Die Polizei erklärt, dass wahrscheinlich ein sehr heftiger Schlag auf die Brustgegend zum Tod des Journalisten geführt habe. Saleem Shahzad war international sehr bekannt. Er hatte sich auf die Taleban und die Terrorpolitik von al-Qaida spezialisiert. Er hinterlässt eine Witwe und zwei Kinder.
Am 2.Juni gab ein Sprecher des pakistanischen Geheimdienstes, ISI (für "Inter Service Intelligence") eine ausführliche Erklärung ab, in der er die Presse seines Landes indirekt warnte. Er sagte, es sei unethisches und unprofessionelles Verhalten, wenn Zeitungen "ohne den geringsten Beweis dafür zu besitzen" den Geheimdienst für die Mordtat verantwortlich machten. Der Sprecher versäumte auch nicht, der Familie des Ermordeten das "tiefgefühlte Beileid" seiner Organisation auszusprechen.
Der Ministerpräsident Pakistans, Yousuf Raza Gilani, erklärte einsilbig, die Schuldigen würden gefunden und bestraft werden.
Plötzlich gelöste Zungen
Doch die pakistanischen Journalisten fuhren fort, von Ihrem ermordeten Kollegen zu sprechen. Befreundete Berufsgenossen gaben bekannt, Shahzad habe ihnen mitgeteilt, er sei bisher fünf mal von Sprechern des Geheimdienstes mit dem Tode bedroht worden. Nach seiner letzten Unterredung hatte er an einen von ihnen eine E-mail mit der Überschrift "for the record" geschickt. Er habe darin seine Unterredung mit einem der Geheimdienstleute geschildert. Der Journalist, der auch zwei Bücher über die Lage in Nordpakistan und Afghanistan geschrieben hatte, arbeite zuletzt als Bürochef der Asia Times in Islamabad.
Kurz vor seiner Ermordung hatte er einen Artikel verfasst, in dem er die Vermutung aussprach und zu begründen suchte, es seien Angehörige der pakistanischen Kriegsmarine selbst gewesen, die am 22. Mai den Aufsehen erregenden Anschlag auf die Marinebasis von Mehran bei Karachi konzipiert und durchgeführt hätten. Offiziell waren islamistische Radikale als die Verantwortlichen dargestellt worden. Wenn die Vermutung zuträfe, müsste es sich um Marinesoldaten gehandelt haben, die unter den Einfluss von islamistischen Terroristen gelangt waren.
Gesprächspartner von ISI
Der Mordfall brachte viele Kollegen Shahzads zum Reden. Sie begannen, ihre Erfahrungen mit dem Pressedienst von ISI auszupacken. Dieser existiert offiziell mit dem Auftrag, "korrekte Information" durch die Presse zu fördern und zu überwachen. Wenn er einschreitet, erhält im Normalfall ein Journalist, der etwas dem Dienst nicht gefälliges veröffentlicht hat, einen Telephonanruf mit der Weisung, Oberst Tareq im Sitz des Geheimdienstes zu treffen.
Tareq ist ein Vornamen. Das Treffen kann glimpflich oder anders verlaufen. Wenn es glimpflich vorbeigeht, erhält der Journalist Tee vorgesetzt und eine Mahnung im Konversationston, die zeigt, dass er beschattet wird, dass die Dienste wissen, welche Art Auto er fährt, mit wem er verkehrt und für wen er arbeitet - oft auch - wo seine Familie lebt, mit dem Hinweis, dass ISI selbst dringend vermeiden möchte, dass dieser Familie ein Unheil geschieht.
Wenn es sich um Zeitungsherausgeber handelt, fehlt der Hinweis nicht, dass es Möglichkeiten gebe, die Finanzierung des Blattes negativ zu beeinflussen. Dies könne leicht geschehen, ja gewissermassen notwendig werden, wenn er diesen oder jenen Journalisten weiter beschäftige.
Die heiklen Informationsbereiche
Wenn das Treffen weniger glimpflich verläuft, verschwindet der Vorgeladene auf kürzere oder längere Frist in den Verliessen der Geheimdienste. Er muss dann gewärtigen, gefoltert zu werden. Manche kommen zurück, andere, wie Schahzad, nicht. Rekurse bei Gerichten verlaufen regelmässig im Sande, sei es, weil die Richter sich fürchten, sei es, dass die notwendigen Zeugen nicht sprechen wollen und überhaupt die Beweise fehlen.
Natürlich wissen die pakistanischen Journalisten, welches die heiklen Themen sind und welche Aussagen man besser vermeidet oder mindestens vage hält. Man kann dies tun, indem man eine kritische Information als "ein unbestätigtes Gerücht" oder als "Spekulation" bezeichnet. Viele halten sich an diese Sprachregelungen; andere suchen vorsichtig anzudeuten, was sie mitteilen möchten. Shahzad war bekannt dafür, dass er es nicht lassen konnte, "Monstern nachzuspüren", wie er selbst es formulierte.
Verdeckte Aktionen un grossem Stil
Zu den Dingen, die man besser verschleiert lässt, als sie voll zu erörtern, gehören natürlich in erster Linie die Aktivitäten von ISI selbst. Dies dürfte die Erklärung der erstaunlichen Erscheinung sein, dass ISI in den frühen 90er Jahren die Taleban mobilisieren, bewaffnen ausbilden und viele Zehntausende massiert in Afghanistan einsetzen, ihre Feldzüge zur Eroberung fast des gesamten Landes konzipieren, leiten und manchmal direkt kommandieren konnte, ohne dass dies der Aussenwelt wirklich bewusst geworden wäre. Es gab immer Stimmen, die davon sprachen oder flüsterten. Doch sie stiessen immer auch auf energische Dementis von sehr offiziellem Anstrich.
Wenn damals Feinde der Taleban, etwa der afghanische Widerstandsheld, Ahmed Shah Mas'ud, ausführlich und empört über die Rolle Pakistans sprachen und behaupteten, sie selbst stünden im Kampf gegen Pakistan und seinen Geheimdienst, die Taleban seien bloss deren Verkleidung, wurde dies weltweit als eine Übertreibung aufgefasst. Es gab ja stets auch die Gegenstimmen, welche die Rolle von ISI bestritten und die Taleban als eine selbstständige Kraft schilderten. Und es gab die weitgehend stillschweigende pakistanische Presse, die wusste, warum sie entweder schwieg, oder - im besten Falle - Andeutungen und Vermutungen formulierte, die das ganze Ausmass der pakistanischen Lenkung des Geschehens nur sehr eingeschränkt erkennen oder erahnen liessen.
Einzelne mutige, wohlinformierte - aber ebenfalls angesichts der Lage jede Sensation vermeidende Journalisten gab es. Man hat in erster Linie an Ahmed Rashid, den Doyen der pakistanischen Journalisten, zu denken, dessen Bücher (1) und Kommentare nicht verschwiegen, was vorging. Doch seine Darstellungen stiessen oft auf wütenden Widerspruch von Pakistani, die es besser wissen sollten, zum Beispiel hohe Armeeoffiziere, und auch auf Empörung bei pakistanischen Patrioten, die keine "Verunglimpfung" der nationalen Armee dulden wollten.
Licht auf die Frage der doppelten Politik
Diese Gesamtlage muss man berücksichtigen, wenn immer wieder die Frage der Doppelpolitik auftaucht und sofort dementiert wird, die Pakistan zu führen scheint: einerseits enge Zusammenarbeit mit den Amerikanern im Zuge des "Krieges gegen den Terrorismus" ,andrerseits offenbar auch Zusammenarbeit mit ausgewählten Teilen der Terroristen mit dem zu vermutenden Ziel, den Kontakt mit ihnen im Hinblick auf eine Zukunft ohne die Amerikaner nicht abreissen zu lassen.
Man muss diese Informationslage auch im Auge behalten, wenn man die Frage beurteilen will, wer in Pakistan wieviel von der Gegenwart Ben Ladens in der Garnisonstadt Abbotabad wusste und warum es möglich war, dass der meist gesuchte Terrorist der Welt jahrelang als Nachbar einer der wichtigsten Militärschulen Pakistans ungestört leben und sogar wirken konnte.
Der Kommandant von ISI, General Shuja Pasha, hat nach der Tötung Ben Ladhens durch die Amerikaner erklärt: "Wir sind gut, aber wir sind nicht allwissend!" Er hat auch seinen Rücktritt angeboten. Doch dieser wurde von seinen Vorgesetzten nicht angenommen.
Prestigeverlust für ISI
Das Eingreifen der Amerikaner in Pakistan ohne Wissen des Geheimdienstes hat ISI in den Augen der pakistanischen Bevölkerung schwer angeschlagen. Witze wurden über den bisher sehr gefürchteten und von vielen Nationalisten verehrten Geheimdienst gerissen. Dies dürfte mit ein Grund dafür sein, dass sich nun viele Zungen von Journalisten gelöst haben und sie den Tod ihres Kollegen zum Anlass nahmen, Einzelheiten bezüglich der Bedingungen auszupacken, unter denen in Pakistan die Geheimpolitik der allmächtigen Militärinstitution geführt wird und sich permanent in einer Tarnwolke der Verschleierung zu bewegen vermag. Die Verschleierung funktioniert nicht deswegen wie die Profis der Information nicht darüber Bescheid wüssten, sonder vielmehr deswegen, weil es für sie sehr gefährlich ist, an diese Dinge zu rühren.
(1) Taliban, Militant Islam, Oil and Fundamentalism in Central Asia, Tauris, London 2000 und viele spätere Auflagen, auch deutsche Übersetzung bei Doener, sowie: Descent into Chaos. How the War against Islamic extremism is being lost in Afghanistan and Central Asia, Penguin 2008