Alice Schwarzer hat zusammen mit Sahra Wagenknecht dieser Tage ein sogenanntes Manifest für Frieden publiziert. Bundeskanzler Scholz wird aufgefordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine sofort zu stoppen und sich gleichzeitig für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzusetzen. Wer Kiew aber weitere Waffen ohne Gegenleistung Moskaus verweigert, hilft nicht dem Frieden, sondern Putin.
Ob es ein kluger Zug der unabhängigen Frauenrechtlerin Alice Schwarzer war, ihr neues «Manifest für Frieden» zusammen mit Sahra Wagenknecht, der Exponentin der deutschen «Linken»-Partei zu veröffentlichen, bleibe dahingestellt. Jedenfalls ist Alice Schwarzer in der Öffentlichkeit viel eher als eigenständige politische Denkerin anerkannt als die weitherum als einäugig-linksideologisch fixierte und sektiererisch wahrgenommene Galionsfigur der SED-Nachfolgepartei, Sahra Wagenknecht.
«Eskalation der Waffenlieferungen stoppen. Jetzt!»
Aber wie dem auch sei, natürlich ist es das gute demokratische Recht der beiden gesellschaftlich engagierten Frauen, sich mit einem solchen «Manifest für Frieden» in die Debatte um den Ukraine-Krieg einzumischen und um Unterschriften für ihre Sicht der Dinge zu werben. Dass dies unter dem Angreifer-Regime Putins heute in Russland nicht ohne repressive Folgen möglich wäre, würden sie wohl selber einräumen.
Doch was genau fordern Schwarzer und Wagenknecht? Wörtlich heisst es in dem Manifest: «Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt!»
Der deutsche Regierungschef Scholz soll also die Einstellung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine verfügen – und zwar sofort. Diese Forderung ist realistisch gesehen die einzige in dem Katalog der Manifest-Autorinnen, die Scholz allenfalls per sofort durchsetzen könnte, und dies auch nur in Bezug auf die deutschen Waffenlieferungen. Alle anderen Postulate wie die «Schaffung einer europäischen Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen» würden logischerweise viel Zeit beanspruchen.
Der Angreifer Putin würde profitieren
Von einem unmittelbaren Stopp deutscher und später eventuell anderer westlicher Waffenlieferungen würde zunächst allein der Angreifer Putin profitieren. Er könnte seinen Krieg in der Ukraine ungestört fortsetzen. Es fällt jedenfalls auf, dass die Einstellung deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine mit keiner Gegenforderung an Moskau verknüpft wird. Das erscheint reichlich blauäugig, denn im Grunde würde die Umsetzung ihrer Forderung nach einem sofortigen Stopp westlicher Waffennachschübe einzig auf eine Schwächung der ukrainischen Streitkräfte hinauslaufen. Deren legitimes Ziel ist es, sich gegen die russischen Angreifer zu wehren und diese wenn möglich aus dem Lande zu drängen.
Vernünftiger wäre es, wenn die Autorinnen in ihrem «Friedensmanifest» die Einstellung von deutschen Waffenlieferungen mit der vorherigen Durchsetzung eines umfassenden, international kontrollierten Waffenstillstandes verbinden würden. Diese zeitliche Prioritätenordnung würde zumindest beiden Kriegsparteien die Einhaltung bestimmter Bedingungen vorschreiben. Erst nach einer Einstellung militärischer Aktionen könnte sinnvollerweise über eine längerfristige Lösung des tiefgreifenden territorialen und weltanschaulichen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine verhandelt werden.
Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung?
Ob aber das Putin-Regime und die Selenskyj-Regierung gegenwärtig überhaupt zu einem solchen Waffenstillstand bereit wären, ist nach allem, was man in den vergangenen Wochen aus Moskau und aus Kiew vernommen hat, höchst zweifelhaft. Im Falle der Ukraine ist das auch verständlich. Aussenstehende können kaum das moralische Recht beanspruchen, die Ukrainer zum Niederlegen ihrer Waffen zu drängen, solange der russische Nachbar ihr Land weiter verwüstet und rund ein Fünftel ihres Territoriums besetzt hält.
Putin wiederum hat bisher ebenfalls kein ernsthaftes Interesse an einem kontrollierten Waffenstillstand und an Friedensverhandlungen mit Konzessionsbereitschaft erkennen lassen. Aber über einen Stopp deutscher Waffenlieferungen an Kiew würde er sicher erfreut die Hände reiben.
All diese Faktoren und Überlegungen blenden Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht in ihrem «Manifest für Frieden» der Einfachheit halber aus. Sie halten es für einen grossen Fortschritt und einen Dienst am Frieden, wenn zunächst Deutschland sofort auf weitere Waffenlieferungen verzichtet. Alles andere bleibt im Ungewissen – und die Ukraine soll sehen, wie sie damit zurechtkommt. «Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung», von der im Text dieses Manifests ebenfalls die Rede ist, sieht anders aus.