Man wäre schon gerne die kleine Maus gewesen, die am 15 Januar, vier Tage nach Beginn der französischen Militärschläge gegen die islamistischen Rebellen in Mali, im Gepäck von Präsident Hollande in den Wüstensand der Vereinigten Arabischen Emirate mitgereist wäre und hätte lauschen können, was der französische Präsident den Öl- und Gaspotentaten am Golf an diesem Tag so Dringendes zu sagen hatte.
Katar - der heimliche Geldgeber
Feinst ziselierte Worte im Diplomatenjargon der Sonderklasse dürften da gefallen sein, um einen im Grunde haarsträubenden, ja skandalösen Zustand anzusprechen, der am Golf, aber auch in Frankreich, seit gut einem Jahr unter fast alle ausgelegten Teppiche gekehrt wird. Nur das Internetportal „Mediapart“ und der alte „Canard Enchainé“, mit besten Quellen in diplomatischen Kreisen, berichten hin und wieder darüber.
Katar, der milliardenschwere Freund am Golf, seit Jahren kritisch beäugter Grossinvestor in Frankreich (s. Kolumne 50), vor knapp zwei Jahren das arabische Aushängeschild in der westlichen Koalition während des Kriegs gegen Ghaddafi – eben dieser zahlungskräftige Zwergstaat am Golf, der sich zu einem diplomatischen Riesen im afrikanisch-arabischen Raum entwickelt hat, finanziert seit einem Jahr und wahrscheinlich schon länger die Radikalislamisten im Norden Malis, gegen die Frankreichs Präsident die Armee seines Landes in den Krieg geschickt hat!
Katars gespaltene Zunge
Die Machthaber in Doha sprechen, kaum verhohlen, mit gespaltener Zunge. Daran besteht praktisch kein Zweifel mehr. Erst vor zehn Tagen hat das französische Aussenministerium, laut „Canard Enchainé“, in Paris zwanzig Experten zusammengetrommelt, um einen Ausweg aus dieser heiklen Situation zu finden. Paris will die Investoren aus der Golfregion, die auch unter dem sozialistischen Präsidenten immer noch einen steuerlichen Sonderstatus geniessen, nicht vergraulen und zugleich doch vermeiden, dass eines Tages belegt werden kann: Französische Soldaten sind aus Waffen beschossen worden, die Katar den Rebellen im Norden Malis geliefert hat.
Zudem ist es ein offenes Geheimnis, dass mehrere NGOs aus Katar, die seit Monaten im Norden Malis präsent sind, nichts anderes als ein Deckmantel sind. Von Anfang an haben sie sich vor Ort verdächtig gemacht, weil sie jedem Kontakt mit anderen internationalen Hilfsorganisationen aus dem Weg gingen. Und die Transportflugzeuge aus dem Golfstaat, mit dem roten Halbmond Katars getarnt, die in den letzten Monaten ausschliesslich nachts auf den Flughäfen im Norden Malis starteten und landeten, brachten gewiss nicht nur Hilfsgüter ins Land. Und dies bis zuletzt. Als die französischen Streitkräfte wenige Tage nach dem 11. Januar bereits anrückten - so hiess es aus Quellen deutscher Nachrichtendienste und französischer Militärs -, hätten in der nordmalischen Stadt Goa zwei Transportflugzeuge aus Katar den Flughafen dort überstürzt verlassen.
Katar und die Fussball-WM 2022
Als Präsident Hollande diese heiklen diplomatischen Gespräche in den Vereinigten Arabischen Emiraten führte, hatte die französische Fachzeitung „France Football“ noch nicht ihr hochexplosives, 16-seitiges Dossier über die Vergabe der Fussball-WM 2022 an eben diesen Wüstenstaat Katar veröffentlicht.
Ein Dossier unter dem Titel „ WM 2022 - Katargate“, das diese Zeitschrift, die schon so manchen Fussballskandal aufgedeckt hat und nicht dafür bekannt ist, leichtfertig Anschuldigungen zu veröffentlichen, zum Schluss brachte, eigentlich müsste die Wahlentscheidung der FIFA für das Austragungsland der WM 2022 wiederholt werden. Denn, so „France Football“, Katar habe für die Wahl im Dezember 2010, bei der es mit 14:8 Stimmen den Zuschlag sehr deutlich erhalten hatte, eine ganze Reihe von FIFA-Funktionären schlicht bestochen, von denen einige in der Zwischenzeit wegen Bestechlichkeit auch lebenslang gesperrt sind oder gegen die in ihrem Land - was zum Beispiel den Brasilianer, Ricardo Texeira, angeht – ein Verfahren wegen Bestechung eröffnet wurde.
Platini und Sarkozy
Der Gipfel dabei: UEFA-Präsident und französische Fussball-Legende, Michel Platini, einer der 22 Stimmberechtigten, soll während eines diskreten Besuchs Anfang September 2010 bei Frankreichs damaligem Staatspräsidenten, Nicolas Sarkozy, davon überzeugt worden sein, bei der FIFA-Wahl drei Monate später für Katar als Austragungsort der WM 2022 zu stimmen – und dies in Anwesenheit des Emirs von Katar höchstpersönlich, Hamad ben Khalifa al Thani.
Platini streitet wütend ab und droht gar mit gerichtlichen Schritten. Und doch kann er nur schwer erklären, warum er ausgerechnet drei Monate vor der WM-Vergabe durch die Hintertür bei Präsident Sarkozy erschien, bei dem wie zufällig gerade auch der Scheich aus Katar auf dem Sofa sass.
Die mit Geld überfütterten Bürger Katars
Sie werden zu dritt wahrscheinlich über das Wetter geredet haben oder vielleicht darüber, wie man der Öffentlichkeit erklären soll, warum die Kicker aus aller Welt für den Fall, dass Katar die Austragung der Fussball-WM erhält, im Jahr 2022 ihre Spiele unbedingt bei 50 Grad Celsius absolvieren sollen. Und vielleicht haben sie auch darüber gesprochen, was die von vornherein qualifizierte Nationalmannschaft des Gastgebers Katars tun kann, um in 9 Jahren auf dem Platz dann nicht ganz so lächerlich auszusehen.
Sie haben sich vielleicht auch den Kopf darüber zerbrochen, wie man mit wie vielen Millionen und zugleich möglichst diskret ein paar ausländische Balltreter zu katarischen Staatsbürgern machen könnte. Denn der Emir des Golfstaats weiss natürlich genau, dass unter seinen mit Geld überfütterten 250 000 Staatsbürgern keine einigermassen respektable Nationalmannschaft zu rekrutieren ist. Alles, was anstrengend ist, bewältigen in diesem Land schliesslich seit Jahrzehnten rund eine Million geknechteter Arbeitsimmigranten aus Pakistan, Thailand, Nepal oder den Philippinen, die - sobald sie keinen Job mehr haben – gnadenlos wie Vieh aus dem Land vertrieben werden. Der echte Katarer reitet bestenfalls bzw. hält sich Rennpferde oder geht auf Falkenjagd, sofern er nicht gerade mit allradgetriebenen Luxusautos über die Sandpisten seines Landes jagt. Und schaut sich das Balltreten höchstens mal im Fernsehen an, wenn auf allen Kanälen überhaupt nichts Sehenswerteres mehr zu finden ist.
Katar und Paris Saint- Germain
Wie auch immer: Während des geheimen Dreiergipfels im Elysee zwischen dem französischen Präsidenten, dem der UEFA und dem Emir Katars im September 2010 soll es laut „France Football“ noch zu einem weiteren Deal gekommen sein. Gegen Frankreichs freundliche Haltung bei der WM-Vergabe zugunsten Katars und der Stimme von Michel Platini bei der Abstimmung drei Monate später, soll sich der Herrscher des Golfstaates, von Sarkozy gedrängt, bereit erklärt haben, in den maroden Hauptstadtclub Paris Saint Germain zu investieren, was wenige Monate später dann in der Tat auch geschah.
Allerdings war daran noch die weitere Bedingung geknüpft, dass Katar ein Pay-TV für Sportübertragungen in Frankreich aufziehen kann – auch dies geschah klammheimlich und vor allem, ohne dass ein Aufschrei der Empörung durchs Land gegangen wäre, als dieser neue Sender in kürzester Zeit dank der Golfmillionen in Frankreich das Gros der Fussballübertragungsrechte aufkaufte.
Was dann geschah, ist auch über Frankreichs Grenzen hinaus hinreichend bekannt: Der Golfstaat machte mehr als 200 Millionen Euro locker für Spielerkäufe und die Verpflichtung eines Trainers von internationalem Ruf – mehr Transfergelder, als jeder andere europäische Spitzenclub zahlen könnte. Und ein Jahresgehalt von 14 Millionen Euro für den schwedisch-bosnischen Mittelstürmer Ibrahimovic, den Schlagetod, der eine bisher unerreichte Mischung aus Brutalität und Arroganz ausstrahlt, der aber trotzdem zum neuen Star geworden ist. Mit dem zehnfachen Jahresbudget eines durchschnittlichen französischen Erstligaclubs ist Paris Saint Germain in den letzten Wochen nun endlich auch an die Spitze der Tabelle geklettert. Doch das reichte den Herren aus Katar offensichtlich immer noch nicht.
Katar holt den Spice Boy nach Paris
Am 31. Januar, wenige Stunden vor Schluss des winterlichen Mercatos, meldeten die Nachrichtenagenturen doch tatsächlich, dass David Beckham bei Paris Saint Germain einen Vertrag unterschreiben werde. Eigentlich war sofort klar, dass es nicht darum gehen konnte, dass der bald 38-Jährige bei PSG dann auch wirklich Fussball spielt. Das dürfte sich Trainer Ancelotti bei aller Unterwürfigkeit gegenüber den Geldgebern aus Katar dann doch verbeten haben.
Denn de facto hat Beckham seine Fussballerkarriere schon vor über 6 Jahren beendet, als er bei der WM 2006 nach einem verlorenen Viertelfinale Englands gegen Portugal heulend den Platz verlassen hatte. Zudem läuft der Vertrag mit Paris Saint Germain auch nur über 5 Monate, von denen der durchgestylte Herr bestenfalls dreieinhalb bei seinem Club verbringen wird. Und natürlich wird in dieser Zeit ständig ein Privatjet auf dem Flughafen von Bourget stehen, damit der Spice-Boy zum Schlafen schnell nach Hause nach London kann.
Die Ikone in der Schutzhülle
Gewiss, Beckham wird regelmässig Trainingsbilder zulassen und das ein oder andere Mal bei einem Spiel auch über den Platz schleichen, dafür aber – so schrieb z.B. die Tageszeitung „Liberation“ – dürfe man nicht vergessen, ihn erst mal vorsichtig aus seiner Schutzhülle zu holen und ihn nach dem Spiel sofort wieder sorgsamst zu verstauen, damit die Ikone so wenig Kratzer wie möglich abbekommt.
Nein – von Fussball war auch bei der fast heimlich einberufenen Pressekonferenz mit Beckham dann kaum die Rede. Seine Verpflichtung ist nichts anderes als ein schamloser, fast zynischer Werbecoup, bei dem für die Geldgeber der französischen Hauptstadtmannschaft nur eines wichtig war: Beckham ist ein echter Weltstar, ja mehr noch: eine Marke, die rund um den Globus bekannt ist. Der ehemalige Mittelfeldregisseur von Manchester United ist schlicht und einfach dazu da, dass sein Namen mit dem von Paris Saint Germain für einige Monate in Verbindung steht und der Club somit rund um die Welt ebenfalls bekannter wird.
Abgehalftert, aber teuer bezahlt
Und um die Heuchelei perfekt zu machen, wurde dann auch noch angekündigt, Beckham werde sein Gehalt (ca. 800 000 Euro monatlich) nicht kassieren, sondern es werde Kinderhilfsprojekten von Paris Saint Germain zugute kommen. Nach dem Motto: Kids in den Vorstadtghettos, schaut her, Onkel David tut euch Gutes, damit ihr weiter fest daran glaubt, auch ihr würdet einfach dank des Fussballs – und ja nicht durch Schule und Ausbildung – eines Tages aus eurer sozialen Misere und eurer tristen Umgebung herauskommen.
Festzuhalten bleibt ausserdem: Die streng islamischen Herrscher am Golf zeigen sich, wenn es um Investitionen im Ausland geht, plötzlich doch als sehr aufgeschlossene Menschen. Denn in diesem Fall scheint es niemanden zu stören, dass man einen abgehalfterten Fussballer teuer bezahlt, der in den letzten Jahren doch mit seinem Spice-Girl von Ehegattin regelmässig leicht bekleidet Werbung für Unterwäsche gemacht hat.
Zwei Ereignisse an einem Tag
Am selben Tag und fast zur selben Stunde, als Beckham vor hysterischen Medienvertretern wie auf einem Laufsteg seine Pressekonferenz absolvierte, die Paris Saint Germain-Trikots mit Beckhams Rückennummer bereits in den Handel gingen und sozusagen der Startschuss dafür fiel, dass nun der Hauptstadtclub PSG und damit Katar die Marke «David Beckham» mit weltweiter Notorität vermarkten dürfen, da kündigte der Reifenkonzern Goodyear an, dass er sein Werk in Amiens, 150 Kilometer nördlich von Paris, definitiv schliessen wird. 1200 Arbeiter stehen auf der Strasse. Der Kontrast hätte brutaler kaum sein können, zwischen den verhärmten, ermüdeten Gesichtern, den wütenden, verzweifelten Blicken der Goodyear-Arbeiter an jenem Tag und dem Laufstegauftritt des permanent lächelnden, vergoldeten David Beckham. Brot und Spiele eben, an ein und demselben Tag.
Die harte Realität
Das Grollen der französischen Luftschläge in Mali und das Rasseln der Panzerketten dort sowie das hysterische Gekreische rund um die Einführung der Homoehe im Land selbst haben in der französischen Öffentlichkeit jetzt rund drei Wochen lang die Hauptsorgen der Franzosen regelrecht zugedeckt: die galoppierende Zunahme der Arbeitslosigkeit und die nicht minder rasche Deindustrialisierung des Landes. Rechtzeitig zum Wochenende wurde dann auch noch ein Index veröffentlicht, der für Frankreich geradezu katastrophale Werte anzeigt.
Der sogenannte Einkaufsmanagerindex (PMI) gilt als einer der verlässlichsten Frühindikatoren für die wirtschaftliche Aktivität eines Landes. Und er hatte in allen europäischen Ländern, auch in Spanien und Italien, im Lauf des Monats Januar deutlich zugelegt, in Deutschland sogar um 3,8 Punkte auf 49,8. Und alle Euroländer haben sich im Schnitt um 1,8 Punkte auf 47,9 verbessert. Währenddessen ist Frankreich aber im selben Monat von 45,5 auf 42,9 abgerutscht. Unter allen Euro-Ländern weist nur Griechenland noch schlechtere Werte auf. Für die zweitgrösste Wirtschaftsmacht Europas waren diese Zahlen ein echter Schock.
Jubel für Hollande - im Ausland
Mit seinem Blitzbesuch bei den Truppen in Mali und den Bildern einer jubelnden einheimischen Bevölkerung, die ihn in Timbuktu und Bamako als Befreier feierte, hat der französische Präsident, zumindest für die Dauer dieses Wochenendes, die harten und mehr als ungemütlichen ökonomischen und sozialen Realitäten in Frankreich noch einmal überdecken können. Lange wird das so aber nicht gut gehen können.