Diese beiden Firmen hatten während der Zeit ihrer florierenden Geschäfte Zehntausende von Bauerbeitern aus dem indischen Subkontinent und aus dem Fernen Osten beschäftigt.
Streichung von Bauprojekten
Die beiden Grossfirmen litten aber später darunter, dass die Regierung von grossen Bauprojekten zurücktrat, um Geld zu sparen. Ihre Leitungen behaupten darüber hinaus, die Firmen selbst seien nicht bezahlt worden für Projekte, die sie bereits ausgeführt hätten, sowie für Pläne, die nun beiseite gelegt wurden. Wie immer die ohne Zweifel komplexen Einzelheiten sein mögen, Tatsache ist, dass die beiden Grossfirmen ihre Arbeiter nicht mehr regelmässig bezahlen.
Manche dieser Arbeiter behaupten, ihre Monatslöhne seien schon seit mehr als sechs Monaten nicht mehr bezahlt worden. Darüber hinaus gibt es theoretisch vereinbarte Sonderprämien und Zulagen, die ebenfalls fällig wären, aber nicht entrichtet werden. Die Regel in Saudi-Arabien ist, dass die Fremdarbeiter einstellenden Firmen die Reisepässe dieser Fremdarbeiter einziehen und sie bei sich behalten, bis das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird und die Arbeiter entweder nach Hause zurückkehren oder – mit Erlaubnis der ersten Firma – Arbeit bei einer anderen annehmen.
Die Pässe der Fremdarbeiter bleiben konfisziert
Doch nun, im Zeichen der Krise, weigern die beiden Grossfirmen sich, ihren Arbeitern die Pässe zurückzuerstatten, bevor diese nicht eine Erklärung unterschrieben haben, nach welcher ihnen kein Geld mehr geschuldet sei.
Die Arbeiter leben in Lagern, wo die Firmen für ihren Unterhalt sorgen. Die Kosten dafür werden den Arbeitern in Rechnung gestellt. Ohne Reisepass können die Arbeiter diese Lager nicht verlassen, um anderswo Unterschlupf zu suchen. Die Polizei droht, alle jene gefangen zu nehmen, die sich ohne Dokumentation und ohne Anstellungsvertrag im Lande befinden.
Da die Arbeiter kein Einkommen mehr haben – und manche auch Schulden bei irgendwelchen Händlern – können sie auch ihren Lebensunterhalt in den Lagern nicht mehr bezahlen, und die Organisation der Lager bricht zusammen, da auch kein Geld mehr fliesst, um sie zu betreiben. Dies führt zu Hunger und Verzweiflung unter den Arbeitern. Streiken oder demonstrieren auf den Strassen ist in Saudi-Arabien streng verboten und kann ebenfalls Gefängisstrafen einbringen. Doch die Not unter den Arbeitern wurde so gross, dass diese mehrmals versuchten, trotz des Verbots zu demonstrieren oder Strassen zu sperren, um auf ihre Lage hinzuweisen.
Wohltätigkeit anstelle von Gerechtigkeit
Die indische Botschaft versucht, ihre Landsleute mit Nahrungspaketen zu unterstützen, andere Botschaften haben begonnen dies ebenfalls zu tun. Die Botschafter der Auswanderungsländer protestieren auch bei den saudischen Behörden. Doch diese scheinen nicht willens oder nicht in der Lage, die Grossfirmen zu zwingen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, obwohl die Firmen von milliardenschweren Besitzern geleitet werden.
Bin Ladin gehört der berühmten Familienfirma des gleichen Namens, deren Schwarzes Schaf Osama bin Ladin war. Rogers Saudi gehört der libanesischen Familie Hariri, ihre Leitung liegt heute in den Händen von Saad al-Hariri, dem libanesischen Politiker und Sohn des 2005 ermordeten libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri.
Der Skandal ist so laut geworden, dass König Salman kürzlich beschloss, ein 27-Millionen-Dollar-Programm aufzustellen, das sich mit der Ernährung, Hilfe und Heimschaffung der entlassenen Fremdarbeiter befassen soll. Heimschaffungen finden bereits statt, jedoch bis heute nur dann, wenn die Opfer unterschrieben haben, dass ihnen kein Geld mehr geschuldet sei.
Hilflos gegenüber den Milliardären
Die Grossfirmen sind eigentlich verpflichtet, ihren Arbeitern die Pässe zurückzuerstatten, wenn sie sie entlassen. Doch soweit man sehen kann, findet dies in vielen Fällen nicht statt. Im Gegenteil, das Vorbild der Baufirmen scheint Schule zu machen. Immer mehr schwerreiche Besitzer von Firmen in Schwierigkeiten suchen sich durch den Trick mit den Pässen und Bezahlungsabfindungen von ihren Schulden gegenüber ihren Arbeitern zu befreien.
Dabei entsteht die paradoxe Situation, dass je länger die Arbeiter nicht entlohnt worden sind, desto tiefer verschuldet befinden sie sich in der Hand ihrer ehemaligen Arbeitgeber. Das heisst, die Betroffenen erleiden umso grössere Verluste, je länger sie unbezahlt für die Baufirmen gearbeitet haben.
Den Opfern fehlt das Geld und der Reisepass, um die Ausreise zu organisieren. Aber in Saudi-Arabien gehen ihnen die Unterkunftsmöglichkeiten und die Nahrungsmittel aus. Die sozialen Machtverhältnisse in Saudi-Arabien sind derart, dass Fremdarbeiter nicht in der Lage sind, sich gegenüber schwerreichen Kapitalisten saudischer Nationalität durchzusetzen. Gewerkschaften sind im saudischen Königreich streng verboten.
Unbezahltes Spitalpersonal
Neue Meldungen sprechen von einem Luxusspital in der ostarabischen Stadt Khobar, in dem ausländische Ärzte und Krankenschwestern arbeiteten. Auch diese seien teilweise seit Monaten nicht mehr entlohnt worden. Die Betroffenen sagen, sie wüssten, dass das Spital gut verdiene. Doch die Angestellten sähen kein Geld. Besitzer des Spitals ist die Saad-Gruppe eines gewissen Maan al-Sanea, der verschiedene Geschäfte in Saudi-Arabien und im Ausland betreibt.
Unter dem Personal befinden sich auch amerikanische und englische Ärtze. Dies machte es möglich, dass eine Delegation der unbezahlten Angestellten des Spitals den lokalen Gouverneur von Khobar besuchte, um ihm ihre Lage zu schildern. Der Gouverneur soll das Spitalpersonal aufgefordert haben, ihren Streik weiterzuführen (obwohl dies eigentlich illegal ist). Er werde in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass sie bezahlt würden.
In einem anderen Spital in der gleichen Erdölprovinz, wo ebenfalls die Löhne angeblich seit Mai nicht bezahlt worden waren, ging das Personal dazu über, die Korridore des Spitals zu besetzen, um zu protestieren. Sie sollen daraufhin bezahlt worden sein.
Die Krise des Ölpreises
Die Gesamtlage ist dadurch gegeben, dass die niedrigen Ölpreise das Staatsbudget ins Wanken gebracht haben. Es besteht ein Defizit für das laufende Jahr von 93 Milliarden Dollar. Der Staat versucht einerseits zu sparen, andrerseits auch das bisherige Wirtschaftssystem umzustellen, so dass in der Zukunft, wenn die Pläne aufgehen, nicht mehr der Staat als der weitaus wichtigste Geldgeber auftreten soll, sondern private Unternehmen die Hauptlast der Wirtschaft zu tragen hätten. Diese Umstellung soll nach den Plänen des Zweiten Kronprinzen und Lieblingssohns des Königs, Muhammed Ibn Salman, schon im Jahr 2030 vollendet sein.
Was aber zunächst geschieht, ist der ungeplante Umstand, dass die wehrlosen Fremdarbeiter aus dem indischen Subkontinent und Südasien in erster Linie die Kosten der Krise und der Umstellung tragen, einfach deshalb, weil sie das schwächste Glied in dem saudischen Sozialgefüge abgeben.
Korrektur der saudischen Erdölpolitik?
Diese ersten Reibungserscheinungen in der saudischen Wirtschaft sind offenbar einschneidend genug, um zu bewirken, dass das Königreich sich bereit zeigt, von seiner bisherigen Erdölpolitik abzuweichen. Ein OPEC-Treffen in Algier zu Beginn dieser Woche brachte überraschend das Resultat, dass die OPEC-Mitglieder beschlossen, ihre Erdölproduktion zu drosseln, um die Preise wieder höher zu treiben.
Bisher war es saudische Politik gewesen, soviel wie nur möglich zu produzieren, obgleich dies den Weltmarktpreis senkte, weil das Königreich seinen Marktanteil aufrechterhalten wollte. Hinter diesem Bemühen standen politische und wirtschaftliche Überlegungen. Die politischen liefen darauf hinaus, dass ein niedriger Ölpreis dem Königreich weniger schaden werde als dessen Feinden und Gegnern, in erster Linie Iran und Russland.
Vorläufige Einigung in der Opec
Die wirtschaftliche Begründung hatte mit der Entwicklung der Erdölgewinnung aus „Shale“, dem sogenannten Fracking zu tun. Ein niedriger Preis macht diese Technik, die in den USA entwickelt wurde und nun weltweit eingesetzt werden kann, wenig rentabel und daher weniger attraktiv, als dies bei einem hohen Preis der Fall wäre.
Doch nun hat Saudi-Arabien in Algier zugestimmt, dass die OPEC seine Gesamtproduktion absenkt, von 33,5 Milliarden Barrels pro Tag, wie im August, auf 32 oder 32,5 Milliarden Barrels. Allerdings ist noch unbekannt, welcher Staat dabei wieviel Produktionsabstriche zu leisten hat. Eine Kommission wurde gebildet, welche die von jedem Staat zu tragende Reduktion festlegen soll.
Deren Arbeit könnte möglicherweise durch einen Streit zwischen Saudi-Arabien und Iran, beide Opec-Mitglieder, verunmöglicht werden. Iran will nach dem Ende des Wirtschaftsboykotts mehr, nicht weniger, produzieren, und Saudi-Arabien hatte bisher versucht, Iran zu schädigen, indem es selbst maximal produzierte und dadurch einen tiefen Erdölpreis aufrechthielt.