„Fast nur Sieger im Erbfall Gurlitt“, titelte TA-Chefredaktor Res Strehle in der Dienstagsausgabe. “Hoffen auf einen guten Stich“ – schon etwas vorsichtiger – fasste NZZ-Kunstredaktor Samuel Herzog die riskante Motivlage des Berner Kunstmuseum zusammen. So kommentierten sie die Annahme der Erbschaft von Cornelius Gurlitt, des Sohns eines der emsigsten Kunstverwerter aus der Nazi-Zeit.
Vertrackte Verhandlungen
Cornelius Gurlitt war am 6. Mai ohne Nachkommen verstorben und hatte zur allgemeinen Verwunderung kurz vorher das Kunstmuseum Bern zum Universalerben eingesetzt. Ein halbes Jahr hatte das Kunstmuseum Bern mit der Annahme der Erbschaft gezögert, bis sein Stiftungspräsident, Christoph Schäublin, am Montag in Berlin das Jawort überbrachte.
Als freudige Mitunterzeichner zeigten sich die deutsche Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, und der bayrische Justizminister Winfried Bausback. Von der Schweizer Regierung war niemand da. Der Schweizer Botschafter Tim Guldimann, der sich auch im Interesse des Aussenministeriums EDA sehr für die Lösung eingesetzt hatte, sass unter den Zuschauern. Das Innenministerium EDI, in dem das Bundesamt für Kultur mit Spezialisten für Raubkunst-Restitution angesiedelt ist, äusserte sich nicht.
Ein ungewöhnliches 13-seitiges Vertragswerk lässt ahnen, wie vertrackt die Verhandlungen gewesen sein müssen. Die Risiken sind hoch.
- Raubkunst: Drei wichtige Bilder – darunter ein Hauptwerk von Matisse – sind als Raubkunst bereits anerkannt und zur Rückgabe bestimmt. Rund 500 der 1300 Bilder, die deutsche Steuerfahnder in Gurlitts vermüllter Münchner Wohnung beschlagnahmt hatten, und 240 von 400 Objekten in einer Salzburger Zweitwohnung gelten „hoch raubkunstverdächtig“ und werden unter deutscher Verantwortung untersucht. Bis zum vorläufigen Abschluss verbleiben sie in Deutschland; dann wird das Berner Museum unterscheiden, ob es das Werk übernimmt oder nicht. Es gilt das späte „Washingtoner Abkommen“ über Werte aus der Holocaustzeit, das Deutschland und die Schweiz 1998 unterzeichnet hatten. Auch das Berner Kunstmuseum (wie alle grösseren Schweizer Häuser in einem Befolgungsgelöbnis) tragen es mit. Angesichts der überall drohenden Verjährungseinwände sagt der letzte der „nicht bindenden Grundsätze“ von 1998: „Die Nationen werden ermutigt, Verfahren zur Umsetzung [moralischer] Prinzipien“ zur Lösung von Eigentumskontroversen zu entwickeln“. „Eigentumskontroversen“ können natürlich auch nach ersten schweizerisch-deutschen Befunden andauern, selbst mit Ansprechern aus dem Ausland.
- „Entartete Kunst“: Hier geht es um Werke, die die Nazis während der 1930er Jahre in Museen abhängen liessen und zum Teil im Ausland – etwa bei den berüchtigten „Judenauktionen“ der Luzerner Galerie Fischer – zum Kauf anboten. Bereits vor Wochen hatten sich gewichtige Schweizer Stimmen vernehmen lassen: „Hardliner“ Andrea F. Raschèr, damals im Bundesamt für Kultur einer der Väter entsprechender Gesetze, hielt gegenüber der NZZ viele der seit 1938 beschlagnahmten modernen Werke ebenfalls für befohlenen „Raub“, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne (Mai 2014). Er bezweifelte, dass sich das Berner Museum einen solchen Rückbehalt [moralisch] leisten dürfe. Bereits melden sich seit dem Wochenende deutsche Museen mit dieser These. Die Berliner Vereinbarung sagt laut Kunsthaus-Stiftungsratspräsident Schäublin (im „Tages-Anzeiger“ vom Dienstag), man werde Werke – oft auf Papier - den ehemals besitzenden deutschen Museen „ausleihen, sofern dies konservatorisch verantwortbar ist und kein Eigenbedarf besteht“. Ein etwas verklausuliertes Angebot, mit dem sich grössere Museen im Nachbarland kaum zufrieden geben werden, deutsche Minister hin oder her. – Von Raschèr scharf abgesetzt hatte sich in der NZZ der Doyen der Basler Urheber- und Kunstrechtler, Rechtsanwalt Frank Vischer. Er und Raschèr sind alte Gegenspieler. Vischer mahnte, viele, die damals nach Ausmusterungs- und Zerstörungsaktionen in Nazi-Deutschland hierzulande „entartete Kunst“ kauften, müssten eigentlich „als Retter moderner Kunst gelten“ (Juni 2014). Das trifft zum Bespiel auf das Kunstmuseum Basel zu. Die Gesetze über „entartete Kunst“ seien übrigens nie widerrufen worden [stehen aber offenbar seit 1968 nicht mehr in der deutschen Gesetzessammlung]. Nur: Wenn das Basler Museum zu Recht auf dem (bezahlten) Eigentum an damaligen „Rettungskäufen“ beharrte, gilt dies nicht unbedingt im gleichen Masse für das nazi-bekleckerte Gurlitt-Erbe.
Das sind nur zwei der sehr heiklen Aspekte des Berner Erbantritts. Stiftungsratspräsident Schäublin schwelgt „in verhaltener Vorfreude“ über den Coup. Man würde es ihm und dem Berner Museum gönnen, dass der Zuwachs von Werken mit dem Etikett Gurlitt-Erbe, in dem sich laut NZZ kaum eigentliche Meisterwerke befinden, nicht per Saldo in der Übernahme eines kulturpolitischen „Schwarzen Peters“ von erleichterten deutschen Ministern endet.
Der Jurist Studer hat (mit Bruno Glaus) einen Ratgeber über schweizerisches Kunstrecht geschrieben.