Die Europäer wollen jetzt Ausbilder schicken, und zwar für eine malische Armee, die kaum existiert. Und der Charakter des Krieges – denn es ist ein Krieg – hat sich geändert.
Frankreichs Minister und der Staatspräsident werden immer wortkarger, je länger dieser Krieg in Mali dauert. Und er wird weiter dauern. Zwei Mal hat Verteidigungsminister Le Drian im Abstand von einer Woche in Radio-Interviews gesagt, es handle sich um einen echten Krieg! Ja sapperlot. Was denn sonst? Hat der Minister wirklich gedacht, seine Landleute würden im Glauben verharren, es handle sich um Sandkasten- oder Videospiele? Und dass es mit ein paar Lufteinsätzen der anderswo unverkäuflichen französischen „Rafale-Jagdbomber“ getan sei? Und den klinisch reinen, bewegten, rechteckigen schwarz-weiss Bildern mit Zielkreis und einer kleinen schwarzen Rauchwolke, die man doch tatsächlich wieder angefangen hat, der Bevölkerung zu Hause zu servieren, wie einst im 1. Irakkrieg?
Jean-Yves Le Drian, ein Intimus von Präsident Hollande, hat das mit dem «echten Krieg» jedes Mal von sich gegeben, wenn nicht mehr zu verheimlichen war, dass die Radikalislamisten im weiten Norden Malis an unzähligen Orten und über Dutzende, ja Hunderte Kilometer verstreut weiter präsent und sogar in der Lage sind, sich mit malischen, anderen afrikanischen und auch französischen Truppen stundenlange Feuergefechte zu liefern. Und dass sie darüber hinaus durchaus fähig sind, in eine Grossstadt wie Gao zurückzukommen, die die französischen Streitkräfte angeblich vor Wochen schon befreit hatten.
Vergangene Woche waren dann zufällig ein paar Journalisten und eine Kamera vor Ort, als einige Dutzend Gotteskrieger im befreiten Gao über Nacht nichts weniger als das Rathaus, den Sitz des Gouverneurs und das Gerichtsgebäude einfach mal kurz besetzt hatten und dabei angeblich auch mit schwereren Waffen stundenlang ihre Gegner in Schach hielten. Hinterher hiess es, das Gerichtsgebäude sei in Flammen gestanden, das Rathaus weitgehend zerstört - aber davon gab es dann schon wieder keine Bilder mehr, wahrscheinlich hat man die Pressevertreter prompt evakuiert.
Blackout geht weiter
Auch nach sieben Wochen bleibt es dabei: Es ist ein Krieg weitgehend ohne Bilder und ohne Information über das Geschehen, bzw. ohne Information, die das Wort Information verdient hätten. Sieben Wochen - und man weiss nichts von Kollateralschäden und so gut wie nichts von den Racheakten der malischen Armee an der arabischstämmigen Bevölkerung im Norden Malis. Nebenbei wird mal ein französischer Offizier anonym zitiert, der sagt, die malischen Soldaten behandelten ihre Gefangenen wie Hunde.
Doch wenn jetzt am Wochenende sogar der „Le Monde“-Reporter plötzlich aus Niamey, der Hauptstadt des Niger, einen Bericht absetzt, heisst das eigentlich nichts anderes, als dass journalistisches Arbeiten in diesem Krieg so gut wie nicht möglich ist, bewusst unmöglich gemacht wird oder aber pervertiert ist. Letzteres trifft vor allem auf die drei konkurrierenden französischen Info-Fernsehsender zu. Sie tun fast alles, um vor Ort irgendwie präsent zu sein. Das reduziert sich dann aber meist darauf, dass blutjunge Journalisten, die sich bei dieser Gelegenheit ihre Sporen verdienen wollen, irgendwo im Land vor der Kamera stehen und Allgemeingültiges in diese hineinreden. Manchmal fragt man sich, ob sie vor zwei Monaten wenigstens schon gewusst haben, wo Mali eigentlich liegt auf dem postkolonialen afrikanischen Länderteppich. Nicht-französische Journalisten haben es offensichtlich noch viel schwerer. Ein erfahrenes Team von AP wurde aus der südlichen Hauptstadt Bamako eine ganze Woche lang gleich gar nicht herausgelassen und fuhr unverrichteter Dinge wieder nach Hause.
Und wenn es dann aber einem Team des öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehens doch mal gelingt, trotz Strassensperren der malischen Autoritäten und ohne im Tross der französischen Armee zu sein, an einen Ort zu kommen, wo es eigentlich nicht hätten sein dürfen und von dort Bilder zurückbringt, wie es sie eben in einem Krieg gibt – nämlich mit toten Menschen - dann entblödet sich die Audiovisuelle Aufsichtsbehörde (CSA) doch tatsächlich nicht, die Ausstrahlung dieser Bilder als «unangemessen» zu kritisieren. Dabei hat doch sogar der Verteidigungsminister zweimal gesagt: Es ist ein echter Krieg! Doch von dem - so der permanente Eindruck - soll die Bevölkerung in Frankreich möglichst wenig erfahren. Fast noch erstaunlicher ist, dass sich über diesen Zustand hierzulande so gut wie niemand aufregt.
Auch nicht darüber, dass der Aussen- oder Verteidigungsminister und auch der Präsident selbst immer wieder einmal den Satz streuen, Frankreich werde im März mit dem Abzug seiner Truppen beginnen. Man weiss nicht, ob man über so viel Desinformation lachen oder weinen soll. Doch die Nachrichtenagenturen beten diese Äusserungen brav und fast kommentarlos nach, machen daraus sogar ihre Titel und lassen den Eindruck entstehen, das sei die Realität. Von wegen.
Natürlich werden irgendwann in der ersten Märzhälfte Dutzende Kameras zugegen sein, um ein- oder zweihundert Soldaten zu filmen, die wieder nach Frankreich zurückkehren. Der Präsident wird in Paris dazu ein paar Worte verlieren und alle Agenturen werden schreiben: Frankreich beginnt mit dem Abzug seiner Truppen. Doch das dürfte es für geraume Zeit gewesen sein. Währenddessen werden dann eben nur noch 3800 statt 4000 französische Soldaten vor Ort bleiben. Dies aber für lange Zeit.
Ein anderer Krieg
Denn der Krieg im Norden Malis ist seit zwei Wochen ganz eindeutig ein anderer geworden. Zuerst sind die französischen und malischen Truppen rasch Richtung Norden vormarschiert. Dann gab es Erfolgsmeldungen, man habe alle wichtigen Städte befreit und die «kriminellen Terroristen» (das Wort «islamistisch» ist aus dem offiziellen Sprachgebrauch gestrichen) hätten sich zurückgezogen. Schliesslich gab es den Jubel-Besuch des französischen Staatspräsidenten vor Ort. Noch heute fragt man sich, wer denn diese Tausenden von französischen Fahnen in das ruinierte Land gebracht hat, die aus diesem Anlass geschwenkt wurden. Doch jetzt ist Schluss mit herkömmlicher Kriegsführung. Ob man es will oder nicht: Dieser Krieg, dessen Ziele nie klar definiert waren bzw. ständig neu formuliert wurden, ist in der Praxis zu einem Guerillakrieg geworden, in dem die Regeln von den Radikalislamisten der AQMI und MUJAO vorgegeben werden. Plötzlich geht es offiziell nicht mehr nur darum, die territoriale Integrität Malis wieder herzustellen. Die Operationen der französischen Armee fallen nun eindeutig unter die Kategorie « Antiterrorismus». Präsident Hollande nannte das die «letzte Phase der Operation, in der es nicht mehr nur darum geht, Terroristen zu verhaften, sondern auch ihrer Chefs habhaft zu werden». Ein französischer Offizier soll dies mit den Worten übersetzt haben: «Wir werden sie mit der Pinzette suchen.»
Dies erinnert nicht nur an die jahrelange Suche nach Oussama Bin Laden, sondern auch daran, dass ein gewisser Vladimir Putin im Zusammenhang mit Tschetschenien einst gesagt hatte: «Wir werden die Terroristen bis auf die Toilette verfolgen und wenn wir sie dort finden, werden wir sie auch im Scheisshaus kalt machen.» Das französische Bild mit der Pinzette ist gewiss eleganter und weniger brutal, sagt im Grunde aber dasselbe. Bis zum Ende gehen, wie Präsident Hollande es ausgedrückt hat, bedeutet doch wohl, man hat die Prätention, die Terroristen auszumerzen.
Dieser Versuch dürfte seit 14 Tagen in den Ifoghas-Bergen im Norden Malis auch tatsächlich im Gang sein. In nur 48 Stunden sind dort aber bereits 23 Soldaten der Streitkräfte des Tchad bei Kämpfen mit Mitgliedern von «Al Khaida im Maghreb» (AQMI) getötet worden. Und schon beginnt die Litanei von Selbstmordattentaten und explodierenden Autobomben fast täglich länger zu werden. Und es verstärkt sich der Eindruck, dass man dieser Tage, wenn auch aus grosser Ferne, miterlebt, was offiziell strikt vermieden werden sollte. Dass nämlich die französischen Streitkräfte gerade dabei sind, in den Geröll- und Sandwüsten des Sahel stecken zu bleiben und dort für lange Zeit festsitzen werden. Und so mancher beginnt inzwischen durchaus die Frage zu stellen, warum diese weitere Kriegserklärung gegen den Terrorismus von mehr Erfolg gekennzeichnet sein sollte, als die Vorhergehenden im Lauf der letzten zehn Jahre.
De Villepins Kritik
Der erste, der diese Frage gestellt hatte, war Frankreichs ehemaliger Aussen- und Premierminister, Dominique de Villepin. Damals, am Tag nach Beginn des Einsatzes der französischen Truppen, stand er mit seinen kritischen Tönen sehr alleine da. Er stellte die provozierende Frage, wie denn der neokonservative Virus, wonach man gegen den Terrorismus Krieg führen könne, nun auch in die Köpfe des französischen Establishments gelangt sei. Schliesslich hätten die letzten 11 Jahre nach 9/11 doch nur zu gut gezeigt, dass man diese Kriege gegen den Terrorismus nacheinander verloren habe, dass sie nirgendwo ein stabiles, demokratisches System hervorgebracht und den radikalsten Elementen nur noch mehr Legitimität verliehen hätten. Es sei an der Zeit, mit diesem Jahrzehnt der verlorenen Krieg endlich Schluss zu machen - so de Villepin vor fast sieben Wochen.
Zugegeben: Um in Mali den massiven Vormarsch der Radikalislamisten in Richtung Süden und der Hauptstadt Bamko zu stoppen, war der Einsatz der französischen Armee wohl unerlässlich und aus einer akuten Notsituation heraus zustande gekommen. Und doch hat man vielleicht den Worten Dominique de Villepins Mitte Januar nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Hat er nicht vielleicht doch recht, wenn er im Kern die Frage stellt: Krieg gegen den Terrorismus führen – wie geht das überhaupt? Im Grunde hat doch seit über zehn Jahren wirklich niemand eine einigermassen überzeugende Antwort auf diese Frage geben können. Nun haben also Frankreich und sein «normaler Präsident», zudem noch reichlich alleine, überstürzt und aus einer Notsituation heraus, und doch wie fast nebenbei, den nächsten Krieg gegen den Terrorismus ausgerufen.
Und die Geiseln?
Zu den Mitteln der islamistischen Terroristen in der Sahelzone gehört nun schon seit Jahren auch die Geiselnahme westlicher Bürger. Ein einträgliches Millionengeschäft und zugleich politisches Druckmittel. Frankreich hatte bis letzte Woche acht Geiseln in den Händen der islamistischen Gotteskrieger. Nun sind es vielleicht 15.
Ein seit Jahren in Kamerun arbeitender leitender Angestellter des französischen Energie-Grosskonzerns GDF-Suez, fand angesichts des Krieges in Mali und der verstärkten Aktivitäten nigerianischer Islamisten in jüngster Zeit nichts dabei, mit Frau, vier Kindern und seinem Bruder in den hohen Norden Kameruns, unmittelbar an die nigerianische Grenze zu reisen.
Sie sind dort von Männern auf Mopeds gekapert und über die Grenze nach Nigeria verschleppt worden. Offiziell wird jeder direkte Zusammenhang zwischen Frankreichs Militäreinsatz in Mali und dieser Geiselnahme abgestritten. Und vielleicht handelte es sich ja tatsächlich nur um einfache Wegelagerer, die in diesem Gebiet nahe eines Nationalparks regelmässig Touristen überfallen. Wie ein Afrika-Experte es sehr bildlich ausgedrückt hat, ist in dieser Region ein westlicher Tourist für die Einheimischen ein Panzerschrank auf zwei Beinen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber gross und es wäre nicht das erste Mal, dass die Entführer ihre Geiseln an islamistische Gruppen weiterverkaufen oder bereits verkauft haben. Bislang hat sich allerdings – und das ist für islamistische Gruppen ungewöhnlich – noch niemand zu dieser Entführung bekannt.
Immerhin weist das französische Aussenministerium nach zehn Jahren internationalem Krieg gegen den Terrorismus inzwischen im Sahel und in den angrenzenden Regionen ein Gebiet von sieben Millionen Quadratkilometern aus - mehr als zehn Mal die Grösse Frankreichs -, das für Franzosen und in weiterem Sinne für westliche Bürger strikt zu vermeiden sei. Von Reisen dorthin wird dringendst abgeraten. Was heisst: in einem Drittel von ganz Afrika dürfen sich Frankreichs Bürger heute nicht mehr sicher fühlen. Eine reichlich ernüchternde Feststellung und ein sehr konkreter Eindruck von den Auswirkungen der Aktivitäten radikalislamistischer Gruppen auf dem afrikanischen Kontinent.