Nach zahlreichen Hindernissen und Zusammenbrüchen ist die Evakuation von Aleppo nun voll in Gang gekommen. Ebenso auf der Gegenseite jene der beiden von schiitischen Mehrheiten bewohnten Dörfer nahe bei Idlib, Kafraya und Foah, die seit Jahren von Rebellenkräften belagert werden.
Die Bewohner der beiden Dörfer werden nach West-Aleppo in den von der Regierung gehaltenen Stadtteil gebracht; die Bewohner von Ost-Aleppo, die ihre zusammengeschossene Stadt verlassen wollen, gehen zunächst in die Provinz Idlib. Doch hat die Türkei auch die Möglichkeit eines Lagers nah an der türkischen Grenze auf syrischem Territorium vorgesehen, das den aus Aleppo Geflohenen dienen könnte.
Racheaktionen der Konfliktparteien
Das Ringen um die Evakuation wurde durch einen Streit über die Gegen-Evakuation der beiden Dörfer erschwert und trug zu dem tagelangen Hin- und Her bei, in dessen Verlauf es auch zur Verbrennung von vier oder fünf Autobussen in Idlib-Stadt und dem Tod eines ihrer Chauffeure kam. Es waren sunnitische Rebellenmilizen, die diese Busse angriffen, weil sie von der Stadt Idlib aus zu den beiden Dörfern fahren sollten, um die dortigen Schiiten zu evakuieren.
Dass es sich bei der Attacke auf die Busse um eine Hassaktion gegen die Schiiten handelte, machten die Slogans und Rufe der Angreifer klar. Offiziell haben alle Gruppen, die in Idlib stehen, sich von dieser Aktion distanziert. Auch die „Eroberungsfront Syriens“ (Ex-Nusra) tadelte die Aktion über ihren Sprecher, obwohl manche Quellen wissen wollten, die Angriffe seien aus ihren Reihen hervorgegangen.
Ähnlich steht es bei anderen Übergriffen gegen die Evakuationsfahrzeuge von Seiten der Regierungsmilizen. In einem Fall verursachten sie vier Tote, und alle männlichen Insassen des Busses wurden gefesselt und dann geschlagen, Männer und Frauen ausgeraubt und der Bus gezwungen, in die Ruinen der belagerten Oststadt zurückzukehren. Die Slogans auch jener Angreifer machten klar, dass sie Rache üben wollten, vermutlich für ihre Gefallenen. Auch ihre Aktionen wurden nicht offiziell von der syrischen Regierungsseite gebilligt.
Was die Geheimdienste Asads stillschweigend tun, wenn sie dazu Gelegenheit erhalten, ist die männlichen Flüchtlinge von der Rebellenseite von ihren Familien abzusondern, um zu prüfen, ob sie Teil des bewaffneten Widerstands waren oder nicht. Bei dieser Gelegenheit ziehen sie auch jüngere Männer, die ihren obligatorischen Militärdienst nicht absolviert haben, für die Armee ein. Wie diese „Nachzügler“ dann im Dienst behandelt werden, steht noch offen. Dass es ihnen besonders gut gehen könnte, ist nicht zu erwarten. Die Gefahr ist, dass aus ihnen „Sondereinheiten“ gebildet werden, was auf Strafbatallione hinauslaufen würde.
Kompromiss im Sicherheitsrat
Parallel zu dem Ringen um die Evakuationen spielten sich Diskussionen im Sicherheitsrat in New York ab. Eine französische Resolution schlug vor, dass der Generalsekretär Beobachter nach Aleppo senden solle, um die ordnungsgemässe Evakuation sicherzustellen. Russland formulierte einen Gegenvorschlag und drohte mit einem Veto gegen den französischen Entwurf.
Die Franzosen erklärten, im Fall eines russischen Vetos würden sie eine Sondersitzung des Sicherheitsrates über Aleppo einberufen. Doch dann erfolgten Verhandlungen über einen Kompromiss zwischen den beiden Resolutionsentwürfen.
Die Konzession, welche die Russen einhandeln konnten, war im wesentlichen, dass die neue Kompromissformulierung die Entsendung von Beobachtern „in Zusammenarbeit mit den betroffenen Parteien“ forderte. Das bedeutet, dass der Generalsekretär der Uno mit der Asad-Regierung und „den Rebellen“ darüber verhandeln muss, wie, wo und wann die Beobachter eingesetzt werden. Der französische Entwurf hatte einfach die Entsendung von Beobachtern gefordert.
Schwierige Mission für Uno-Beobachter
Am Montag um 14.30 Uhr (GMT) wurde der korrigierte Entwurf einstimmig angenommen. Doch Asad hat klar gemacht, dass er ihn nicht gerne sieht. Sein Botschafter im Sicherheitsrat erklärte, es handle sich um eines der vielen Propagandamanöver des Westens zugunsten der „Terroristen“. Das dürfte bedeuten, dass die geforderte „Zusammenarbeit“ mit Asad schwierig und zeitraubend ausfallen wird. Auch die Zusammenarbeit mit den Rebellen wird nicht einfach werden, weil es sich um unterschiedliche Gruppen mit divergierenden Interessen handelt. Ihr Zusammenschluss unter der Führung von Ex-Nusra ist unvollständig und instabil.
Für die Russen war offenbar wichtig, dass die vorgesehenen Beobachter Asad nicht aufgezwungen werden, sondern mit seiner Zustimmung wirken müssen. Dies ganz im Sinne des russischen Anliegens, die Souveränität Asads zu stützen und zu bewahren. Bleibt abzuwarten, ob die Beobachter überhaupt kommen werden, und falls sie kommen, wie sie eingesetzt werden können.
„Friedensvorbereitungen“ in Moskau
Sprecher des türkischen Aussenministeriums gaben bekannt, dass auf Dienstag in Moskau ein Treffen der Aussenminister Russlands, der Türkei und Irans über Syrien angesagt sei. Sie sollen darüber beraten, was in Syrien weiter geschehen soll. Dabei ist offenbar vorgesehen, dass die Türkei für die syrischen Rebellen sprechen soll, natürlich unter Ausschluss der gewaltwilligen islamistischen Jihadisten, das heisst jedenfalls und mindestens der Ex-Nusra-Front und des IS. Iran wird für das Asad-Regime sprechen, und die Russen reservieren für sich die Rolle der Grossmacht, die „Frieden stiftet“ – natürlich nach ihrem Befinden darüber, wie dieser aussehen soll.
Wesentlich für Russland ist, dass die USA von der Friedenssuche ausgeschlossen sind und nach Möglichkeit es auch bleiben. Aus Moskauer Sicht wird dadurch der Nahe Osten unter russische Vormacht gestellt.