Seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehmann Brothers, der als Auftakt der Finanzkrise gilt, sind nun etwas mehr als zwei Jahre verstrichen. Viele Leute glauben nun wegen der leichten Konjunkturerholung, die vor Jahresfrist, allerdings ohne neue Jobs, eingesetzt hat, wäre die Krise überwunden und die Weltwirtschaft sei auf den alten Wachstumspfad zurückgekehrt.
Der spanische Premierminister Zapatero verstieg sich Ende September 2010 sogar zur Aussage „die europäische Schuldenkrise ist beendet“. Diese Annahme könnte sich als folgenschwerer Irrtum erweisen.
Realitätsverdrängung und Schönrederei standen auch am Beginn der Finanzkrise. Viele Europäer redeten sich ein, die US-Subprime-Hypothekenkrise sei eine lokale Angelegenheit in Amerika. Tatsächlich begann alles harmlos mit Eigenheimbesitzern in den USA, die sich im Verhältnis zu ihren Eigenmitteln und vor allem zu ihren Einkommen hoch, meist zu hoch verschuldet hatten.
Sie hofften ihre Hypotheken mit dem Wertzuwachs ihrer Immobilien amortisieren zu können. Dieses Unterfangen ist etwa vergleichbar mit einem Gast, der ohne Geld in ein Luxusrestaurant einkehrt und Austern in der Hoffnung bestellt, er finde in der Muschel Perlen, mit denen er dann seine Mahlzeit bezahlen könne. Als dann aber die Immobilienpreise um 30% einbrachen und über 3 Mio. Wohneinheiten pro Jahr zur Zwangsversteigerungen kamen, schlugen sich die Kredit- und Zinsausfälle auch in den inzwischen weltweit bei Anlegern und Banken als Wertpapiere verbriefte Hypotheken nieder. Der Neubaumarkt brach um rund 80% ein und die Baukrise dauert nun schon fünf Jahre.
Die Welt befindet sich nicht auf Erholungskurs, sondern in einer gefährlichen Ab-wärtsspirale. Die Subprime-Hypothekenkrise weitete sich auf den gesamten Kreditsektor aus und daraus entstand ein Misstrauen der Banken untereinander. Die Risikoprämien, d.h. die Zinsaufschläge gegenüber den Leitzinsen, stiegen im Interbankengeschäft für einige Grossbanken massiv an, es kam zu Liquiditätsabflüssen, ganze Teilsegmente der Kredit- und Kapitalmärkte froren ein und die Aktienmärkte stürzten um 56% (in Lokalwährungen) ein.
Die Zurückhaltung bei der Kreditvergabe und der Run auf Liquidität führte schliesslich zu einem Einbruch der Weltwirtschaft. Auch wenn der Rückgang des weltweiten BIP um 1% im Jahre 2009, der erste seit 60 Jahren, gering erscheint, so ist zu beachten, dass diese Korrektur auf eine 10 jährige Wachstumsphase mit einem Wachstum von knapp 4% pro Jahr folgte und die Industrieländer mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um rund 4-5% weit stärker betroffen wurden.
Nur dank den Emerging Markets, die heute rund 47% der kaufkraftbewerteten Weltwirtschaft ausmachen und deren Grossmächte China und Indien auch während der Weltfinanzkrise weiterhin Wachstumsraten zwischen 5% und 10% erzielten, errechnet sich ein milderer Durchschnittswert.
Auf die realwirtschaftliche Rezession folgte die Staatsfinanzkrise. Die milliardenschweren Hilfspakete für Banken und Versicherungen, und Kon-junkturpaketen, die teilweise für Umverteilungsprogramme missbraucht wurden, führten zu einem weiteren Verschuldungsschub. Die Staatsverschuldung erreichte anfangs 2010 in vielen Ländern ein Ausmass, das von den Rating Agenturen und den Anlegern nicht mehr goutiert wird. Deshalb begannen letztere Staatsanleihen jener Länder, bei denen früher oder später eine Restrukturierung der Staatsschulden mit Kapitalschnitt und Zinsreduktionen droht, zu verkaufen, was zu teils massiven Kursverlusten bzw. Zinsanstiegen führte.
Andererseits flüchteten viele Anleger in Staatsanleihe jener Staaten, die noch als erstklassig galten. Die Renditen dieser Anleihen sanken deshalb auf teils historische Tiefststände. Die Risikoprämien von zweifelhaften Staatsschuldnern gegenüber erstklassigen nahm innerhalb der EU massiv zu, nachdem zuvor jahrelang praktisch nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Qualitäten einzelner Staaten unterschieden wurde. Unter dem Vorwand "diskretionäre Geldpolitik" kauften die Notenbanken Staatsschulden ihrer eigenen und auch anderer Länder auf. So verschwand im Jahre 2009 praktisch die gesamte Neuverschuldung Grossbritanniens von immerhin rund GBP 200 Mrd. im Portefeuille der BoE. Die US-Neuverschuldung wurde teilweise im Ausland, teilweise beim US-Fed zwischengelagert und selbst die EZB begann, entgegen den ursprünglichen Intentionen mit dem Aufkauf von Staatsschulden.
Dazu kommen nun neue Methoden der Geldbeschaffung, wie die Ausgabe von IOU (I owe you = ich schulde ihnen), gewissermassen Gutscheine anstelle von Bargeld, durch amerikanische Bundesstaaten. Die Staaten haben begonnen in Eigenregie indirekt Geld zu drucken, die Staatsschulden werden monetarisiert.
Die Schnürung der Rettungspakete für Griechenland rückte im Mai 2010 die Dimension der Staatsverschuldung vieler Länder ins Rampenlicht. Mit EUR 110 Mrd. Soforthilfe der Euro-Länder und des IWF an Griechenland und der Gründung eines aus den Staatsrechnungen ausgegliederten EUR 750 Mrd. schweren EFST (European Financial Stability Fund) kauften sich die EU und der IWF für teures Geld Zeit.
Der fiskalpolitische Spielraum ist nicht nur in den EU-Peripherieländern erschöpft. Auch ausserhalb der EU sind viele Staaten gezwungen Sparmassnahmen einzuleiten, wollen sie nicht an den internationalen Kapitalmärkten mit massiv höheren Zinssätzen für künftige Staatsschulden abgestraft werden.
Die Weltwirtschaft befindet sich derzeit in einer Phase, in der staatliche Konjunkturprogramme noch nachwirken, die angekündigten Sparmassnahmen aber noch nicht greifen. Die Solvenzprobleme vieler Länder beginnen sich nun auch zusehends in den Währungen niederzuschlagen. All diese Probleme engen den Handlungsspielraum vieler Notenbanken ein, die mit ihrer Tiefzinspolitik ohnehin kaum noch konjunkturelle Impulse auslösen können. Sie sind praktisch gezwungen, ihre Leitzinsen tief zu halten und weiterhin Staats-anleihen aufzukaufen.
Andere Notenbanken wie die SNB oder die Bank of Japan intervenieren in noch nie erlebtem Ausmass an den Devisenmärkten, um ihre Exportwirtschaft vor einem Kollaps zu bewahren. Problematischer ist die Situation für jene Länder, die in eine Gemeinschaftswährung wie den Euro eingebunden sind. Viele der EU-Länder profitierten in den letzten Jahren von dieser Einbindung, denn die einst hohen Zinsen in Spanien, Portugal, Italien, Griechenland oder in Skandinavien passten sich nach und nach an die tieferen Zinsen Deutschlands an.
Die besagten Länder nutzten aber die sinkenden Zinskosten nicht, um ihre Staatsverschuldung beschleunigt abzubauen. Im Gegenteil, sie erhöhten ihr Staatsschulden noch. Dank sinkenden Zinsen fielen in den Staatsrechnungen per Saldo nicht höhere Zinskosten an.
Die Verpflichtung der Euro-Länder, die jährliche Defizitquote nicht über 3% ansteigen zu lassen und die Schuldenlast auf 60% des BIP einzudämmen wurde bereits 2002, d.h. 3 Jahre nach der Einführung des Euro, erstmals durch Deutschland und Frankreich ohne Konsequenzen, die eigentlich in den Maastrichter-Verträgen vorgesehen sind, gebrochen. Damit wurde ein Dammbruch provoziert, denn nun fühlten sich auch andere Länder nicht mehr an diese Versprechen gebunden und sowohl Deutschland als auch Frankreich wurden rückfällig.
Heute stellt sich die Defizitquote der EU-Länder auf 6-7% und die Verschuldung liegt über 90% des BIP. Einige Länder weisen jedoch wesentlich höhere Defizit- und Verschuldungsquoten auf. Sie werden trotz staatlichen Sparprogrammen nicht in der Lage sein, ihre Verschuldungsprobleme zu bewältigen, denn seit Ausbruch der Finanzkrise sind die Anleger skeptischer geworden. Sie sind nicht mehr bereit, maroden Staaten mit unglaubwürdigen Regierungen ihre Spargelder anzuvertrauen.
Am Beispiel Griechenland lässt sich die hoffnungslose Situation illustrieren. Selbst wenn die Verschuldung Griechenlands von gegen EUR 300 Mrd. per Jahresende 2009 den Tatsachen entsprechen würde, ist das Land nicht in der Lage, die Zinsen, die am Kapitalmarkt für 10-jährige Staatsanleihen bei über 11% liegen, zu bezahlen.
Der theoretische Zinsaufwand von EUR 33 Mrd. entsprächen rund 38% der Staatseinnahmen. Bisher bezahlte Griechenland EUR 12 Mrd. Zinsen. Die Zu-satzbelastung von EUR 21 Mrd. kann nie und nimmer bei anderen Budgetposten eingespart werden, denn die Staatsausgaben übersteigen mit EUR 120 Mrd. bereits heute die Einnahmen um EUR 32 Mrd. Müsste sowohl das Defizit als auch die zusätzlichen Zinskosten weggespart werden, dann müssten die Staatsausgaben um EUR 50 Mrd. bzw. 44% gekürzt werden.
Eine solche Rosskur ist politisch auch in Griechenland nicht durchsetzbar. Werden aber die Steuern massiv angehoben, dann wird die Wirtschaft erst recht abgewürgt. Woher soll dann noch der Privatkonsum herkommen und warum sollen die Unternehmen dann noch investieren?
Griechenland wird derzeit nur über Wasser gehalten, weil die EU und die IMF für EUR 110 Mrd. Soforthilfe bis 2013 gesprochen haben und diese Gelder nicht zu marktgerechten über 10% sondern nur zu 5% verzinst werden müssen. Aber es ist eine Illusion zu glauben, mit neuen Schulden der EU könne man die Schuldenprobleme der Mitgliedsländer lösen.
Die Verschuldungsproblematik der Industrieländer ist aber nicht nur eine Folge der Finanzkrise. Im Durchschnitt der G-7 Länder stieg die Staatsverschuldungsquote seit 35 Jahren an. In den 50er und 60er Jahren nahmen die Verschuldungsratios dank starkem Wirtschaftswachstum signifikant ab und erreichte in den G-7 Ländern 1974 ein Tief von 35%. Der starke Anstieg der Staatsausgaben in den Jahren 1965-85 reflektiert eine Abkehr vom einem Staat, der nur Kernfunktionen wahrnahm hin zu einem Vollkasko- und Umverteilungsstaat. Rund 80% der Ausgabenzunahme entfiel in diesen Jahren auf den Ausbau der Altersvorsorge und des Gesund-heitswesens.
In den USA machten die Altersrenten, die Gesundheitsausgaben und die Wohlfahrt im Jahre 1950 ganze 8% des US-Budgets aus, heute sind es 58%. Der Anstieg der Verschuldung ist umso erstaunlicher, als in den Jahren 1960 bis 2007 eine Reduktion der Militärausgaben die Budgets entlastete. Bis vor der Krise stieg die Verschuldung der G-7 Länder auf 80% des BIP an. Ende 2010 werden sie bei 110% angekommen sein. Jeden Tag wächst die US-Staatsverschuldung um USD 4 Mrd., jene der EU Länder um rund EUR 1-2 Mrd., jene Japans um rund USD 3 Mrd. Wenn die Regierungen nichts unternehmen, werden die Verschuldungsquoten gemäss IWF bis 2030 auf 200%, bis 2050 sogar auf 440% ansteigen.
Um die Staatsverschuldung zu stabilisieren, müssten die Staaten ihre Haushalte um rund 6 ½ BIP-Prozentpunkte, das sind rund 14% der Staatshaushalte, verbessern, entweder über Ausgabenkürzungen oder Einnahmensteigerungen.
Um bis 2030 die G-7 Verschuldung wieder auf 60% zu drücken, wären sogar 8 ½% bzw. 19% notwendig. Der IWF-Perspektivstudie vom 1. September 2010 zur Staatsverschuldung ist zu entnehmen, dass eine weitere Zunahme der Staatsschulden um 40% in den G-7 Ländern in den nächsten Jahren durchaus realistisch erscheint. Diese Schuldenexplosion könnte nach Ansicht des IWF die realen Zinsen um rund 2% in die Höhe treiben, woraus eine jährliche Wachstumseinbusse von 0.5% resultieren würde. Mit jedem Prozent Zinsanstieg wird der Sparbedarf der Staaten zur Stabilisierung der Schulden um 1 BIP-Prozentpunkt zunehmen.
Ohne Reform der Altersvorsorge werden jedoch die Ausgaben bis 2030 um weitere 3 BIP-Prozentpunkte ansteigen. Eine Anhebung des Rentenalters um rund 2 Jahre innerhalb der nächsten 20 Jahre würde ausreichen, die Rentenverpflichtungen zu stabilisieren. Eine Anhebung des Rentenalters ist jedoch politisch nur schwerlich durchsetzbar. Die Gesundheitsausgaben werden bis 2030 ebenfalls um weitere 3 BIP-Prozentpunkte zunehmen.
Die Industrieländer stehen deshalb vor einer extremen Herausforderung, weil sie eine Korrektur ihrer Überschuldung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt in Angriff nehmen sollten, wo neue Lasten seitens der Altersvorsorge und der Gesundheitskosten auf sie zukommen.
Länder, die eine politische Radikalkur nicht wagen und die nötigen Abstriche an den zu stark ausgebauten Staatsgebilden und Sozialwerken nicht durchsetzen, werden früher oder später in die Schuldenfalle geraten und ihre Zinsen nur noch durch Neuschulden bezahlen können. Dies führt zu Zinssteigerungen, Abwertungen und Wohlstandsverlusten.
Die Markteingriffe der Notenbanken und der Regierungen haben dazu geführt, dass viele Bereiche des Kapitalmarktes heute künstlich von der Politik und nicht mehr durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden.
Wenn aber Marktpreise nicht mehr Angebot und Nachfrage reflektieren, kann es rasch zu immensen Fehlallokationen von Kapital kommen. Dies war ja schon zu Beginn der Hypothekenkrise in den USA der Fall. Der Herdentrieb der Schuldenmacherei wurde durch die staatsnahmen Pfandbriefbanken Fannie Mae und Freddie Mac und durch die Tiefzinspolitik des US-Fed anlässlich der New Economy Krise gefördert.
Die Tiefzinspolitik mag zwar vielen verschuldeten Unternehmen willkommen sein, und auch viele Staaten können die zusätzlichen Kosten der Neuverschuldung dank tieferen Zinsen gegenüber der Steuerzahlern vertuschen. Leidtragende sind die Altersvorsorgewerke, die ihre Rentenversprechen mit höheren Renditen an den Kapitalmärkten budgetiert haben. Wenn diese Renditen von 4-5% in der Schweiz, in den USA oft von 6-8% nicht erzielt werden, dann entstehen Deckungslücken, die vor allem die aktive Bevölkerung trifft, weil diese die Löcher der Rentnerkassen decken müssen.
Die Tiefzinspolitik trifft aber auch die private Altersvorsorge. Experten der europäischen Versicherungsindustrie haben Ende September eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, dass alleine in der EU jährlich rund EUR 1'900 Mrd. mehr für das Alter gespart werden müsste, um im Pensionsalter den heutigen Wohlstand zu halten. Davon entfallen rund Zweidrittel auf Deutschland (EUR 469 Mrd.), Grossbritannien (EUR 379 Mrd.), Frankreich (EUR 244 Mrd.) und Spanien (EUR 171 Mrd.). Und selbst diese Berechnungen basieren noch auf der gewagten Annahme, dass die Erträge auf den Altersguthaben 5% betragen werden.
Selbst wenn diese Prognose zutrifft, stellt sich das jährliche Sparmanko auf rund 16% des BIP 2010. Auf die Staatsfinanz- und Währungskrisen dürfte somit die Sozial-werkkrise folgen. Einige Staaten haben zwar schon begonnen, die nicht mehr finanzierbaren Leistungen ihrer Sozialwerke zu reduzieren, indem sie eine Erhöhung des Rentenalters oder einen Verzicht auf Teuerungsanpassungen der Renten ankündigten. Leistungskürzungen werden aber zusehends auf politischen Widerstand stossen. Deshalb ist nicht auszuschliessen, dass sich daraus letztlich Staatskrisen mit sozialer Unrast entwickeln könnten.
Der vorgezeichnete Weg ist alles andere als erfreulich und letztlich ist die heutige desolate Situation auf die globale Schuldenmacherei zurückzuführen. Diese Aussage betrifft nicht nur die Privaten, sondern auch die Staaten.
Welche Schlüsse kann man aus dem geschilderten Trends ziehen? Zusammenge-fasst bedeutet dies: "fasten your seatbelts".
1.Wir müssen uns in den Industrieländern auf ein geringeres Wirtschaftswachstum einrichten, wobei diese Durststrecke durchaus 10 Jahre und mehr anhalten kann.
2.Die Geld- und Fiskalpolitik entfallen weitgehend als Konjunkturinstrumente. Im Gegenteil. Sie werden in Zukunft eher als Bremsklötze wirken, wenn Sparprogramme und allenfalls wieder höhere Zinsen wirksam werden.
3.Höhere Steuern stehen bevor, denn die Regierungen werden die notwendigen Sparmassnahmen im Staatshaushalt und bei den Sozialwerken politisch nicht durchsetzen können. Die Steuerlast wird von immer weniger Unternehmen und Gutverdienenden, meist Unternehmern, getragen werden müssen.
4.Die von den Regulierungsbehörden geforderte Aufstockung der Eigenkapitalbasis der Banken, die Reprivatisierung der Staatsbeteiligungen an Finanzinstituten und die Neuverschuldung der Staaten wird die Kapitalmärkte derart stark belasten, dass die Privatwirtschaft verdrängt wird. Die EZB-Stresstests der EU-Banken im Herbst 2010 ergaben zwar nur einen Refinanzierungsbedarf von EUR 3.5 Mrd. Andere Experten orten mehr als zehn mal höhere Kapitallücken.
5.Je länger die Tiefzinspolitik anhält, um so gravierender werden die Er-tragsprobleme der Altersvorsorgewerke. Massive Nachfinanzierungen oder Rentenkürzungen werden den Privatkonsum und die Unternehmen treffen. Auch ohne Anlageprobleme werden die Kosten der Altersvorsorge, des Gesundheitswesens und der Pflegeversicherung in den kommenden Jahrzehnten massiv zunehmen. Insgesamt erwartet die EZB für die OECD-Ländern weitere 9 Prozente des Bruttosozialproduktes, die dafür aufzuwenden sind.
6.Gesunde finanzierte Unternehmen mit grosser Innovationskraft und hoher Produktivität in unregulierten Sektoren werden als Sieger hervorgehen. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der grössten 1200 Weltkonzerne sind dies heute schon fast 50% der Grossunternehmen vom Staat direkt oder indirekt reguliert. Sobald regulierte Unternehmen vermeintlich übermässige Gewinne erzielen, versucht der Staat diese abzuschöpfen, sei es mit Sondersteuern für Atomkraft, für Bankdienstleistungen etc. Solche Regulierungen und Sondersteuern hemmen das Unternehmertum.
7.Deflation wird ein Thema werden und die Notenbanken und Regierungen verfügen kaum über Instrumente, um eine Spirale sinkender Preise zu bekämpfen. Rentenversprechen von Pensionskassen und Lebensversicherungen werden in einem deflationären Umfeld schwerlich einzuhalten sein.
8.Die Gefahr von Staatspleiten wird zunehmen und in Europa wird das Währungskorsett Euro, das den Handlungsspielraum der Regierungen einengt, in Frage gestellt werden. Führende US-Ökonomen wie Nouriel Roubini, rechnen innerhalb der nächsten 5 Jahre mit einem Zerfall des EUR-Verbundes. Die finanzielle Situation der grossen EM ist viel komfortabler (Staatsschulden in % BIP 2010: China 17%, Indien 58%, Russland 6%, Brasilien 60%). Ab 2011 erscheint ein weiterer Schuldenabbau realistisch. Die westlichen Industrieländer, vorab die USA, werden immer stärker von ausländischen Geldgebern aus Fernost abhängig.
9.Die anhaltenden Ungleichgewichte der globalen Wirtschaft mit den USA als Konsument auf Pump und den Fernostländern als Sparer, Produzenten und Exporteure werden sich akzentuieren und Protektionismus, Währungskrisen und Aufkäufen von Rohstoffreserven durch die Handelsüberschussländer führen. China und andere Exportnationen werden auf Dauer nicht bereit sein, sich mit Dollars bezahlen zu lassen, dessen Kaufkraft über Abwertungen schwindet. Sie werden, wie bereits in Ansätzen erkennbar, diese Dollars in Sachwerte umtauschen, wozu nebst Rohstoffreserven auch Unternehmen und Know-how des Westens zählen.
10.Die Weltwirtschaft inklusive Finanzindustrie wird sich beschleunigt weg von den traditionellen Industrieländern nach den Wachstumsmärkte in Fernost verschieben. Unternehmen mit Verbindungen zu diesen Märkten werden profitieren, die übrigen werden mit einer demographisch bedingten Nachfragerückgang zu kämpfen haben.
Hans Kaufmann, Nationalrat, Wettswil