Seit Monaten hat der Iran weder in Syrien noch im Irak einen Botschafter, obwohl der Gottesstaat mit Mann und Material an der Seite der dortigen Regierungen kämpft. Und zu Saudi-Arabien gibt es aus Opposition gegen die dortige Regierung keine diplomatischen Beziehungen. Dabei fühlen die Saudis sich derzeit als künftige Sieger, mit Trump und Netanjahu im Hintergrund.
Zugang zur Macht für „junge Journalisten“
„Club junger Journalisten“ – das klingt freundlich und zukunftsorientiert. Junge Journalisten, sonst Konkurrenten und Einzelgänger, tun sich in einem Verein zusammen, tauschen Informationen aus und helfen sich gegenseitig: eine interessante und positive Sache, möchte man meinen, egal, wo ein solcher Club sein mag.
Doch in dessen iranischer Variante sind die Clubmitglieder mehrheitlich weder jung noch im eigentlichen Sinne Journalisten. Trotzdem – oder wahrscheinlich gerade deshalb – sind sie einflussreich und respekteinflössend. Steht „YJC“, die Abkürzung des Clubs, auf einer Visitenkarte, hat man praktisch einen Türöffner in der Hand: zu mehr Macht und Ruhm, zu besserer Karriere und mehr Geld. Eingeweihte wissen: Ein Clubmitglied ist mächtig, weil es zu den Strategen der Macht gehört, Zugang zum Kern des iranischen Propagandaapparats hat und in Geheimdienstkreisen ein- und ausgeht. Und das war von Anfang an so.
Mächtiger Propaganda-Apparat
Gegründet haben den Club die Revolutionsgarden und der Geheimdienst. Es war im Frühjahr 1999. Reformpräsident Mohammad Chatami war gerade zwei Jahre im Amt und der Iran erlebte eine Pressefreiheit, die in seiner langen Geschichte ihresgleichen suchte. Vieles war in diesen zwei Jahren ins Wanken geraten: In Zeitungen und Zeitschriften las man plötzlich unzensierte Artikel, es wurden Dinge infrage gestellt, die bis dahin zu den Grundfesten der Islamischen Republik gehört hatten. Selbst bei Funk und Fernsehen, der Bastion der Hardliner, machten sich hier und da gewisse Lässigkeiten und Grenzüberschreitungen bemerkbar. Alarmiert von bald unkontrollierbar erscheinenden Zuständen, hielt Revolutionsführer Ali Khamenei eine seiner prägenden Reden. Es sei an der Zeit, dieser gefährlichen Gehirnwäsche einen mächtigen Damm entgegenzusetzen, sagte er Ende April 1999. Seine Zuhörer waren Kommandanten der Revolutionsgarden und führende Beamte des Informationsministeriums.
Zwei Tage nach Khameneis Ansprache rief Ali Laridjani, damals Chef des staatlichen Fernsehens und selbst einst Kommandant der Revolutionsgarden, den „Club junger Journalisten“ ins Leben. Das Informationsministerium, konservative Kreise und sogar Freitagsprediger begrüssten den neuen Verein, der nach und nach zu einem mächtigen Propaganda-Apparat wurde.
Funktionäre des Clubs sitzen seither an den Schaltstellen vieler Printmedien, kontrollieren Radio und Fernsehen und leiten diverse Zensurbehörden, die sich um die virtuelle Welt kümmern. Die Webseite des Clubs informiert das Publikum auf ihre Weise: mit Enthüllungen aller Art, Hinweisen aus den Machtzentren und Interviews mit reuigen Gefangenen. Der „junge Club“ sitzt direkt an der Quelle der Geheimnisse. „Jung“ heisst auch die Tageszeitung, die die Revolutionsgarden herausgeben. Die Webseite des Clubs ist die Brille, durch die der harte Kern der iranischen Macht die Welt sieht.
Militärexperte als Botschafter in Bagdad
Man liest dort oft auch Exklusivinformationen, die es sonst nirgendwo geben darf. So meldete der „Club junger Journalisten“ am 13. Februar, Iraj Masjedi sei zum neuen Botschafter des Iran in Bagdad ernannt worden, man warte auf seine Akkreditierung, die bald eintreffen werde. Diese Meldung war für viele Beobachter eine Überraschung: ein Signal für eine neue Eskalation.
Denn der 70-jährige Masjedi ist Kommandant der Quds-Brigaden, einer Spezialeinheit der Revolutionsgarden für Auslandsoperationen: Er ist ein Brigadegeneral, der sich seit 35 Jahren ausschliesslich mit paramilitärischen Einheiten und dem so genannten asymmetrischen Krieg beschäftigt. Er selbst bezeichnet sich als Experte für Milizwesen.
Masjedi gilt als rechte Hand von Ghassem Soleymani, dem Schattenmann des Iran in den Bürgerkriegen der Region. Als der Club die Meldung über diese Ernennung veröffentlichte, war Donald Trump gerade drei Wochen Präsident der USA und hatte während dieser Zeit bereits mehrmals öffentlich kundgetan, er werde den Einfluss des Iran im Irak zurückdrängen. Wie soll man also Masjedis Ernennung verstehen: als iranische Antwort auf Trumps Tiraden? Als echte Entscheidung oder leere Provokation?
„International gesuchter Kriegsverbrecher“
Einen Tag nach der Meldung über Masjedis Ernennung nannte der saudische Fernsehsender „Al Arabieh“ den designierten Botschafter einen international gesuchten Kriegsverbrecher. In den Tagen darauf fragten saudische Kommentatoren mit drastischen Worten, ob der Irak noch ein arabisches Land sei und die Regierung in Bagdad sich traue, einem solchen Mann die Akkreditierung als Diplomat zu verweigern. Schliesslich kam es deswegen gar zu einer diplomatischen Krise zwischen dem Irak und Saudi-Arabien, an deren Ende der saudische Botschafter den Irak verliess.
Signale an Trump und Rouhani
Ist Iraj Masjedi also nun Irans neuer Botschafter im Irak? Wurde seine Akkreditierung beantragt und wenn ja, was bedeutet dies für die iranische Aussenpolitik in Zeiten Donald Trumps? Zu diesen heiklen Fragen schweigt das iranischen Aussenministerium. Und der stets lächelnde Aussenminister Javad Zarif kann auch gar nicht anders, weil die Ernennung neuer Botschafter für bestimmte Länder nicht zu seinen Aufgaben gehört. So einfach ist das.
Andere Akteure in der Region aber müssen die Meldung sehr ernst nehmen, daher die harsche Reaktion der Saudis und die Spannung zwischen Bagdad und Riad. Wenn ein General des iranischen Milizwesens der künftige Botschafter seines Landes im vom Bürgerkrieg zerrütteten Irak werden soll, welches Signal wollen die Mächtigen damit senden und wer sind dessen Adressaten?
Der erste ist sicherlich der neue US-Präsident, der begreifen soll, mit wem er es zu tun bekommt, falls er im Irak gegen den Iran zu handeln gedenkt. Ob Trump diese versteckte und komplexe Botschaft allerdings auch versteht, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass ein anderer Präsident, der auch zu ihren Adressaten gehört, sie mit Sicherheit längst verstanden hat: Es ist der iranische Präsident Hassan Rouhani selber, der diese Meldung sehr ernst nehmen muss. Denn er ist sich ihrer Bedeutung sicher bewusst: Ein iranischer Botschafter im Irak ist stets ein Revolutionsgardist, das ist seit dem Sturz Saddam Husseins so, und das wird einstweilen so bleiben.
Zeit der Krieger, nicht der Diplomaten
Und wer aus den Reihen der Revolutionsgarden nach Bagdad geschickt wird, bestimmen nicht der Präsident oder sein Aussenminister, sondern der Oberbefehlshaber der Streitkräfte: Revolutionsführer Khamenei. Hat er sich entschieden, wieder einen aus den Reihen der Quds-Brigaden zu entsenden? Offenbar ja. Auch der jetzige Botschafter, der 54-jährige Hassan Dannaie Far, ist Revolutionsgardist der ersten Stunde und Mitglied der Quds-Brigaden. Khamenei geht offenbar davon aus, dass es bis auf weiteres Militärs und nicht Diplomaten sein werden, die bestimmen, wohin der Irak geht. Und dabei haben Rouhani und sein Aussenminister nichts zu sagen.
Vakanter Posten in Damaskus
Ein ähnliches Szenario spielt sich dieser Tage auch im Falle eines anderen Kriegsschauplatzes ab: Syrien. Als Rouhani vor bald vier Jahren sein Amt antrat, war Reza Raouf Scheibani schon seit fast zwei Jahren Botschafter in Damaskus. Der Krieg hatte kurz nach seinem Eintreffen in Damaskus begonnen, und sehr schnell entwickelte sich Syrien zu einem heissen Pflaster für den Iran.
Da schien der 65-jährige Raouf Scheibani der richtige Mann an der richtigen Stelle zu sein. Er musste viel leisten, um die iranische Position in Syrien zu verteidigen. Syrien gehöre zur „strategischen Tiefe der Islamischen Republik“, hat einst Ayatollah Khamenei in einer seiner Grundsatzreden gesagt. In den ersten zwei Jahren des dortigen Krieges ging es darum, Assad effektive Militärhilfe zukommen zu lassen, Mann und Material soweit es ging, ohne dass die Aussenwelt viel davon erfuhr. Als das nicht mehr zu verbergen war, weil die Zahl der iranischen Gefallenen kontinuierlich stieg, galt es zusätzlich zum Einsatz iranischer Verbände auch den Einmarsch der Hisbollah-Truppen aus dem Libanon und schiitischer Gruppen aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan zu koordinieren.
Der Botschafter tat all das sehr gut, vor allem die Radikalen waren zufrieden mit ihm. „Botschafter zur Verteidigung der Heiligen Schreine“, so nennen Scheibani jene Presseorgane, die den Hardlinern nahe stehen. Und würde der so Gelobte jemals seine Memoiren schreiben, könnte man wohl unglaubliche Details aus diesem Krieg erfahren. Zeit dazu hätte er jetzt, denn nach fast sechs Jahren hat sich Scheibani Anfang Oktober von Bashar Al-Asad verabschiedet. Er wurde aus diesem Anlass mit den höchsten Orden Syriens dekoriert – und vom Abschied seiner Frau Katayun Raouf Sheybani von der Präsidentengattin Asma Asad gibt es ein Bild, das die Radikalen im Iran am liebsten vergessen möchten.
Wer wird Botschafter in Damaskus?
Wer Raouf Scheibani auf dem überaus wichtigen Posten in Damaskus folgen soll, ist ungewiss. Ganz vorsichtig brachten Anfang Januar Rouhani nahestehende Zeitungen einen ehemaligen Diplomaten ins Spiel, doch kaum war dessen Name in der Welt, folgten die Angriffe der Hardliner so heftig, dass momentan niemand mehr davon redet, ob und wann der Botschafterposten besetzt wird.
Kurioser könnte die Situation nicht sein: Die Islamische Republik kann sich nicht entscheiden, wer in Syrien und im Irak Botschafter werden soll. Dabei setzt man enorme militärische und finanzielle Mittel ein, damit die dortigen Regierungen an der Macht bleiben. In einem dritten arabischen Staat der Region dagegen hat man keinen Botschafter, weil man alles daran setzt, dass dessen Regierung kollabiert: Saudi-Arabien.
Von der Ökumene zum Krieg?
Schon in den ersten Tagen seines Amtes hat Rouhani alles versucht, um eine halbwegs normale Beziehung zu Saudi-Arabien herzustellen. In seiner ersten programmatischen Rede vor dem Parlament wählte er mit Bedacht freundliche Formulierungen, schlug eine Art islamische Ökumene vor, in der Saudi-Arabien eine tragende Rolle spielen würde.
Mehrmals gab der Präsident zu, er würde gern die „heilige Erde“ besuchen, um „Zwistigkeiten“ zu bereinigen. Doch alles vergeblich: Es kam zu keiner Annäherung. Schlimmer noch: Nie waren die Spannungen zwischen Riad und Teheran so gross, so gefährlich wie in diesen Tagen kurz vor Ende von Rouhanis Amtszeit. Saudi-Arabien ist dabei, eine regionale Koalition gegen den Iran zu schmieden, in der auch die Türkei und Israel entscheidende Rollen spielen. Es gibt Beobachter, die sogar eine direkte Konfrontation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien in absehbarer Zeit nicht ausschliessen.
Trumps Koalition?
Die Szenerie erscheint noch düsterer, wenn man bedenkt, dass all das kompatibel erscheint mit Trumps nebulöser Vorstellung für den Nahen Osten: Araber kaufen US-Waffen und führen damit einen Kampf, mit dem auch Israel einverstanden ist. Ob Rouhani dieses drohende Szenario abwenden kann? Er versucht es unermüdlich. Vor drei Wochen kam der kuweitische Aussenminister zu einer Vermittlungsreise nach Teheran, doch offenbar ohne Erfolg: Die Saudis wollten und könnten keine Vermittlung akzeptieren, schrieb tags darauf ein Kommentator von „Al Arabieh“, da es eine grosse Kluft zwischen den Worten und den Taten des Iran gebe.
Rouhani bat das Emirat Oman, zwischen Iran und den Saudis zu vermitteln. Mit Oman hat man gute Beziehung, das Emirat war der Ort, wo die Unterhändler des Atomabkommens sich regelmässig trafen.
Doch auch diese Reise Rouhanis war vergeblich. Die Krise nähert sich ihrem vorläufigen Höhepunkt. Selbst der gemässigte und ruhige Aussenminister Zarif wird in diesen unruhigen Tagen nervös. Vergangenen Sonntag schloss er eine weitere Eskalation nicht aus: Die Saudis und ihre Verbündeten würden bald bereuen, was sie gegen Iran im Schilde führten.
Die regionale Drohspirale dreht sich weiter, während im Hintergrund Netanjahu und Trump das Notwendige tun, um der Welt den Iran als Hort und Heimat der Bösen zu präsentieren. Nichts machte dies deutlicher als der letzte Tag der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz. Da traten die Aussenminister Saudi-Arabiens, der Türkei und Israels unmittelbar nacheinander auf und alle hatten nur ein Thema: den Iran.
Und für den Fall, dass es im Saal und der Welt draussen jemanden gegeben haben sollte, der trotzdem nicht verstanden hat, worum es geht, beendete Israels Aussenminister Liebermann seine Rede mit dem Satz: „Die Gefahr des Tages hat drei Namen: Iran, Iran und nochmal Iran.“
Klein, aber mächtig
Gäbe es eine Kette der Verantwortung dafür, warum Rouhani am Ende seiner Amtszeit vor einer solchen Drohkulisse steht, gehörte er selbst zu deren letzten Gliedern. Es gab und gibt in der Islamischen Republik kleine, aber mächtige Gruppen, denen die andauernde Spannung mit Saudi-Arabien gut passt.
Als vor einem Jahr etwa fünfzig Demonstranten unter den Augen der Polizei die saudische Botschaft in Teheran in Brand setzten, konnten am nächsten Tag weder Rouhani noch sein Aussenminister ihren Zorn verbergen. Sie wussten, was diese kleine, aber sehr einflussreiche Gruppe weltpolitisch angerichtet hatte: „Diejenigen, die gestern Abend die saudische Botschaft anzündeten und verwüsteten, haben damit eigentlich den Islam und die Islamische Republik beleidigt. Sie haben einer ganzen Nation geschadet und sie gefährdet“, sagte Rouhani damals mit wütender Stimme in die Mikrophone.
Doch das Kind war längst in den Brunnen gefallen. Fast die gesamte Welt verurteilte den Iran: die Arabische Liga, die Europäische Union und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Einzelne Staaten, klein wie die Malediven und gross wie die USA, schlossen sich der weltweiten Verurteilung an.
Im Iran meldete der Generalstaatsanwalt Dowlatabadi, der zu den Hardlinern gehört, eine Woche später, man habe 47 Demonstranten jener Nacht vor der saudischen Botschaft verhaftet. Mehr hat man bisher aber nicht erfahren. Wer sie sind, in welchem Gefängnis sie sitzen und ob gegen sie bereits Anklage erhoben worden ist, weiss man nicht. Dabei hat die Aktion dieser so genannten Demonstranten die nationale Sicherheit des Iran mehr gefährdet als jene Dutzende Blogger und Journalisten, die unter demselben Vorwurf seit Jahren ihr Dasein in den Gefängnissen fristen.
Rouhani wird, so scheint es jedenfalls derzeit, die nächste Wahl gewinnen. Doch ob er dann auch genug Kraft haben wird, die heraufziehenden Gefahren von seinem Land abzuwenden, ist zweifelhaft.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal