„Ich hole dich am Flughafen ab“, hatte mir meine gute Freundin per SMS geschrieben. Ich fragte mich, wie wir uns in dieser Zeit der Angst vor Covid-19 wohl begrüssen würden. Meine Freundin liess mir keine Zeit zum Nachdenken und trat mir mit offenen Armen entgegen. Und zum ersten Mal seit März begrüsste ich eine Frau wieder auf die typisch portugiesische Art, also mit zwei Wangenküsschen.
Obligatorische Tests, aber auf Staatskosten
In den nächsten Tagen sollten diverse Wangenküsschen und Händedrucke folgen. In Lissabon hatte ich Frauen und Männer fünf Monate lang nur mit den Ellenbogen oder, wenn’s fast intim wurde, mit kurzen Berührungen der geschlossenen Fäuste begrüsst, um mich dann schnell nach dem Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel umzusehen. Auf der Inselgruppe der Azoren, gut zwei Flugstunden westlich von Lissabon im Atlantik verloren, geht alles etwas lockerer zu. Noch schlägt das oft raue Meer höhere Wellen als die Pandemie.
Meine Freundin hat mir aber nicht blind vertraut. Sie wusste, dass ich mich vor dem Abflug einem Test auf Covid-19 unterzogen hatte. Ohne Test mit negativem Ergebnis können derzeit weder Einheimische noch Touristen die neun Inseln mit sattgrüner Vulkan- und Weidelandschaft bereisen und erkunden. Um die Pandemie unter Kontrolle zu halten und dennoch Touristen anzuziehen, kommt die Regierung der autonomen Region den Reisenden aber entgegen, indem sie wenigstens in Festland-Portugal und auf Madeira die Kosten für den Test übernimmt.
Wer zahlt
Sie schloss dafür Abkommen mit Labors, in denen sich Reisende maximal 72 Stunden vor Abflug testen lassen können. Ich musste nur einen Termin abmachen, mein elektronisches Flugticket vorlegen, den Mund weit öffnen und schliesslich das Stäbchen in meiner Nase erdulden. Zugegeben, ich hätte auch ohne Test abfliegen können. Aber dann hätte ich mich bei der Ankunft testen lassen und das Ergebnis in Isolation abwarten müssen. Ich wollte auf Nummer sicher gehen – und keine Zeit verlieren. Wer sieben Tage oder länger bleibt, muss sich am sechsten Tag nach dem ersten Test einer zweiten „Stunde der Wahrheit“ stellen.
Wer den Test ausserhalb von Portugal macht, muss selbst dafür bezahlen (und darauf achten, dass die Testmethode den offiziellen Anforderungen entspricht). Kein Gehör fand ein Vorschlag aus der Touristikbranche, solchen Reisenden die Auslagen in Form von Gutscheinen für den Erwerb von Gütern oder Dienstleistungen in der Region zu erstatten.
Grüne Inseln ohne farbenfrohe Feste
Die Pandemie machte auch um diese Inselgruppe keinen Bogen. Ihren rund 240’000 Bewohnern blieb der Lockdown nicht erspart. In diesem Jahr fielen diverse religiöse Feierlichkeiten und bunte Volksfeste aus. Es ist anscheinend aber gelungen, das Übel unter Kontrolle zu halten. Von den gut 56’000 Infektionen, die im Land mit rund 10 Millionen Einwohnern insgesamt registriert wurden, entfielen bis Mittwoch etwas mehr als 200 auf die Azoren (und weniger als 150 auf Madeira). Am Mittwoch gaben die Behörden der Region bekannt, dass sie in den vorangegangen 24 Stunden knapp 1500 Tests durchgeführt hatten. Vier Personen testeten positiv, zwei davon bei der Ankunft auf den Azoren und zwei beim zweiten obligatorischen Test. Letztere waren aber schon wieder abgereist.
Auf den Azoren waren am Mittwoch laut amtlichen Angaben 27 akute Fälle bekannt, und diese konzentrierten sich auf drei Inseln. Gern hätten die regionalen Behörden härter durchgegriffen. Kürzlich verdonnerten sie eine Frau mit ihrer Tochter trotz negativen Tests etwa zur Quarantäne in einem Hotel, weil sie im Flugzeug in der Nähe einer infizierten Person gesessen hatten. Ein Gericht aber „kippte“ die Massnahme.
Sobald ich den Bescheid über mein negatives Ergebnis erhielt, musste ich noch zwei Formulare ausfüllen. Name, Nummer des Fluges von Lissabon auf die Azoren, Nummer meines Sitzes im Flugzeug – dies für den Fall, dass ein Sitznachbar positiv getestet würde –, Adresse auf den Azoren sowie das Datum und die Nummer meines Fluges in einer Turboprop-Maschine der regionalen Airline Sata auf eine andere Insel. Ich flog von Lissabon erst nach Ponta Delgada auf São Miguel, grösste und touristisch beliebteste der neun Inseln, die für ihre Geysire, ihre heissen Quellen und ihre vulkanischen Seen bekannt ist. Ich hatte dort aber nur einen Aufenthalt von einigen Stunden, in denen ich noch sanitäre Formalien absolvieren musste. Vor dem Flughafen waren grosse Zelte aufgestellt, davor eine lange Schlange der Reisenden, die den Covid-Test gemacht hatten und den entsprechenden Nachweis vorlegen mussten, und eine kurze Schlange von Ankömmlingen, denen der Test noch bevorstand.
Ohne soziale Distanz zu den Lava-Pools
Mein Ziel war aber die Insel Terceira, gut 30 Flugminuten entfernt, wo mich die Freundin erwartete. Ich wollte wieder durch Angra do Heroísmo schlendern, die ehemalige Hauptstadt der Azoren, in der ein Erdbeben 1980 schweren Schaden anrichtete. 1983 von der Unesco zum Weltkulturgut erklärt, wurde die Stadt sorgfältig wieder aufgebaut. Ihr Alltag ist jetzt rein optisch von der Pandemie gezeichnet. Viele Menschen tragen Masken (was nur in Innenräumen obligatorisch ist und nicht, wie etwa auf Madeira, auch im Freien). Vor kleineren Läden warten Menschen auf der Strasse, bis sie innen an die Reihe kommen – auch bei Regen, der auf den Azoren selbst im Sommer nicht selten fällt.
Aber auch mit Sonne und Badeplätzen sind die Inseln gesegnet. Wenn der Andrang stark ist, kann die soziale Distanz auf der Strecke bleiben – so auf Terceira in beschaulichen Biscoitos, von wo immer noch einige Fischer in See stechen. Inmitten von bizarren Formationen aus erstarrter Lava entstanden dort derweil kleine Pools. Liegefläche kann knapp werden. Also ist die Angst, dass sich auf dem Handtuch gleich nebenan eine der wenigen infizierten Personen auf der Insel gerade sonnen könnte, nicht sehr gross.
Familienbesuch aus den USA? Vielleicht 2021
Für die Touristikbranche kann von einem normalen Sommer natürlich keine Rede sein. Ein grösserer Andrang von Festland-Portugal konnte den Einbruch bei den ausländischen Besuchern nicht kompensieren. Wer sich in die Mitte des Atlantiks verirrt, kann auch dieses Jahr aber Bootstouren für die Beobachtung von Walen und Delfinen buchen.
Portugal steht im Kampf gegen die Pandemie insgesamt viel besser da als etwa Spanien. Noch sicherer als das Festland seien aber die Inseln, beteuert ein Freund von mir auf Terceira, der jetzt plant, seine Schwiegereltern vom Festland bis auf weiteres auf die Insel zu holen und damit, so hofft er, vor der drohenden Infizierung zu bewahren. Viele Familien müssen dieses Jahr derweil ohne den gewohnten Besuch ihrer in die USA oder nach Kanada emigrierten Angehörigen auskommen. Zahlreiche Emigranten haben den Familienbesuch verschoben – auf 2021, wenn alles gut geht.