Der Bundesrat will die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland nicht vollumfänglich mittragen. Ausgerechnet die Schweiz, die nicht müde wird, in die Welt hinauszuposaunen, wie wichtig ihr die humanitären Prinzipien sind – ausgerechnet diese Schweiz schleicht sich bei eklatantester Verletzung internationaler und humanitärer Prinzipien mit eingezogenem Kopf davon. Was der Bundesrat und seine Beamten hier aufführen ist einfach nur blamabel.
Wir sind ein kleines Land, wir haben wenig auf der internationalen Bühne zu sagen, obwohl wir uns einreden, dass das nicht so sei. Unsere einzige ehrenwerte Botschaft ist noch immer die: Wir sind neutral und wollen als «Miterfinderin» des humanitären Völkerrechts und als Sitz des IKRK, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, im Stillen zu Konfliktlösungen beitragen. Die Politik des IKRK ist es, nicht öffentlich zu verurteilen, sondern im Geheimen darauf hinzuarbeiten, dass Verbesserungen erfolgen können. Das funktioniert oft, denn im Stillen sind auch brutale Machthaber eher zu Konzessionen bereit, als wenn sie auf Druck reagieren müssen.
Die schweizerische Aussenpolitik hat sich seit Jahren an die Grundsätze des IKRK gehalten. Dies hatte den Vorteil, dass man sich hinter dem Begriff «Neutralität» verstecken konnte, nicht Stellung beziehen musste – und Geschäfte mit allen betreiben konnte. Auch jetzt führt man hehre Beweggründe ins Feld. «Wir wollen unsere guten diplomatischen Dienste anbieten, vielleicht ist noch nicht alles verloren.»
Aber: Wenn ein Herrscher in schrecklichster Art und Weise das Völkerrecht, internationale Verträge und Abmachungen verletzt, ist dann Zurückhaltung immer noch am Platz?
Glaubt man in Bern wirklich, dass Putin, dieser durchtriebene Machtmensch, Schweizer Emissäre empfangen wird und sie mit ihrem Anliegen, den Krieg doch bitte schön zu beenden, zu Herzen nimmt? Auch Naivität hat Grenzen.
Wäre es nicht an der Zeit, klipp und klar und öffentlich Stellung zu beziehen? Natürlich nimmt die Schweiz jetzt schon Stellung. Unser Aussenminister verlas eine Erklärung, die er wohl nicht einmal selbst geschrieben hat, in der die russische Aggression aufs «Schärfste» verurteilt wird. Man beschloss «Umgehungsverhinderungsmassnahmen» – welch toller Ausdruck. Doch eigentlich sind das Phrasen, hinter denen man sich in Bern versteckt und die eigene Feigheit kaschiert.
Wenn Frau Leu, unsere Staatssekretärin, an der Medienkonferenz am Donnerstag sagt, das Ergreifen von Massnahmen sei halt «ein bürokratischer Prozess, der Zeit erfordere», kann man sich vor Erstaunen nur schütteln. Da herrscht Krieg, da prasseln Raketen auf eine Millionenstadt nieder, da werden die elementarsten völkerrechtlichen Prinzipien verletzt, und unsere Staatssekretärin spricht von «Bürokratie». Sehr geehrte Frau Leu, wir schätzen Sie sehr, aber das war nicht Ihr intelligentester Auftritt.
Und unser Aussenminister und Bundespräsident? Der hat ausser einigen Floskeln eigentlich gar nichts gesagt. Er überliess das Feld seinen Mitarbeitern, die bei der Rechtfertigung ihrer Haltung arg ins Schwimmen gerieten. Selten gab es im Berner Medienzentrum eine solch beschämende Vorstellung. Da herrscht Krieg in Europa mit allen schrecklichen Konsequenzen, und unser Aussenminister überlässt das Feld einigen grauen Beamten, die niemand kennt. Da muss sich doch der Aussenminister, der ausgerechnet jetzt auch noch Bundespräsident ist, hinstellen und auf die Fragen der Journalisten Antwort geben. Aber offenbar war er dazu nicht fähig. Che vergogna, Signor Cassis.
Sind wir uns bewusst, welche Botschaft wir in die Welt hinaus senden? Der Ruf der Schweiz ist schon längst nicht mehr der, der er einmal war. Wir mit unserem «Sonderweg» gelten, nicht immer ganz zu Unrecht, als «Rosinenpicker». Und jetzt, so kommt das im Ausland an, wollen wir es auch mit den Russen nicht verderben. Keine wirklichen Massnahmen ergreifen, um weiter Geschäfte zu machen. Vielleicht kommt einmal der Moment, an dem wir uns im Ausland schämen müssen.
Man kann neutral sein und Haltung demonstrieren. Sich solidarisch zeigen mit den Mutigen, die humanitäre Prinzipien verteidigen und hochhalten und eklatantes Unrecht öffentlich verurteilen – auch wenn wir dafür einige wirtschaftliche Einbussen einstecken müssen.
Die Schweiz hatte auch schon gute, aufrechte Aussenminister, die Visionen hatten und Haltung zeigten. Ignazio Cassis und sein ängstlicher, grauer Beraterstab haben weder das eine noch das andere.