„Ist das ein Anreiz, das Arbeiten sein zu lassen, wenn das Grundeinkommen bedingungslos ist? Wenn es bedingungslos ist, ist es kein Anreiz, auch kein falscher. Das ist der Unterschied“. Diese abenteuerliche Formulierung der Initianten wird nur noch durch jene des früheren griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis an Phantasie übertroffen, der den Schweizern die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens als „grösstes Unternehmensgründungs-Förderprogramm“ ans Herz legt. Griechenland ist seit 2009 Jahren pleite und von ausländischer Hilfe abhängig.
Eine verführerische Idee
„Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.“ Das Versprechen tönt gut.
Gemeint ist, dass dieses Grundeinkommen von 2500 Franken pro Person/Monat (+ 625 Franken je Kind/Monat) alle heutigen staatlichen Transferleistungen ersetzen würde, also AHV, IV, EL, EO, Familienzulagen, Kindergelder, Prämienverbilligungen, Schulgelder, usw.
Die ketzerische Frage sei erlaubt: Was ist, wenn eine Person die 2500 Franken aufgebraucht hat und ihr Gesamteinkommen nicht reicht? Wenn sie auf dem Sozialamt vorspricht oder Arbeitslosengeld kassieren möchte, weil sie kein Geld für den Zahnarzt, Arzt, Spital oder die Wohnungsmiete mehr hat? Es ist also offensichtlich, dass auch bei diesen 2500 Franken weiter – wie bisher – gearbeitet werden muss. Dieses Grundeinkommen würde schlicht nicht reichen. Im Unterschied zu heute würde die Antwort für all jene, die den Traum des kreativen Nichtstun falsch verstanden hätten und beim Sozialamt oder der AL-Versicherung anklopften, lauten: Sorry, we are closed. (Nimmt man die Argumente der Befürworter ernst, wäre beides überflüssig).
Im Unterschied zur propagierten Theorie des Giesskannensystems ist heute in der Schweiz in der Praxis längst „ein menschenwürdiges Dasein“ gesichert. Die Teilnahme am öffentlichen Leben dagegen ist relativ und primär abhängig vom Betroffenen und seiner Interpretation von Freiheit.
Am Pult und in Köpfen entwickelte Theorien und in der Folge im Alltag realisierte Praxis liessen schon in der Vergangenheit viele gesellschaftstheoretische Träume platzen. Die grosse Unbekannte: niemand (wirklich niemand) kann das Verhalten der Manövriermasse (diesmal das Heer der beschenkten Arbeitnehmenden) voraussagen, zumal wie sie auf fragwürdige Anreize reagieren. Zu viele Menschen verhalten sich anders, als ihnen zugedacht. Sozialromantik ernährte noch niemanden.
Einkommen von der Arbeit trennen
Die Initianten selbst bezeichnen ihr Projekt als Vision. Im Kontext mit der vierten industriellen Revolution gehen sie davon aus, dass viele Jobs durch die Digitalisierung überflüssig oder von Robotern übernommen würden. Damit diese Veränderungen in der Arbeitswelt und der prognostizierte Verlust von Arbeitsplätzen nicht Menschen ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt zur Verzweiflung trieben, könne nur die konsequente Trennung von Arbeit und Einkommen eine menschwürdige Zukunftsperspektive bieten. Diese Angst ist nicht unbegründet und nachvollziehbar. Angst war jedoch noch nie eine kreative Motivation für erfolgreiche Zukunftsgestaltung. Im Gegenteil.
Der Denker hinter der Initiative ist der Deutsche Philip Kovce, „ein Philosoph, der den Weltgeist an seiner Seite glaubt“ (TA). Er geniesst in den Medien grosse Aufmerksamkeit. Zur Abstimmung in der Schweiz äussert er sich sehr offen. Da in Deutschland das Grundeinkommen durch die Hartz-IV-Debatte blockiert wird, provoziert er jetzt den hiesigen Politbetrieb. Er bemüht geschickt die direkte Demokratie und die Selbstbestimmung der Menschen in unserem Land um „letztere es schliesslich in wirtschaftlicher Hinsicht gehe“. Nicht alle mögen dieser Logik folgen.
Berechtigte Zweifel
Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die Arbeitsmotivation bei einer bedingungslosen Geldüberweisung leiden würde. Zugegeben: mit Untersuchungen warten auch die Befürworter auf, mit gegenteiligen Befunden. Doch für Arbeitsmarktforscher George Sheldon (Prof. für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie, Universität Basel), schlägt die Initiative einen gefährlichen Weg ein und er befürchtet, diese Therapie könnte sich als schlimmer denn die Krankheit erweisen. Er zieht deshalb das bisherige, erprobte System der bedarfsgerechten sozialen Unterstützung vor.
Ein anderer, weltbekannter Professor meint, der Vorschlag sei gut gemeint, laufe aber den ethischen Vorstellungen der meisten Menschen grundsätzlich zuwider. Ernst Fehr (Volkswirtschaftsprofessor Universität Zürich), anerkannter Forscher im Bereiche der Entwicklung der menschlichen Zusammenarbeit und Sozialität, insbesondere Fairness, Reziprozität und begrenzte Rationalität ist ein unverdächtiger Experte und hat sich dahingehend geäussert, dass eine Mehrzahl von uns kein grosses Interesse hätten, jenen Menschen zu helfen (über zusätzliche Steuern), „die nichts oder wenig zur Gesellschaft beitragen wollen, obwohl sie es eigentlich könnten“ (Sonntags-Zeitung).
Rudolf Strahm bezeichnet in seiner TA-Kolumne die Idee als „Schlaraffia“. Eine lebenslange Staatsrente für jedermann in einem Land mit offenen Grenzen, diese Idee als Staat im Alleingang verwirklichen zu wollen, wäre für ihn eine Strategie für die Robinsoninsel. Dass Arbeit „Entfremdung“ bedeute oder „geisttötend“ sei, wie es die Initianten suggerieren, ist tatsächlich zu verallgemeinernd.
Abenteuerliche Kostenberechnung
Darüber, welche Kosten schlussendlich für den Staat entstünden, gehen die Meinungen weit auseinander. Die Initianten bleiben wage, sie machen nur allgemeine Vorgaben. „Der Bundesrat hat ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen“, damit basta. Bundesrat Alain Berset ist mehr als skeptisch. Müsste die Mehrwertsteuer gegenüber heute verdoppelt werden? Oder eine neue Steuer auf dem Zahlungsverkehr – als Patentlösung - sie wäre undenkbar als Alleingang des Finanzplatzes Schweiz. Wenn sich die Anreize für Erwerbsarbeit verringern – die Schwächung der Wirtschaft wäre absehbar.
Der geschätzte Finanzbedarf für diese Übung liegt bei 209 Milliarden Franken, minus die wegfallenden Ausgaben für Sozialversicherungen von 62 Milliarden Franken. Eine steile These, urteilt die NZZ. Weitere 107 Milliarden würden durch Verrechnungen beigebracht, d.h. von den Einkommen bis 4000 Franken würden diese 2500 Franken Grundeinkommen gleich abgezählt. Nach weiteren Korrekturen verblieben, bei einer optimistischen Schätzung, zusätzliche Kosten von mindestens 25 Milliarden Franken.
Vor allem die negativen Auswirkungen auf das heutige Sozialsystem wären gravierend. Natürlich gäbe es Tausende von Fällen (z.B. Pflegebedürftige), bei denen dieses Grundeinkommen, das die bisherigen Sozialversicherungen ablösen müsste, nicht reichen würde. Was dann? Der Bundesrat warnt auch vor unerwünschten und einschneidenden Auswirkungen auf die aktuelle Wirtschaftsordnung. Das Risiko, diese zu gefährden durch ein solches Experiment, ist schlicht zu hoch.
Hochkonjunktur für Spekulationen
Selbst in der SP sind die befürwortenden Stimmen in der Minderheit. Der Glaube an der Werbebotschaft: „Die Einführung des Grundeinkommens wäre ein wesentlicher Beitrag zur Demokratisierung der Demokratie“, fehlt grossmehrheitlich.
Könnten mehr Menschen tun und lassen was sie wollten – dieses Ziel der Initianten ist ja nachvollziehbar, etwa für Künstler oder solche, die sich dafür halten. Lebten diese dann in einer besseren Welt? Talente und Fähigkeiten waren schon bisher massenhaft vorhanden und konnten sinnvoll eingesetzt werden, ohne dass Mitbürger die persönliche Hobbyerfüllung zu finanzieren hatten. Wäre die Menschheit glücklicher? Auch da sind Zweifel angebracht. Arbeit ist sinnstiftend, wenigstens für die Mehrheit der Arbeitenden. Arbeitslose jedenfalls, das bestätigen diese immer wieder, sind unglücklich.
Auch Monika Bütler, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, verweist in diesem Kontext auf negative Beispiele aus dem Ausland und kommt zur Überzeugung: „Ein festes Grundeinkommen ohne Bedingungen macht die Menschen nicht kreativ und frei, sondern träge und bequem“.
Kritik des derzeitigen Kapitalismus
Das Initiativkomitee lässt sich vom ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg beraten (!), dessen Idee es offenbar auch war, die genaue Ausgestaltung der Umsetzung in der Verfassung offen zu lassen. Das Beispiel macht Schule, wir haben es inzwischen zu spüren bekommen. „Es erleichtere den Wahlkampf“, tönt es – wie wahr! Doch wenn dann noch von den liberalen Zügen der Initiative gefaselt wird, weil sie die Freiheit der Bürger stärke, irgendwann schliesst sich der Bogen und wir landen wieder bei Varoufakis am Anfang dieser Kolumne. Man kann natürlich die derzeitige Form des Kapitalismus kritisieren, sogar mit Recht, in einzelnen Bereichen. Wer das Kind dabei mit dem Bad ausschüttet, ist vielleicht etwas zu forsch vorgegangen.
Anstelle einer Arbeit oder Karriere zu einseitig nach dem Sinn des Lebens suchen – es ist allenfalls das Vorrecht der Jugend. Dieser Zeitgeist hatte schon immer eine gewisse Berechtigung in der revolutionären Ausbildungszeit zwischen 15 und 25 Jahren. Gesellschaftspolitisch folgen dann anschliessend meistens die Jahre des harten Arbeitsalltags. Nach dem Sinn des Lebens kann auch dort gesucht werden, fündig werden viele an unerwarteter Stelle: am unspektakulären, nicht immer ganz einfachen Arbeitsplatz in unserem kapitalistischen, demokratischen System, das wir zwar kritisieren, jedoch nicht aufs Spiel setzen wollen.