In diesen Verhandlungen versuchen Vertreter der am Abkommen von 2015 beteiligten Parteien, zu dem damals von ihnen mit dem Iran geschlossenen Atomabkommen zurückzukehren.
Nicht gerade optimistisch klangen aber in letzter Zeit öffentliche Erklärungen zu den Erfolgsaussichten: So mahnte US-Aussenminister Anthony Blinken, man werde nach der gegenwärtigen Pause natürlich wieder nach Wien kommen, aber könne und werde die Verhandlungen nicht unbegrenzt fortsetzen. Ähnliche Töne sind aus dem Weissen Haus zu hören.
Vorbehalte
Diese Einschränkung wird betont, obwohl die in Wien im April aufgenommenen indirekten Verhandlungen zwischen Iran und den USA auf ein Wahlkampf-Versprechen Bidens zurückgehen: Dieser hatte die Aufkündigung des ursprünglichen Abkommens durch Donald Trump (im Jahre 2018) verurteilt und für den Fall seines Wahlsieges angekündigt, diesen Punkt auf die Liste der zu korrigierenden Massnahmen seines Vorgängers zu setzen. Und in Teheran wurde Ähnliches gefordert: Wenn Washington zum Atomabkommen zurückkehre, dann werde Iran seinerseits dasselbe tun, nämlich eine Reihe von Massnahmen zurücknehmen, die man aus Verärgerung über Trumps Politik ergriffen hatte. In erster Linie soll die seitdem gesteigerte Anreicherung von Uran auf die 2015 vereinbarten Begrenzungen reduziert werden. Die iranische Hauptforderung an die USA lautet: Die von Trump erneut verhängten und verschärften sowie weltweit erzwungenen Sanktionen gegen den Iran müssen aufgehoben werden.
Im April begannen die Verhandlungen, an denen auch Vertreter der EU, Russlands, Chinas und der UN-Atomenergiebehörde (IAEA) beteiligt sind. Allzu eilig schien man es zunächst allerdings nicht zu haben: Die Termine fanden in mehrtägigen Abständen statt und es dauerte nicht lange, bis von ersten Unstimmigkeiten zu hören war, die allerdings scheinbar nicht allzu ernst genommen wurden: Immerhin hatten doch alle Beteiligten ein Interesse daran, Wien erfolgreich abzuschliessen. Die neue Administration in Washington will sich klar von Vorgänger Trump abheben und Iran will sich endlich von der Fessel der Sanktionen befreien, die dem Land immer mehr zu schaffen machten – nicht nur in wirtschaftlichen, sondern auch in medizinischen Belangen, die den Umgang mit der Corona-Pandemie mehr als anderenorts erschwert oder gar unmöglich machen. Und schliesslich die Europäer, die sich ursprünglich viel von neuen Wirtschaftsbeziehungen mit Iran versprochen hatten, dann aber klein beigaben, um nicht selbst Erpressungsopfer amerikanischer Sanktionsdrohungen zu werden und die eigenen Interessen in den USA aufs Spiel zu setzen. Ganz abgesehen davon, dass ihr Verhalten der iranischen Bevölkerung geschadet hatte, die einst grosse Bewunderung für Europa gehegt hatte.
Problem der Unzufriedenheit
Im Hintergrund dieser vermeintlichen Übereinstimmung der Interessen allerdings stand die Gefahr, unter Zeitdruck handeln zu müssen. Für den 18. Juni waren in Iran Präsidentschaftswahlen angesagt und es galt als sicher, dass die Regierungszeit des eher Reform-orientierten bisherigen Präsidenten Hassan Rohani in jeder Hinsicht zu Ende gehen würde: weil das Gesetz ihm keine dritte Amtszeit erlaubt und weil fast immer nach zwei Amtszeiten ein krasser Wechsel der politischen Lager stattgefunden hat. Das Wahlergebnis war voraussehbar. Dass diesmal wieder ein Hardliner Präsident werden würde und die Gegner von Verhandlungen mit den USA (und des Atomabkommens überhaupt) die Macht übernähmen. Eile schien geboten, aber trotzdem scheinen die USA sich letztlich damit beruhigt zu haben, dass es ja immerhin der Top-Hardliner Irans – der Oberste Führer Ajatollah Ali Khamenei – selbst gewesen war, der den Verhandlungen zugestimmt hatte.
In der Tat schien sich an der bisherigen Haltung Teherans etwas grundsätzlich zu ändern. Khameneis Kandidat und spätere Wahlsieger Ebrahim Raissi erklärte auch plötzlich, dass er für eine Rückkehr zum Atomabkommen sei. Khamenei steht weiterhin hinter den Verhandlungen, wenn auch mit Abstrichen. So erklärte er, er habe den Iranern zeigen wollen, dass auf Amerikaner und auch Europäer kein Verlass sei. Eine alte These zwar, um die Bevölkerung allgemein von ihrer Bewunderung für das Ausland abzubringen. Aber diesmal hatte Khamenei offenbar versucht, das Volk „bei der Stange zu halten“ Es war dem Obersten Führer natürlich nicht entgangen, dass es breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung gab und gibt und dass diese sich nicht auf das eine oder andere Lager reduzieren lässt. Auch, dass ein Wechsel im Präsidentenamt nicht unbedingt eine tiefgreifende Veränderung mit sich bringt. Zumindest keine Verbesserung.
Der Oberste Führer ist nicht nur geistlicher, sondern auch weltlicher Führer (verantwortlich unter anderem für Justiz und Sicherheit). Und als solcher ist er offenbar dabei, sich unangreifbar zu machen für die Kritiker im Land, deren Heer immer grösser wird. Es dürfte ein vergebliches Unterfangen sein und bleiben. Khamenei bemüht sich, über Kritik jeder Art zu stehen, aber niemand vermag zu sagen, wie lange das gut gehen wird und ob der von ihm ins Präsidentenamt manövrierte Raissi sich tatsächlich als der treue Verbündete erweisen wird, für den er ihn offenbar hält.
Streit um Impfstoffe
Vorläufig zumindest ist mit grossen Abrechnungen unter Raissi wohl kaum zu rechnen. Demonstranten gegen Alltagsprobleme werden vermutlich mehr riskieren als Kritiker der Regierungspolitik. Beispiele hierfür gab es in den letzten Monaten immer wieder und am krassesten waren die Vorwürfe gegen die Regierung wegen ihrer angeblich nachlässigen Corona-Politik. Ein Thema, das die iranische Öffentlichkeit mehr berührt als alle anderen Themen:
Die Anzahl der Todesopfer in Folge von Corona-Erkrankungen ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums bei rund 100’000 angelangt. Wie die Teheraner Tageszeitung „Hamshahri“ schreibt, sind bisher aber nicht einmal 12 Prozent der Bevölkerung einmal und keine 3,25 Prozent zweimal geimpft. Laut diverser Beschwerden seien Vorschläge reicher Iraner von den Behörden zurückgewiesen worden, Impfstoff im Ausland zu besorgen und nach Iran zu bringen. Die Beschwerdeführer forderten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, in einem Interview mit „Hamshahri“ entkräftete Alireza Ra’isi, stellvertretender Gesundheitsminister und Sprecher des Nationalen Corona Zentrums, die Vorwürfe allerdings: Einmal sei es illegal, privat Impfstoff in den Iran zu importieren. Hierzu sei eine offizielle Genehmigung nötig, um sicher zu gehen, dass es sich nicht um unechten Impfstoff handelt. Und selbst wenn es eine iranische Importgenehmigung gäbe, dann nütze die wiederum im Ausland nichts, denn dort verkaufe man Impfstoff auch nicht an Privatpersonen. Der Verkauf werde nur über die WHO abgewickelt, dort aber könne der Iran auch offiziell keinen Impfstoff kaufen, weil die dort geführten Unterlagen dies nicht vorsähen.
Gelegentlich gelinge es dem Iran zwar, Impfstoff offiziell zu importieren, es sei aber immer zu wenig. Betuchte Iraner versuchten inzwischen, in Länder zu reisen, wo sie geimpft werden können, dies sei aber auch keine Lösung. Wie das Beispiel Armenien gezeigt habe: Dort hatte man dem Iran angeboten, iranische Touristen kostenlos zu impfen. Eine grössere Zahl von Iranern seien dorthin gereist, hätten Flugticket und Hotel bezahlt und seien dann schliesslich einmal geimpft worden.
Wenn die Delegationen nun bald wieder zu ihrem dann achten Arbeitstreffen in Wien anreisen sollten, dann wäre es vielleicht nützlich, die Nichtiraner unter ihnen auch über solche Dinge zu informieren. Hier geht es nicht allein um Macht, sondern um Menschenleben.