Für die entspannte Fortbewegung in städtischen Revieren gibt es ein schönes Wort: flanieren. Wer es tut, ist gemächlichen Schrittes unterwegs zu einem Ziel, das warten kann. Vielleicht geht man auch nur um des Gehens Willen. Derweil schwebt und schweift die Aufmerksamkeit durch die Umgebung, sie veranlasst den Halt hier vor einem Plakat, da vor einem Schaufenster. Angezogen von einer Erscheinung oder gelenkt von einer Eingebung wechselt der Flaneur Richtung und Tempo. Sein Weg ist für ihn selbst nicht vorhersehbar, und so flaniert man denn meist allein.
Herrscht ein Gedränge, in dem alle ihre Ziele und Pläne im Kopf haben, so wird der Flaneur zum Hindernis. Ausserhalb der Brennpunkte und Stosszeiten jedoch koexistieren die unterschiedlichen Bewegungsintensitäten. Beidem, der Eile wie dem Schlendern, gibt die Stadt Raum und Recht. Und aus diesem Nebeneinander entsteht das Lebensgefühl der Urbanität.
Seit einiger Zeit kreuzen durch die asynchronen Bewegungsmuster der Gehenden in vielen Stadträumen vermehrt pfeilschnelle und lautlose Vehikel. Erst waren es Velos, für die es in Zürich – anders als etwa in Kopenhagen oder Rotterdam – keine eigenen Wegnetze gibt und deren Fahrer darum auch durch Fussgängerbereiche flitzen. Seit die meisten Velos elektrisch geboostet sind, haben ihre Geschwindigkeiten kräftig zugelegt. Und nun sind in hellen Scharen die elektrischen Trottinettes dazugekommen, sauschnell und unhörbar auch sie.
Dieser Zwischenruf soll nicht in der Klage über die Rücksichtslosigkeit rasender E-Bikerinnen und das Treiben der mit ihren Smartphones beschäftigten Trotti-Piloten kulminieren. Er möchte vielmehr auf eine Veränderung aufmerksam machen: Das Gehen in der Stadt ist daran, sich in eine Form der Verkehrsteilnahme zu verwandeln. Gehen erfordert bereits die gleiche Aufmerksamkeit wie das Steuern eines Autos auf einer dreispurigen Autobahn oder das Navigieren durch einen Verkehrskreisel auf dem Fahrrad. Kein Schritt zur Seite ohne Blick zurück über die Schulter! Kein Richtungswechsel ohne vorgängiges Beäugen des gesamten Umfelds!
Velos, E-Bikes, E-Trottis, Hoverboards, Monowheels, E-Skateboards und was da noch kommen wird sind clevere, teils auch lustige oder trendige Beiträge zur städtischen Mobilität. Da sie aber hierzulande in der Verkehrsplanung ungenügend oder überhaupt nicht vorkommen, ergiessen sich die Velos und das E-Kleinzeug in die vorhandenen Räume: auf Strassen, wo die Fahrerinnen und Fahrer gefährdet sind, und in die Fussgängerbereiche, wo sie ihrerseits zu Gefahren werden. Flinkes Ausweichen ist mit den genannten Fahrgeräten genauso wenig möglich wie brüskes Bremsen, und die Geschwindigkeiten sind so hoch, dass ein Zusammenprall zu schwersten Verletzungen führen kann.
Das Fahren mit Velos und E-Vehikeln hat stark zugenommen und wird weiter anwachsen. Bis Planung und Regelung dieses Typs städtischen Verkehrs greifen, wird es dauern. Lange genug, um der urbanen Erscheinung des Flaneurs den Garaus zu machen und den übrigen sich zu Fuss Bewegenden alle Sorglosigkeit auszutreiben.