Weniger als 80 Tage bis zum ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am 10. April und die französische Linke spielt weiter Kasperltheater. Nun ist auch noch Christiane Taubira zur Wahl angetreten und hat das linke Kandidatenfeld weiter zersplittert. Man kann es kaum noch fassen.
Eigentlich dachte man, zum verheerenden Zustand der französischen Linken in den letzten Jahren an dieser Stelle schon alles gesagt zu haben.
Doch was ihre verschiedenen Vertreter und Vertreterinnen in diesem Land in den letzten Wochen mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen angestellt haben, schlägt dem Fass dann doch den Boden noch ein Stück weiter aus.
Kandidateninflation und Halsstarrigkeit
Die hoffnungslos zersplitterte Linke zählt keine drei Monate vor der wichtigsten Wahl im Land doch tatsächlich immer noch sieben verschiedene Kandidaten und Kandidatinnen, die im ersten Wahlgang antreten wollen.
Immerhin: Arnaud Montebourg, der ehemals Achte im Bund, ein kluger Kopf und einst Präsident Hollandes Wirtschaftsminister, der in den letzten Jahren in der solidarischen Ökonomie tätig war und meinte, er müsse jetzt auch wieder mitmischen, sein Ego befriedigen und von einer Remontada fabulieren, die er lostreten werde – er hat hingeschmissen. Seine Remontada war nicht mehr als heisse Luft und kam nach mehreren Wochen in den Meinungsumfragen nicht über 1 Prozent hinaus.
Die verbliebenen Kandidaten der Linken aber tun gegen jede Vernunft und Evidenz allesamt weiterhin so, als hätte einer oder eine unter ihnen gegen den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron, gegen die beiden Rechtsextremen Marine Le Pen und Eric Zemmour, sowie gegen die konservative Valérie Pécresse auch nur den Hauch einer Chance, beim ersten Wahlgang am 10. April auf den zweiten Platz und damit in die entscheidende Stichwahl zu kommen.
Die in Vorwahlzeiten wichtigste allmonatliche Meinungsumfrage des Instituts IFOP im Auftrag von «Le Monde» mit über 12’000 Befragten sieht aber im Januar Emmanuel Macron im ersten Wahlgang bei 25 Prozent – für einen amtierenden Präsidenten, der sich zur Wiederwahl stellen wird, ein extrem gutes Ergebnis –, Marine Le Pen und die konservative Valérie Pécresse bei jeweils 15,5 und den rechtsextremen Eric Zemmour bei 13 Prozent. Das sind Zahlen, von denen die linken Kandidaten nur träumen können.
Trotzdem scheint ihnen allen völlig egal zu sein, dass, um ihrerseits in die Stichwahl zu kommen, rein rechnerisch nur eine einzige Möglichkeit bestünde, nämlich sich auf einen einzigen Kandidaten oder eine einzige Kandidatin zu einigen.
Doch dafür, dass es dazu noch kommen könnte, gibt es weit und breit nicht das kleinste Anzeichen, und würde es ein solches geben, wäre es jetzt ohnehin zu spät.
Ein einziger Versuch
Allein der grüne Kandidat, Yannick Jadot, Europa-Abgeordenter und alter Weggefährte von Daniel Cohn-Bendit, hat zumindest das Verdienst, im Frühjahr letzten Jahres rechtzeitig den Versuch gestartet zu haben, die Linke zu einer einheitlichen Kandidatur zu bewegen.
Es folgte damals ein wochenlanges Palaver, ein sich Zieren und ein Festival der Egos im Stil von: Einheit, ja natürlich, ist wichtig und unerlässlich, aber bitte mit meiner Wenigkeit an der Spitze. Wenn ihr euch also bitteschön hinter dieser meiner Wenigkeit einordnen und mich unterstützen würdet, dann hätten wir die perfekte Einigkeit.
Natürlich kam am Ende dieses Versuchs gar nichts heraus. Das bis heute anhaltende Kasperltheater der französischen Linken hatte im März 2021 seine peinliche Generalprobe hinter sich, der danach und bis heute nur noch erbärmliche Aufführungen folgen sollten.
Fünf Jahre nichts getan
Zudem verhält sich die zersplitterte Linke in Frankreich so, als hätte es vor bald fünf Jahren in diesem Land kein politisches Erdbeben gegeben, Präsident Macron mit seinem Wahlsieg die Parteienlandschaft Frankreichs nicht vom Keller bis unter das Dach umgekrempelt und, vor allem, als wäre die gesamte französische Linke damals nicht völlig ramponiert aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen.
Nein, alle aus dem linken Spektrum haben sich fünf lange Jahre und bis zum heutigen Tag nach dem Motto verhalten: einfach weiter so, es kann nur noch schlimmer kommen. Aufarbeitung, Analysen, Projekte und Strategien in den vergangenen Jahren, um mehrere linke Strömungen unter einen Hut zu bekommen und den unaufhaltsam scheinenden, gewaltigen Rechtsruck in Frankreich zu stoppen? Fehlanzeige in diesem Land, in dem der Begriff Koalition ein Fremdwort bleibt.
Muss man daran erinnern, dass der Kandidat der Sozialistischen Partei bei der letzten Präsidentschaftswahl 2017 gerade noch 6 Prozent der Stimmen erzielt hatte und dies sogar mit Unterstützung der Grünen, die damals keinen eigenen Kandidaten präsentiert hatten?
Und dass die gesamte Linke 2017 im ersten Wahlgang – und auch nur dank des Linksaussen Jean Luc Mélenchon und seinen beachtlichen 19 Prozent – insgesamt gerade mal ein Drittel aller Stimmen auf sich vereinen konnte?
Fünf Jahre später ist alles nur noch schlimmer. Man kann sich heute die Finger wund zählen und die Vorhersagen für all die sieben linken Kandidaten und Kanidatinnen addieren, man kommt beim Zusammenzählen nicht mal mehr auf 30 Prozent!
Die Misere in Zahlen
Unter all den Kandidaten aus diesem 30-Prozent-Spektrum erzielt der störrische Linksaussen Mélenchon bei seiner dritten Präsidentschaftskandidatur derzeit in den Meinungsumfragen mit wahrlich nicht gerade fulminanten 8 bis 9 Prozent noch das beste Ergebnis. Mélenchon, der von vorneherein und schon immer eine Einheitskandidatur auf der Linken abgelehnt hat, es sei denn, die anderen hätten sich hinter ihm eingereiht.
Knapp hinter Mélenchon bringt es der Grüne Yannick Jadot auf 7 bis 8 Prozent. Alle anderen linken Zwergkandidaten liegen unter 5 Prozent! Und zu denen gehört doch tatsächlich auch die Kandidatin der Sozialistischen Partei, Anne Hidalgo, die amtierende Pariser Bürgermeisterin, mit zuletzt maximal 4 Prozent.
Die letzten Mohikaner
Die Sozialistische Partei, die noch vor acht Jahren mit François Hollande nicht nur den französischen Präsidenten stellte, sondern gleichzeitig die Mehrzahl der französischen Regionen und wichtigen Städte des Landes regierte, ist auch fünf Jahre nach dem Wahlsieg Macrons weiterhin ein blutleerer Schatten ihrer selbst. Eine Partei, die seit 2017 einfach nicht mehr in der Lage war, so etwas wie eine inhaltliche oder programmatische Arbeit zu leisten und die jetzt anstehenden Präsidentschaftswahlen auch nur annähernd vorzubereiten. Nein, die PS, die in ihren Reihen de facto über kein einziges politisches Schwergewicht mehr verfügt, welches zu einer Kandidatur bereit wäre, ist völlig unbeholfen in den aktuellen Wahlkampf gestolpert und hat letztlich die Pariser Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, ins Rennen geschickt.
Doch die Dame, die vor zwei Jahren bei ihrer Wiederwahl zur Bürgermeisterin der Pariser Bevölkerung felsenfest versprochen hatte, sich ausschliesslich um die Hauptstadt kümmern und keine nationale Verantwortung übernehmen zu wollen, kommt seit der Ankündigung ihrer Präsidentschaftskandidatur einfach nicht vom Fleck und stagniert in den Umfragen bei nicht mal 5 Prozent. Ein Desaster.
Sollte sie ihre Kandidatur aufrechterhalten und die 5-Prozent-Marke nicht erreichen, wäre dies für die ohnehin ausgelaugte Sozialistische Partei zusätzlich auch noch eine finanzielle Katastrophe, da in diesem Fall keine Wahlkampfkosten erstattet würden.
Und noch eine Kandidatin
Und als seien Chaos und Zersplitterung auf der Linken immer noch nicht gross genug, hat am 15. Januar doch tatsächlich auch Christiane Taubira, einst Justizministerin unter Präsident Hollande, ihren Hut in den Ring geworfen, so als handle es sich bei der Mutter aller französischen Wahlen um ein simples Schaulaufen und als würde dabei nicht ein Staatsoberhaupt gewählt, sondern der Vorsitzende eines eingetragenen Vereins.
Gewiss, die aus Französisch-Guayana stammende Politikerin ist seit zwei Jahrzehnten eine Ikone der französischen Linken, wird von der farbigen Bevölkerung in Frankreichs Vorstädten mehr oder weniger umschwärmt und hat zwei gesellschaftspolitisch wichtigen Gesetzen ihren Namen verliehen: dem Gesetz, das 2001 die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte, und dem, welches 2013 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisieren sollte.
Gleichzeitig ist ihr Name aber auch unauslöschlich mit einem ersten politischen Erdbeben für Frankreichs Linke vor zwanzig Jahren verbunden, als bei den Präsidentschaftswahlen 2002 nicht Lionel Jospin, der Kandidat der Sozialisten, sondern der Rechtsextreme Jean Marie Le Pen in die Stichwahl gegen den Konservativen Jacques Chirac kam. Jospin hatten am 21. April 2002 nur wenige Zehntausend Stimmen gefehlt. Stimmen, die damals zu einer gewissen Christiane Taubira gewandert waren, die aus reichlich unersichtlichen Gründen kandidiert und am Ende 2,3 Prozent erzielt hatte. Bis heute sind viele überzeugt, dass sie mit ihrer Kandidatur ein gewaltiges Stück Mitverantwortung für die historische Schlappe der Linken bei den Wahlen 2002 trägt.
Und ausgerechnet diese Christiane Taubira glaubt jetzt mit ihrer spät angekündigten Kandidatur wirklich, von heute auf morgen eine Dynamik auf der Linken auslösen und andere Kandidaten aus diesem Spektrum dazu bewegen zu können, das Handtuch zu werfen, sich ihr anzuschliessen und auf diese Art, wie durch ein Wunder, die Einigkeit der Linken herzustellen?
Von wegen! Erste Meinungsumfragen sprechen eine klare Sprache: Taubira trägt nur noch zusätzlich zur Zersplitterung der Linken bei, nimmt den anderen linken Kandidaten hier und dort Stimmen ab, um in den Umfragen letztlich nicht auf mehr als maximal 5 Prozent zu kommen.
Augen zu und durch
Also fahren all diese linken Kandidaten heute, jeder für sich, mehr oder weniger fröhlich, Fähnchen schwingend, laut hupend und mit kreischenden Reifen an die Wand. Keiner und keine von ihnen können Frankreichs Bürgern und vor allem ihren Sympathisanten erklären, warum sie das tun.
Es sei denn, um zu überprüfen, wer von ihnen am 10. April beim ersten Wahlgang das beste einstellige Ergebnis erzielen wird, für das sich dann niemand etwas kaufen kann. Und um anschliessend allesamt für weitere fünf Jahre zu ihren Sandkastenspielchen zurückkehren, nachdem sie mit resignierten Minen verfolgt haben werden, wie sich in der Stichwahl entweder Rechts und Mitte-Rechts (Pécresse/Macron) oder Mitte-Rechts und extrem Rechts (Macron/Le Pen), oder aber Rechts und extrem Rechts (Pécresse/Le Pen) geschlagen haben und wer von diesen am Ende das höchste Amt im Staat bekleiden wird.
Urwahl von unten
Das Chaos auf der Linken hat in jüngster Zeit sogar noch eine zusätzliche Komponente bekommen. Aus dem Umfeld der verständlicherweise verzweifelten Basis der Linken erblickte eine Initiative das Licht der Welt, die sich «Primaire Populaire» nennt und dazu aufruft, bei einer Urwahl per Internet vom 27. bis 30. Januar den Kandidaten oder die Kandidatin der gesamten Linken für den ersten Wahlgang zu benennen.
Mehr als 400’000 Sympathisanten und Interessierte haben sich inzwischen angeblich für diese Wahl eingeschrieben, bei der sie für alle Kandidaten der Linken stimmen können, egal, ob diese nun mit dieser Urwahl einverstanden sind oder nicht. Eine mehr als skurrile Situation.
Der Linksaussen Jean-Luc Mélenchon, die Sozialistin Anne Hidalgo – nach mehrfachen Änderungen ihrer Position in nur wenigen Wochen (erst dagegen, dann dafür, schliesslich dann doch dagegen) –, der Grüne Yannick Jadot und der Kommunist Fabien Roussel (2,5 Prozent in den Umfragen) lehnen diese Urwahl dezidiert ab und werden ihr Ergebnis nicht anerkennen. Die zwei ultralinken Kandidaten, Nathalie Arthaud und Philipe Poutou, die jeweils mit 1 Prozent gehandelt werden, sowieso.
Nur die letzte erklärte Kandidatin, Christiane Taubira, spielt dieses merkwürdige Spiel mit, hat dabei aber nur drei namenlose Konkurrenten, die zu dieser Urwahl von unten antreten. Eine an sich lobenswerte Initiative, welche am Ende jedoch in diesem linken Dschungel mit Sicherheit gar nichts bewegen wird, es sei denn Schmunzeln oder Kopfschütteln.
Verzweiflung
Um all diese Kandidaten der Linken zur Vernunft zu bringen und zu einer Einheitskandidatur zu bewegen, haben zwölf Persönlichkeiten jüngst sogar über eine Woche lang einen Hungerstreik inszeniert. Unter ihnen der Europaabgeordnete und sozialpolitische Vordenker, Pierre Larroturou und die 75-jährige Tochter von Stéphane Hessel, die wohl noch hoffte, dass sich ihr Vater nicht werde im Grab umdrehen müssen. Gefruchtet hat es nichts, ebenso wenig wie eine Reihe von Appellen für eine einheitliche Kandidatur und Unterschriftenaktionen der letzten Wochen, etwa von 120 namhaften Künstlern, unter ihnen Leinwandstar Juliette Binoche oder Regisseur Stanislas Nordey.
Nein, um der pathetisch-chaotischen Situation, in der die französische Linke steckt, noch eins draufzusetzen, hat sich an diesem Wochenende doch tatsächlich noch einer zu Wort gemeldet, dem man eigentlich weder Intelligenz noch politische Erfahrung abstreiten kann: Ex-Präsident François Hollande, der zwischen 2012 und 2017 die Fahrt in die Hölle der Sozialistischen Partei zumindest mitzuverantworten hatte und am Ende, im Dezember 2016 so tief gesunken war, dass er sogar auf eine Kandidatur für seine Wiederwahl verzichten musste, auch er meinte sich jetzt zu Wort melden zu müssen. Und tat es peinlich verklausuliert.
Bei einem Treffen mit Gymnasiasten im Pariser Vorort Saint-Denis verkündete er, er sei «noch nicht Kandidat», und angesichts der verfahrenen Lage habe eine Kandidatur wohl auch keinen Sinn. Aber generell hätten ehemalige Präsidenten in diesem Land in der Vergangenheit ja durchaus weiter Politik gemacht und auf jeden Fall werde er sich «sehr bald äussern». Man ist versucht zu sagen: Das hat gerade noch gefehlt.
Und Ségolène?
Wollte man wirklich böse sein, dann würde man sagen, in diesem grenzenlosen und orientierungslosen Durcheinander der französischen Linken fehlt jetzt nur noch die allerletzte Stimme einer Has-been. Ja, die von Ségolène Royal, der Madonna der Sozialisten, die nie wirklich verstanden hat, dass sie vor nunmehr 15 Jahren die Präsidentschaftswahl gegen Nicolas Sarkozy tatsächlich und schlicht verloren hat. Seitdem tut sie immer noch so, als sei sie unumgänglich und würde unbedingt gebraucht. Vor allem aber, als würde ihr der französische Staat immer noch etwas – das heisst konkret: einen prestigeträchtigen Posten – schulden.
Zuletzt hatte sie, nach mehreren Versuchen auf der europäischen und internationalen Bühne, im Herbst 2021 versucht, sich in Frankreich als Senatorin für die Auslandsfranzosen wählen zu lassen und wurde dabei sogar von der eigenen Partei gnadenlos abgewatscht. Anschliessend sprach sie weinerlich von einer «unnötigen Erniedrigung», die man ihr zugefügt habe. Nicht unmöglich, dass auch sie, die Ex-Lebensgefährtin von François Hollande und Mutter ihrer vier gemeinsamen Kinder, in dieser desaströsen Situation auch noch einmal ihr Ego spazieren führen will und mit irgendwelchen Ratschlägen daherkommt, die definitiv niemand braucht.