Die Parlamentswahl in Pakistan hat ein unerwartetes Ergebnis gebracht: Eine Partei als (relativen) Sieger, die offiziell gar nicht angetreten war, und unterlegene Parteien, die vermutlich die neue Regierung stellen werden.
«A Game of Thrones in the House of Cards». So charakterisierte ein pakistanischer Freund sein Land nach den Parlamentswahlen vom letzten Donnerstag. Die Anspielung auf die beiden populären Netflix-Serien bildet die Situation drastisch und wirklichkeitsnah ab.
Drei Parteien sehen sich als Wahlsieger, doch zwei davon – die Pakistan Muslim-Liga PML(N) und die Pakistanische Volkspartei PPP – liegen mit 74 (PML) und 53 (PPP) Sitzen weit unter der Hälfte der insgesamt 265 Mandate, selbst wenn sie eine Koalition eingehen. Geradezu paradox ist das Bild der mit bisher 93 Sitzen – relativen – Gewinnerin der Wahl: Es ist eine Partei, die es gar nicht gibt.
Die Gerechtigkeitspartei PTI des ehemaligen Premierministers Imran Khan ist zwar nicht verboten. Sie durfte jedoch nicht antreten, da sie unter Anklage steht, sich als Regierungspartei illegal bereichert zu haben. Während Imran Khan in Haft ist und von der Wahl ausgeschlossen wurde, mussten die PTI-Kandidaten als Unabhängige ins Rennen gehen. Doch trotz dem Verlust symbolträchtiger Partei-Embleme – dem Bild ihres Gründers und dem Parteiabzeichen eines Cricket-Schlägers – konnten sie am meisten Mandate holen.
Wahlgeschacher unter Beobachtung
Selbst nach vier Tagen hat die Wahlkommission das Endresultat noch nicht bekanntgeben können. Für die meisten Wahlbeobachter ist es ein Indiz, dass hinter den Kulissen geschachert wird. Knappe Stimmenmehrheiten sollen, so der Verdacht, noch auf Kandidaten der PML und PPP umgeschichtet werden. Es sind die Parteien, die von den Militärs, den omnipräsenten Schiedsrichtern, im Vorfeld massiv unterstützt worden sind.
Doch im Licht der Scheinwerfer sind solche Taschenspieler-Tricks nicht mehr leicht zu bewerkstelligen. Denn nun hat auch die internationale Gemeinschaft Lunte gerochen und schaut genau hin. Vor allem aber hat die PTI mit den bereits deklarierten Resultaten mächtig Auftrieb erhalten und mobilisiert die Strasse. Zudem haben unterlegene Kandidaten und solche, die immer noch auf ihr Resultat warten, bereits Gerichtsverfahren angekündigt oder angedroht.
Beweismaterial gibt es zur Genüge. Auch wenn sich viele Gerichte als willfährig erwiesen haben, gibt es immer noch zahlreiche Richter, die ihrem Berufseid nachleben. Zudem gab es am Wahltag vor vielen Urnen Szenen offener Manipulation, um Wähler von ihrer Stimmabgabe abzuhalten. Gerade in der Provinz Khyber-Pakhtunkwa, wo PTI die Provinzregierung stellt und viele Anhänger hat, wurden Stimmbürger nach Stunden des Wartens an weit entfernte Stimmlokale umgeleitet; oder sie wurden gleich abgewiesen, weil ihr Name nicht auf der Liste des Stimmlokals erschien, in der sich jede Wählerin zuvor eintragen muss.
Schwierige Regierungsbildung
Doch selbst günstige Gerichtentscheide werden den Unabhängigen, bzw. der PTI, keine Mehrheit einbringen. So sieht es denn danach aus, dass die Establishment-Parteien eine Regierungskoalition von PML, PPP und Regionalparteien sowie einzelnen Unabhängigen zusammenbringen werden. Ihnen hilft, dass zusätzliche siebzig Sitze (für Frauen und religiöse Minderheiten) nach der konstituierenden Sitzung des Parlaments den stärksten Parteien zugeteilt werden. Dennoch wird eine Regierungsbildung schwierig werden.
So hat etwa die PPP trotz ihrer mageren Ausbeute (53) bereits Anspruch auf das Amt des Premierministers angekündigt. Sie kann dies tun, weil sie in zwei Provinzen über eine Sperrminorität in den Regionalparlamenten verfügt (auch diese wurden am 8. Februar bestellt); dies gilt namentlich für den Panjab, die weitaus wichtigste Provinz des Landes. Die PPP hat auch in der zweitgrössten Provinz Sindh (mit der Metropole Karachi) eine absolute Mehrheit erreicht.
Militärs trotz Niederlage an den Hebeln der Macht
Die PTI hat bisher zwar nur zwei Fünftel der Wahlkreise für sich entschieden. Dennoch fühlt sich dies angesichts der massiven Unterdrückung des Wählerwillens wie ein Sieg an – auch für die PTI-Gegner. Darin manifestiert sich nämlich ein massives Misstrauensvotum für die Armee und jene Parteien, die sich dem Machtanspruch der Militärs gefügig zeigen.
Der Wahlausgang ist also in jedem Fall eine massive Niederlage für die Militärs. Ihr Anspruch, die einzige staatstragende und stabilisierende politische Kraft Pakistans zu sein, hat ihre Legitimität eingebüsst. Für viele Pakistaner ist die Armee nur deshalb ein Faktor der Stabilität, weil sie nie zugelassen hat, dass die Demokratie im Land tiefere Wurzeln schlägt.
Im grellen Licht kaltblütiger Machtpolitik kann sich die Armee aber dennoch als Wahlsiegerin sehen. Denn die Gemengelage in diesem «Game of Thrones» lässt befürchten, dass eine neue Regierung nur schwer Fuss fassen dürfte. Gerade die grosse Anzahl von Unabhängigen macht diese anfällig für Lockrufe und Druckversuche. Der Machokult der pakistanischen Politik stellt zudem sicher, dass ein Regierungsamt – und gerade das eines nationalen oder regionalen Ministers – feudale Privilegien bietet, die Testosteron sind für das Ego jedes Politikers. Die Armee ist der Dealer, der ihnen diese Droge zuteilt – oder sie auf Entzug setzt.