Irans „Oberster Führer”, Ayatollah Ali Khamenei, ist eher bekannt dafür, dass er nichts von Kontakten mit den Vereinigten Staaten hält, weil er diesen nicht über den Weg traut. Der „grosse Satan” – so das semioffizielle Schimpfwort im Iran für die USA – ist für ihn seit langem der gefährlichste Feind des Iran. Schon zu Zeiten des Schahs, als Washington 1953 den gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh stürzte und der Schah die Macht erhielt, erst recht aber seit der Iran 1979 zur „Islamischen Republik” erklärt wurde und die USA dieser seitdem alles Böse dieser Welt unterstellen: Von der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und der erklärten Todfeindschaft gegenüber Israel bis hin zu ihren – angeblichen oder wirklichen – Bemühungen um die Atombombe.
Vor solchem Hintergrund waren die Worte Khameneis zur ersten Gesprächsrunde in Wien überraschend zurückhaltend und fast schon versöhnlich und zuversichtlich. Die Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens von 2015 („JCPOA“ oder „Joint Comprehensive Plan of Action“) hatten in der österreichischen Hauptstadt begonnen, die Rückkehr zum Atomabkommen mit Teheran zu ebnen, das 2018 vom damaligen US-Präsidenten Trump beinahe zerstört worden war. Die vom Iran zur Bedingung gemachte Aufkündigung der amerikanischen Sanktionen müsse bedeuten, dass der Iran wieder frei Erdöl exportieren könne, liess Khamanei wissen. Und auch Vertreter der Regierung Präsident Rohanis zeigten sich nach der ersten Runde zufrieden, dass man Fortschritte mache. Wenngleich der vielleicht schwierigste Teil des Weges wohl noch vor einem liege.
Erpresserischer Druck der USA
Dieser schwierigste Teil ist der von Khamenei angesprochene: Seit dem Ausstieg der USA aus dem JCPOA hatten die USA erneut in grossem Mass begonnen, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen – als Teil der von Trump verkündeten Politik des massiven Drucks auf Iran. Insgesamt sollen über 100 verschiedene Sanktionen von Washington verhängt worden sein, die von generellen Schritten gegen den iranischen Staat bis hin zu persönlichen Massnahmen reichen (wie Einreiseverbote oder auch die Beschlagnahme persönlicher Auslandskonten von Iranern, denen Washington Verbindungen zur iranischen Atompolitik nachsagt).
Mit solch einer Art von Sanktionen hätte der Iran vermutlich noch leben können, aber die Trump-Verwaltung begann sofort, auch allen anderen Staaten Strafmassnahmen anzudrohen, sollten diese gegen die von den USA verhängten Sanktionen verstossen. Das Resultat: So sehr die anderen Unterzeichner des JCPOA auch beteuerten, sie hielten weiterhin am Abkommen fest, so wenig waren sie aber doch Willens oder in der Lage, sich diesem erpresserischen Druck der USA zu widersetzen.
Die Mehrheit leidet unter den Sanktionen
Die Folgen für den Iran wurden von Tag zu Tag gravierender: Der Handel mit dem Ausland wurde immer schwieriger, besonders der wichtige Ölexport, der stärker zurückging als je zuvor. Hinzu kamen erneut radikale Behinderungen des internationalen Geldverkehrs zwischen dem Iran und dem Ausland. Wie schon vor dem Atomabkommen trieb dies die Preise im Iran hoch und den Wert der einheimischen Währung („Tuman“) in den Keller.
Gravierende Folgen hatte dies auch auf die medizinische Versorgung des Landes: Zwar verfügt der Iran auf ein gut ausgebautes und funktionierendes Gesundheitswesen und auch eine pharmazeutische Industrie, aber er ist doch auch abhängig vom Import wichtiger Medikamente und dieser ist durch die Sanktionen ungemein erschwert worden. Im Grunde können ihn sich nur noch reiche Iraner leisten, indem sie sich den Weg dahin über Korruption öffnen. Die breite Mehrheit der Iraner freilich gehört nicht zu dieser Kategorie, die Mehrheit leidet unter den Folgen der Sanktionen. Dies umso mehr, als der Iran von der Corona Pandemie weiterhin hart in Mitleidenschaft gezogen wird und weite Kreise der Bevölkerung ihr schutzlos ausgesetzt sind.
Entweder das 2015-Abkommen – oder nichts
Die Teheraner Regierung unter Präsident Rohani hatte deswegen schon früh von Washington eine Rückkehr zum Abkommen von 2015 gefordert und sie begann, ihrerseits bestimmte Punkte des Abkommens zu missachten. Allerdings mit klarer Ansage und dem Versprechen, die Verstösse gegen das Abkommen wieder rückgängig zu machen, sobald Washington seine Sanktionen aufhebt und den Zustand von 2015 wiederherstellt. Solange Trump im Amt war, stiess dieser Vorschlag in Washington auf taube Ohren.
Bestenfalls kam die Erwiderung, die USA wollten ein neues und erweitertes Abkommen mit dem Iran aushandeln, dass neben der Atomfrage auch die Frage der iranischen Raketen-Aufrüstung und das militärische Engagement des Iran in der Region behandelt werden solle – zwei Fragenkomplexe, die 2015 nicht behandelt worden seien. Teheran lehnte ab: Neue und zusätzliche Verhandlungen kämen nicht in Frage, allein das Atomabkommen sei damals ausgehandelt und akzeptiert worden und dabei bleibe es.
Neuauflage Trumpscher Argumentation?
Mit diesem Erbe trat Joe Biden im Januar sein Amt als Nachfolger Trumps an. Er hatte im Wahlkampf wiederholt erklärt, dass er eine Reihe von Entscheidungen seines Vorgängers rückgängig machen werde und in politischen Kreisen nicht nur im Iran wuchs die Hoffnung, dass Biden sich auch den Abzug der USA vom Atomabkommen vornehmen werde. Zunächst aber war nichts oder kaum etwas hierzu aus Washington zu hören. Zumindest nichts, was den Erwartungen entsprochen hätte: So wiederholten plötzlich die verschiedensten US-Quellen den auch von diversen Medien verbreiteten Vorwurf, der Iran verstosse doch nun selbst gegen das Abkommen und deswegen müsse es Verhandlungen mit Teheran geben, wie man schrittweise aus der neuen Situation herauskommen könne.
Das klang nach einer Neuauflage der Trumpschen Argumentation. Besonders, weil man in Washington – und bald darauf auch in den meisten westlichen Hautstädten – einen grundlegenden Fakt ignorierte: Dass es nämlich die USA gewesen waren, die gegen das Abkommen verstossen hatten, und dass der Iran darauf nur reagierte – mit der Ansage, dass dies eine vorübergehende Reaktion sein würde. Je länger Washington sich Zeit liess, seine Reaktion auf die Vorschläge und Forderungen aus Teheran zu ändern, desto mehr steigerte der Iran seine Massnahmen: Er begann, die Kontrolle der Nukleareinrichtungen durch Mitarbeiter der Wiener IAEA (Atomenergie-Behörde) in Frage zu stellen und – vor allem – er begann mit der Anreicherung von Uran bis zu 20 Prozent. Immerhin rund sechsmal so viel wie des Abkommen von 2015 dem Iran zugestanden hatte.
Europäische Initiative
Wieder brach eine Welle von Vorwürfen aus, der Iran befinde sich damit bereits in gefährlicher Nähe der Anreicherungsquote, die er für die Herstellung einer Atombombe brauche. Kein Wort davon, dass dies 90 Prozent sind und der Weg dahin deswegen weiterhin noch gross ist. Und kein Wort davon, dass der Iran auch vor dem Abkommen von 2015 über eine grössere Menge von auf 20 Prozent angereichertem Uran verfügte und das Abkommen trotzdem zustande kam. Indem man nämlich vereinbarte, dieses Uran nach Russland für zivile Verwendung zu liefern. In den Atommeilern von Bushehr (am Ostufer des Persischen Golfes) wurde es aufbereitet.
Gleiches – dies dürfte allen Beteiligten klar sein – könnte man natürlich auch diesmal vereinbaren. Stattdessen stritt man lange darüber, wer denn den ersten Schritt tun müsse für die Wiederherstellung des JCPOA. Bis man offenbar auf beiden Seiten einzusehen begann, dass dies ein müssiger Streit ist: Die Bedingungen stehen ebenso fest, wie das vom Iran wie auch den USA gesetzte Ziel der angestrebten Rückkehr zum Ursprungsabkommen. Jede Abweichung davon wäre bewusste oder unbewusste Irreführung. Dasselbe gilt natürlich auch für die anderen Unterzeichnerstaaten: Ihnen bietet sich hier die Chance, ihren so oft erklärten guten Willen in die Tat umzusetzen und sich für die Zukunft gegen Willkür der USA oder auch anderer zu wappnen. Immerhin haben die Europäer diesmal die Initiative ergriffen und das Wiener Treffen vorbereitet. Sie könnten sich jetzt profilieren als zuverlässiger Partner. Und das wäre zum Nutzen aller Beteiligten.
China will sich festsetzen
Ausser vielleicht der Chinesen. Derart durch die amerikanischen Sanktionen in die Enge getrieben, hat der Iran beschlossen, ein langfristiges und weitreichendes Kooperationsabkommen mit der Volksrepublik abzuschliessen. Auf den ersten Blick ist dies von Nutzen für den Iran, weil China sein Erdöl kaufen wird – egal was die Amerikaner sagen – und weil es beabsichtigt, viel im Iran zu investieren. „Zu viel“ sagen allerdings viele Iraner, die fürchten, dass der Iran dem Beispiel anderer Staaten folgen könnte, die vom chinesischen Engagement zu profitieren hofften, statt dessen aber vollends in Abhängigkeit von Peking gerieten.
Der Vertrag mit China soll im Sommer unterzeichnet werden, deswegen drängen jetzt in Teheran politische Kreise aus der Umgebung von Präsident Rohani darauf, rechtzeitig die Wiederherstellung des Atomabkommens durchzusetzen, um sich ein grösseres Mass der Unabhängigkeit zu bewahren. Angesichts der gespannten Beziehungen zwischen den USA und China könnte Washington auch daran gelegen sein, und letztlich wird vermutlich auch Ali Khamenei daran gelegen sein, denn der inzwischen 82-jährige „Oberste Führer“ dürfte sich langsam Gedanken über die Zukunft des Staates machen.
Die Zeit drängt: Hardliner könnten das Ruder übernehmen
Als nächster Schritt stehen im Juni Präsidentschaftswahlen bevor: Rohani kann nicht wieder antreten und alle Prognosen laufen darauf hinaus, dass der Nachfolger ein Hardliner sein wird, obwohl konkrete Kandidatennamen bisher nicht bekannt sind. Weder aus dem Lager der Hardliner noch aus dem der Reformer um Rohani. Die Bevölkerung ist mit ihren Problemen beschäftigt und sie ist enttäuscht von beiden politischen Lagern. So kann es durchaus geschehen, dass die Wahlbeteiligung diesmal geringer sein wird als sonst. Obwohl die Vergangenheit gezeigt hat, dass die Wahllokale sich meistens doch noch am Abend füllen und länger offen gehalten werden. Wie auch immer: Ein Machtwechsel zu den Hardlinern wird die angestrebte Einigung über das Atomabkommen sicher nicht fördern. Deswegen dürften inzwischen alle Beteiligten eingesehen haben, dass die Zeit drängt.
Auf ihre eigene Weise scheint dies auch für die israelische Regierung zuzutreffen, die trotz ungenügenden Wahlergebnisses weiterhin von Benjamin Netanjahu geführt wird. Und der ist alles andere als einverstanden mit der Wiederbelebung des 2015-Abkommens. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass jetzt gerade der US-Verteidigungsminister nach Jerusalem gekommen ist, dass Israel der Angriff auf ein Schiff der iranischen Revolutionsgarden im Roten Meer nachgesagt wird und nun an diesem Wochenende ein ferngesteuerter Sabotageangriff auf die Nuklearanlage von Natanz. Erst am Samstag hatte Präsident Rohani die Inbetriebnahme einer neuen und hochmodernen Zentrifuge in Natanz beigewohnt.