten nun 51 von 100 Sitzen. Das dürfte ihnen in der kleinen Kammer die politische Arbeit erleichtern – vor allem, wenn es um die Besetzung von Bundesrichterstellen und die Lenkung einflussreicher Kommissionen geht. Kein Wunder, zeigte sich Joe Biden über den Wahlausgang erfreut. «Die Wählerinnen und Wähler in Georgia haben sich für unsere Demokratie gewehrt, Ultra-Magaismus abgelehnt und … einen guten Mann zurück in den Senat geschickt», twitterte der Präsident.
Mit Herschel Walker in Georgia hat wie mit Dr. Mehmet Oz in Pennsylvania, Blake Masters in Arizona, Adam Laxalt in Nevada und Don Bolduc in New Hampshire ein Republikaner sein Senatsrennen verloren, das er aufgrund der politischen Vorgeschichte des jeweiligen Staates hätte gewinnen müssen. Hätte gewinnen müssen, wäre da nicht Donald Trump gewesen, der diese Kandidaten alle eigenhändig ausgewählt und auf seinen schlingernden Kurs getrimmt hatte. Wobei sich im Fall Walker besonders deutlich zeigte, was selbst führende Republikaner hinter vorgehaltener Hand kritisiert hatten: Auch dem Sportstar mangelte es an «electability», an Wählbarkeit, sei es aufgrund mangelnder Erfahrung, Kompetenz oder Charakterstärke.
Was 2016 bei Trump noch funktioniert hatte, verfing 2022 bei Walker nicht mehr: Bekanntheit und Popularität allein genügen am Ende des Tages selbst in Amerika offenbar nicht, um eine skeptische Wählerschaft zu überzeugen. Aber auch so gelang es Herschel Walker immerhin noch, rund 48,6 Prozent gegenüber 51,4 Prozent der Stimmen für seinen Konkurrenten zu gewinnen. Am Wahltag des 8. November hatte Raphael Warnock mit 37’000 Stimmen mehr die 50-Prozent-Marke noch knapp verpasst, die eine Nachwahl überflüssig gemacht hätte.
Ausser an Prominenz aber mangelte es Herschel Walker an allem, was ihn zu einer politischen Karriere im «exklusivsten Klub der Welt» befähigt hätte, wie der US-Senat mitunter auch heisst. Vor allem fehlte es dem 60-Jährigen an Charakter und Moral. Sein Sohn Christian, von ihm entfremdet, brachte es in einem Tweet auf den Punkt: «Schlage keine Frauen, halte Leuten keine Knarre an den Kopf, finanziere keine Abtreibungen und gebe dich danach als Abtreibungsgegner aus, stalke keine Cheerleader, lasse deine vielen minderjährigen Kinder nicht allein, um noch berühmter zu werden, lüge nicht, lüge nicht, lüge nicht, äussere keinen dummen Scheiss und mache deine Familie nicht zum Narren … Und dann kannst du vielleicht einen Senatssitz gewinnen.»
Raphael Warnock, Pastor der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, wo einst Martin Luther King predigte, war 2021 in einer Nachwahl der erste Schwarze gewesen, der je aus dem Südstaat Georgia in den Senat in Washington DC gewählt wurde. Er wird dort zumindest für die nächsten sechs Jahre Teil einer verschwindend kleinen Fraktion sein: Von den über 2’000 Personen, die je im US-Senat gedient haben, sind bis heute lediglich elf schwarzer Hautfarbe gewesen. In der 100-köpfigen Kammer werden in der Session im kommenden Januar drei Schwarze sitzen: Ausser Raphael Warnock noch der Demokrat Cory Booker aus New Jersey und der Republikaner Tim Scott aus South Carolina.
«Ich bin Georgia», deklamierte Warnock in der Wahlnacht in Atlanta vor seiner Anhängerschaft und erinnerte so an die Märtyrer und Helden der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und die Orte seiner Kindheit. «Ich bin ein Vertreter und ein Wiederholer seiner Geschichte, seiner Tücken und seiner Versprechen, der Brutalität und der Möglichkeiten», sagte der 53-Jährige: «Aber weil dies Amerika ist, weil es für uns immer einen Weg gibt, unser Land trotz aller unsäglicher Hindernisse grösser zu machen, stehen wir heute hier zusammen.»
Der charismatische Pastor gewann in erster Linie dank des Zuspruchs schwarzer Bürgerinnen und Bürger, die in Georgia einen Drittel der Wählerschaft stellen, sowie in den Vororten Atlantas, während sein Konkurrent vor allem in den ländlichen, konservativeren Gebieten des Staates stimmen holte. Ausserdem war Raphael Warnock der weit besser finanzierte Kandidat im zweitteuersten Senatswahlkampf der amerikanischen Geschichte: Beide Kandidaten, ihre Organisationen und zugewandte Gruppen haben im Wahlkampf mehr als 400 Millionen Dollar ausgegeben, den Grossteil davon für Radio- und Fernsehwerbung.
Nach Herschel Walkers Debakel bleibt für Amerikas Republikaner die Frage, wie viele Wahlniederlagen sie noch erleiden wollen, die sie Donald Trump zu verdanken haben. Noch ist kein entschlossenes Abrücken vom geliebten Führer zu verzeichnen, obwohl es hinter den Kulissen mächtig krachen dürfte. «Zu einem bestimmten Zeitpunkt – unter Umständen ist er noch nicht gegeben, aber er rückt näher – beginnt der Führer, der verliert, halt wie ein Verlierer auszusehen», schreibt in der «New York Times» der konservative Kolumnist Ross Douthat.
«Nach einem harten Wahlkampf ist es für mich eine Ehre, die vier mächtigsten Worte zu äussern, die je in einer Demokratie ausgesprochen worden sind», sagte Raphael Warnock nach seinem Sieg in Georgia: «Das Volk hat gesprochen.» Den hehren Ausspruch gibt es auch in einer minder noblen Variante. Sie wird dem demokratischen Politiker Dick Tuck zugeschrieben, nachdem er 1972 in Kalifornien eine Senatsvorwahl verloren hatte, und sie könnte nach einem unfreiwilligen Abschied aus der Politik auch von Donald Trump zitiert werden: «The people have spoken – the bastards.»