Libyen war keine französische Kolonie, aber der postkoloniale Rahmen passte. Ghadhafi hatte Geld, wollte Waffen und Flugzeuge sowie Prestige von wem auch immer – wie alle Diktatoren. Sarkozy, Staatspräsident Frankreichs von 2007 bis 2012, profitierte für seine Wahlkampagne vom damaligen französisch-libyschen Frühling nach schweren Krisen im bilateralen Verhältnis. Er soll nach libyschen Aussagen von Ghadhafi und Konsorten bis zu 50 Millionen Euro für seinen Wahlkampf erhalten haben. Er war damals noch Innenminister, aber über die Geheimdienste mit den vertraulichen Auslandsbeziehungen vertraut. Er bezeichnet die Anklage als absurd. Die offizielle Untersuchung gegen ihn läuft seit 2013. Drei Untersuchungsrichter kümmern sich darum. Die Frage ist nicht «Wer lügt, wer nicht?», sondern «Wer lügt weniger?»
Die Zitierung des Ex-Präsidenten zu einem zweitägigen Polizeiverhör mit Übernachtung im Gefängnis ist an sich schon eine Seltenheit. Sarkozy hat jetzt eine formelle Anklage wegen passiver Korruption zu gewärtigen und muss Auflagen respektieren: Reiseverbot für gewisse Länder und Verbot, bestimmte Personen zu treffen. Letzteres widerfährt erstmals einem Ex-Präsidenten. Dies lässt darauf schliessen, dass die Richter vielleicht endlich über neue handfestere Beweise verfügen. Neu ist auch, dass sich die neue libysche Regierung als Zivilpartei konstituieren will, vor allem für den neuen Anklagepunkt «Unterschlagung öffentlicher libyscher Gelder».
Sarkozy hatte 2011 die von der Uno abgesegnete internationale Koalition für einen Krieg gegen Ghadhafi angeführt, der zum Sturz und Tod des Diktators führte. Er bezeichnet heute dessen Clan nur noch als «Mörderbande», die er 2007 nach seiner Wahl mit grossem lächerlichen Pomp (und einem Wüstenzelt bei den Champs-Elysées) in Paris empfangen hatte. Er hält den Krieg für einen Beweis seiner Unschuld. Das Gegenteil ist ebenso plausibel, zumal zuviele Details – ein in der Donau aufgefischter toter libyscher Minister, der Kauf eines teuren Pariser Appartements durch Sarkozys (damals) engstem Vertrauten, redselige Vermittler auf beiden Seiten, die ihre Haut retten wollen – nicht klarer geworden sind. Dazu kommt das in Frankreich seit langem gestörte Verhältnis zwischen den Politikern und der Justiz – ein schlechtes Omen und vor allem eine schlechte Serie.