Mit den vorgezogenen Bundestagswahlen stehen auch die unvermeidlichen TV-Debatten der Kanzlerkandidaten ins Haus. Die Kandidaten haben sich aber vermehrt. Aus zwei Kandidaten sind vier geworden. Lädt man alle in eine Sendung ein, handelt es sich letztlich um eine Talkshow. Welche der Kandidaten sollen aber gegeneinander antreten?
Es läuft voraussichtlich darauf hinaus, dass Friedrich Merz und Olaf Scholz ihre mehr oder weniger scharfen Klingen kreuzen und Robert Habeck vor der Studiotür bleiben muss. Begründet wird das damit, dass Merz der Kanzlerkandidat der in Umfragen von mehr als 30 Prozent führenden CDU/CSU ist. Die SPD kommt in Umfragen zwar nur auf knapp die Hälfte, aber Olaf Scholz ist immerhin jetziger Kanzler und neuer Kanzlerkandidat. Man wird ihn deshalb kaum hinauskomplimentieren können.
Robert Habeck wiederum ist Vizekanzler, und die Grünen sitzen der SPD in Umfragen derartig dicht auf den Fersen, dass sie diese bis zur Wahl locker überholen können. Und man erinnere sich: Wenn vor drei Jahren, als die Grünen in den Umfragen vor der SPD lagen, Annalena Baerbock mit ihren feministisch angespitzten Ellenbogen nicht Robert Habeck als Kanzlerkandidaten weggeschubst hätte, wäre er womöglich Kanzler geworden. Es ist wohl die Erinnerung daran, die ihn motiviert, aus der jetzigen nahezu aussichtslosen Position heraus noch einmal Anlauf zu nehmen.
Aber im Fernsehen würde er es nach dem jetzigen Stand der Diskussion wohl nur bis zum Katzentisch mit Alice Weidel schaffen, weil Merz und Scholz kein Triell wollen. Diese Positionierung aber lehnen Habeck und die Grünen ab. Warum sollte sich der Vizekanzler mit einer Person vor den Kameras balgen, die zwar in den Umfragen deutlich vor der SPD liegt, also die derzeit nach der Union zweitstärkste Kraft ist, aber mit der erklärtermassen keine der übrigen Parteien koalieren will?
Der Bruch eines Tabus
Überhaupt setzen sich die öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch die privaten mit der Erwägung, Alice Weidel in eine Kanzlerkandidatenrunde einzuladen, über ein bisher geltendes Tabu hinweg. Denn mit der Einladung erwecken sie den Eindruck, dass sie Weidel prinzipiell für kanzlertauglich halten, also ihre Partei, die AfD, koalitionsfähig ist. Nach übereinstimmenden Festlegungen der CDU/CSU, der SPD, der Grünen und der FDP wird es aber es aber nirgendwo eine Zusammenarbeit und erst recht keine Koalition mit der AfD geben.
Das ist auch richtig so. Zudem hätte die AfD im Falle einer Koalition als zweitstärkste Kraft im Bundestag allemal Anspruch darauf, den Vizekanzler zu stellen. Diese Art Machtergreifung gilt es zu verhindern. Aber es wird sich mehr und mehr die Frage stellen, wie mit der AfD im Bundestag, aber auch in den Ländern umgegangen werden soll. Denn so schnell wird man sie nicht wieder los.
In der politischen Praxis zeigt sich mehr und mehr, dass das Konzept der «Brandmauer» nicht funktioniert. Es lässt sich nicht vermeiden, dass Gesetze auch mit Stimmen der AfD beschlossen werden und dass Abgeordnete dieser Partei auch in Ausschüssen sitzen. Dabei hilft es vielleicht, sich daran zu erinnern, dass die Parlamente in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland von alten Nazis durchseucht waren. Aber die Demokraten wussten, dass die Parlamente ohne diese Kräfte gar nicht arbeitsfähig gewesen wären. Auch die Verwaltungen, die Universitäten, die Justiz, nicht zuletzt die Presse boten alten Nazis zum Teil sogar beachtliche Karrieren. Konrad Adenauer sagte damals: «Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat.»
Zu bequeme Ausgrenzungstaktik
Trotzdem entwickelte sich die Bundesrepublik zu einer gefestigten und weltweit geachteten Demokratie. Und die 68er-Studentenbewegung setzte das Thema der Altnazis noch einmal aggressiv auf die Tagesordnung, so dass sich das Bewusstsein für die Verbrechen der Vergangenheit erneut schärfte.
Alice Weidel darf nicht zu einer Kanzlerdebatte im Fernsehen eingeladen werden. Für sie wäre das ein demokratischer Ritterschlag. Aber die demokratischen Politiker dürfen es sich in ihrer Position der Abgrenzung oder der Ausschliessung nicht zu bequem machen. Alexander Gauland sagte beim Einzug der AfD in den Bundestag grossmäulig in Bezug auf die demokratischen Parteien: «Wir werden sie jagen.» Die Demokraten sollten sich mehr anstrengen, damit aus den selbsternannten Jägern Gejagte werden. Bislang machen sie es sich mit ihrer Ausgrenzungstaktik viel zu bequem. Stattdessen müssen sie argumentative Feinarbeit leisten, um jeweils die braunen Wurzeln der Programme und Reden der AfD freizulegen. Gerade in dieser Zeit, in der weltweit antidemokratische Kräfte mehr und mehr an Macht und Einfluss gewinnen, ist das nötiger denn je.