Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat gesprochen. Der Leitzins, zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen können, wird auf 0,15 Prozent gesenkt. Das ist eine Steigerung von gratis, also unerheblich. Der Einlagensatz, also der Zins für kurzfristig bei der EZB geparktes Geld, wird von 0 auf minus 0,1 ins Negative verschoben. Da dort im Schnitt nur mehr rund 40 Milliarden Euro liegen, vielleicht psychologisch interessant, aber unerheblich.
Die Giesskanne schüttet weiter
Zudem können sich Banken über 2015 hinaus unbegrenzt mit Liquidität bei der EZB versorgen. Zudem will die EZB verbriefte Unternehmenskredite bis zu 400 Milliarden Euro aufkaufen. Das sollte strafbar sein, denn man kennt sie besser als Asset Backed Securities (ABS), und die waren eine der Ursachen für die Finanzkrise 1 im Jahr 2007/2008.
Schliesslich will die EZB den Banken besonders billige Kredite in der Höhe von mindestens 400 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, wenn diese als Darlehen an Unternehmen oder Haushalte weitergereicht werden. Dass ist absurd, denn billiges Geld war nicht nur die Hauptursache der Finanzkrise 1, sondern ist seither sowieso im Überfluss vorhanden.
Definition von tilt
Diese Methode gleicht dem Versuch, einen Drogenabhängigen damit zu heilen, indem man ihn mit Methadon überschwemmt. Wenn billiges Geld die Ursache der Krise war und ist, wie soll es dann plötzlich zur Lösung werden?
Tilt nennt man beim Pokern ein aggressives und unkonzentriertes Spiel nach Verlusten. Genau so verhält sich die EZB. Sie ist tilt.
Wenn Geld immer billiger wird, dann gewinnen alle Schuldner. Und alle Gläubiger verlieren. Alle Sparer, alle Einzahler in Rentensysteme, alle Besitzer einer Lebensversicherung. Also wir alle. Zinsen sind ja kein Übel, sondern normalerweise die Risikoprämie, die jemand bekommt, wenn er sein Geld aus der Hand gibt. Zudem stellen Zinsen eine natürliche Hürde für allzu wildes Geschäften dar.
Wenn jemand weiss, dass er für aufgenommenes Geld Zinsen in der Höhe von mindestens 8 Prozent, inflationsbereinigt, zahlen muss, dann überlegt er gut, ob er diesen Ertrag auch erwirtschaften kann. Wenn eine Bank Geld umsonst bekommt, und zwar in Hülle und Fülle, wieso soll sie gross darüber nachdenken, ob sie damit nicht ins Zockercasino geht? Ach, wegen des Risikos, dass dort das Geld auch völlig verloren gehen kann? Aber wofür ist sie denn «systemrelevant»? Richtig, für genau diesen Fall. Und da kommen wir zu einem Kernproblem der EZB-Giesskanne.
Die Altlasten
In Europa gibt es jede Menge Zombie-Banken. So nennt man Geldhäuser, die nur überleben können, weil sie Mitglied eines Trio infernal sind. Das besteht aus verlumpenden Staaten, die unter eigentlich unbezahlbaren Staatsschulden ächzen. Banken, die Staatsschuldpapiere in den Büchern haben, die eigentlich auf gegen Null abgeschrieben werden müssten. Und einer Notenbank EZB, die sie zum Nominalwert als Sicherheiten für Gratisgeld akzeptiert. Ein wahrer Teufelskreis, aus dem keine der EZB-Massnahmen herausführen kann.
Alte Probleme, die durch unsichere Kredite in den Büchern der Banken lasten, durch neue Geldschwemme lösen zu wollen, hat in der Vergangenheit nichts gefruchtet, es wird auch jetzt nichts nützen. Wenn eine marode Bank Geld noch billiger bekommt, weil sie dafür marode Kredite als Sicherheit hinterlegen kann, ist die Schwerkraft im Finanzsystem aufgehoben.
Die gute Nachricht ist, dass so alles in der Schwebe gehalten werden kann. Die schlechte, dass es ein klassisches Schneeballsystem ist. Und das kann seinen Anfangsfehler, seine Fehlkonstruktion, niemals wieder reparieren. Er besteht darin, dass Staaten unbezahlbare Schulden aufgenommen haben und neue Staatsschuldpapiere nur loswerden, weil sie ihnen von Banken abgekauft werden, die wissen, dass die EZB ihren Wert garantiert.
Die Feuerkraft einer Notenbank
Wären viele europäische Staaten privatwirtschaftliche Unternehmen, hätten sie schon längst bankrott erklären müssen. Wäre die EZB eine normale Bank, hätte sie schon längst die Bücher deponieren müssen. Würde sich das Finanzsystem so verhalten, wie es in allen Wirtschaftstheorien beschrieben wird, hätten wir schon längst eine galoppierende Inflation.
Eine kleine haben wir allerdings bereits. Kein Sparer, der nicht bedeutende Risiken eingehen will, bekommt Ertrag auf seinem ausgeliehenen Geld. Schlimmer noch, die neuerliche Senkung des Leitzinses wird ihn alleine in Deutschland mehrere Milliarden kosten, weil er noch mehr Geld damit verliert, Geld zu verleihen. Es in die Matratze zu stopfen, nützt ihm auch nichts, auch da knabbert die momentan noch kleine Inflation dran.
Aber ist das nicht wieder zu pessimistisch? Schliesslich jubelt doch die Börse, der deutsche Dax hat zum ersten Mal kurzfristig die Schwelle von 10'000 Punkten überschritten. Da kann doch auch der Kleinanleger mitverdienen. Das ist aber leider ein gefährlicher Trugschluss, denn dieses Börsenwunder ist nur möglich, weil Geld gar nicht mehr weiss, wo es angelegt werden kann. Jede Leitzinssenkung befördert selbstverständlich die Börsenkurse, denn wer möchte noch in festverzinsliche Wertpapiere investieren, wenn die keine Zinsen mehr abwerfen? Daraus entsteht dann ein Börsenstrohfeuer.
Der Crash
Immer wieder fassen mehr oder minder begabte Apokalyptiker alle Argumente zusammen, die belegen, dass es zu einem gewaltigen Crash kommen wird und muss. Sie haben natürlich grundsätzlich recht. Unterschätzen aber, dass wir wirklich finanztheoretisches Neuland betreten. Noch niemals wurde dermassen viel Neugeld von Notenbanken hergestellt, ohne dass es zu einer galoppierenden Inflation kam. Noch niemals waren dermassen viele wirtschaftlich bedeutende Staaten dermassen überschuldet, ohne dass es zu Staatsbankrotten kommt.
Die einzig sichere Zukunftsprognose ist also: Wenn Ursache und Wirkung, Logik und Deduktion in Gelddingen Gültigkeit haben, wird es zum Crash kommen. Ob der allerdings in den nächsten sechs Monaten, in fünf Jahren oder noch später stattfindet, das ist, hier ist dieses beliebte Bankerwort angebracht, absolut und vollständig unvorhersehbar. Vielleicht wird es die Generation 50+ auch gar nicht mehr erleben. Das vermag doch wenigstens alle zu trösten, die die Zielgruppe «jung, dynamisch, chancenlos» schon hinter sich gelassen haben.