Ein New Yorker Staatsanwalt hat Ex-Präsident Donald Trump im Zusammenhang mit einer Schweigegeldzahlung an Pornodarstellerin Stormy Daniels wegen Fälschung von Geschäftsunterlagen in mehr als 30 Punkten angeklagt. Erstmals in der fast 250-jährigen Geschichte Amerikas kommt ein Präsident eines Verbrechens wegen vor Gericht – mit noch unabsehbaren Folgen.
Als Donald Trump im vergangenen November ankündigte, 2024 zum dritten Mal als Präsident kandidieren zu wollen, zeigte ihm die «New York Post», bis anhin eine loyale Fan-Postille, unvermittelt die kalte Schulter. «Mann aus Florida macht Ankündigung», hiess der Anriss auf der Frontseite auf einen Bericht auf Seite 26 des Boulevardblatts: «Lediglich 720 Tage vor der nächsten Wahl hat ein Rentner aus Florida überraschend bekannt gegeben, er kandidiere für das Weisse Haus.» Der Artikel berichtete, Trump, bekannt für vergoldete Lobbys und das Feuern von Leuten in Reality-Shows im Fernsehen, werde 2024 78 Jahre alt sein: «Seine Cholesterin-Werte sind unbekannt, aber sein Lieblingsessen sind verkohlte Steaks mit Ketchup.»
In der Folge begannen etliche Leute zu argumentieren, endlich würden Amerikas Medien ihre ungesunde Faszination für alles verlieren, was nur irgendwie mit Trump zu tun habe. Sogar der Fernsehsender Fox News, dessen Moderatorinnen und Moderatoren dem Ex-Präsidenten stets unterwürfig gehuldigt hatten, verschrieb sich eine Trump-Diät und liess den «Mann aus Florida» ab November nicht mehr live am Bildschirm auftreten. Das hatte zwar auch mit einem drohenden Prozess des Wahlmaschinenherstellers Dominion Votings Systems zu tun, war aber trotzdem auffällig.
«Ein Präsident hinter Gittern»
Doch mit der Ankündigung des New Yorker Staatsanwalts Alvin Bragg vom vergangenen Donnerstag, Donald Trump wegen Zahlung eines Schweigegeldes in der Höhe von 130’000 Dollar an die heute 44-jährige Stephanie Clifford alias Pornostar Stormy Daniels strafrechtlich zu verfolgen, sind erneut alle Dämme der Trump-Berichterstattung gebrochen und die «Breaking News»-Banner aus der Mottenkiste gekramt worden. «Trump angeklagt», meldeten in den USA gross und fett die Schlagzeilen fast aller Websites.
Derweil beeilte sich Fox News alarmiert, dem bedrängten Ex-Präsidenten wieder zur Seite zu stehen. «Unter Umständen werden wir einen Präsidenten hinter Gittern sehen», sagte der Konservative Mike Davies als Gast einer Talk-Sendung: «Die einzige Möglichkeit, einen freien Trump zu bekommen, wird es sein, einen freien Trump zu wählen.»
Moderator Tucker Carlson, der laut Unterlagen im Fall Dominion einem Kollegen verraten hatte, er hasse Trump aus Leibeskräften, beschrieb die Anklage als Wendepunkt für Amerika: «Die Rechtstaatlichkeit ist heute Abend aufgehoben worden. Was Sie nun sehen, ist Rechtlosigkeit – die Frage ist nur, wer kann sie stoppen?» Es fühle sich an, so Carlson, als würden sie (die Washingtoner Eliten) die Bevölkerung provozieren, aber diese dürfe sich das nicht bieten lassen: «Und ich hoffe nur, dass jeder, der das sieht, bereit ist, für was immer als Nächstes kommt.» Carlsons Fox-Kollegin Laura Ingraham berichtete über den Fall begleitet vom Motto: «Trump jagen, Amerika zerstören.»
«Scheiden sind Landminen»
Der kitzlige Hintergrund der Geschichte? 2006 waren sich Donald Trump und Stormy Daniels anlässlich eines Golfturniers in einem Hotel in Lake Tahoe (Nevada) nähergekommen. Es war eine Begegnung der intimeren Art, an die sich Daniels im Nachhinein lediglich mit Schaudern erinnerte und in deren Anschluss das Paar ihr zufolge auf dem TV-Sender Discovery eine Doku über Haie anschaute, die Trump aber missfiel und bemerken liess, er wünsche sich, alle Haie würden sterben.
Als die Geschichte 2018 ruchbar wurde, dementierte Donald Trump das Ganze umgehend, obwohl ausser Frage steht, dass er der Pornodarstellerin via seinen Anwalt Micheal Cohen 130’000 Dollar hat zukommen lassen, um sich ihr Schweigen zu erkaufen. Cohen hatte Daniels kontaktiert, nachdem Trump 2016 zum Kandidaten der republikanischen Partei gekürt worden war, und die Frau wissen lassen, es gehe jetzt darum, den Ausgang der Präsidentenwahl zu beeinflussen, auf den sich das Platzen der Story unter Umständen negativ ausgewirkt hätte.
Stormy Daniels ihrerseits sagte, sie habe das Geld genommen, um ihr kleines Kind und ihre Karriere zu schützen. Trump argumentierte am Ende, er habe die Zahlung veranlasst, um «falsche und erpresserische Anschuldigungen» zu stoppen. Dabei vergass er offenbar, was er einst in einem ähnlichen Fall prahlerisch hatte verlauten lassen: «Scheiden sind Landminen … Dort lauern ein paar reale Gefahren.»
«Gestapo-mässige Untersuchung»
Ausser Zweifel steht, dass die jüngste Anklage gegen Donald Trump lediglich die letzte in einer Serie von Anschuldigungen ist, die inzwischen 50 Jahre zurückreicht. In diesem Zeitraum war Trump als Immobilien-Unternehmer, Fernseh-Moderator und Politiker in der einen oder anderen Form in mehr als 4’000 Rechtshändel involviert und Instanzen haben auf allen möglichen Ebenen gegen ihn ermittelt – von lokalen Gerichten bis zum US-Kongress.
Einen ersten Fall hatte es 1973 gegeben, als ein Bundesgericht Donald Trump und seinen Vater Fred beschuldigte, schwarze Mieter zu diskriminieren. Trump dementierte erst, um später einzuräumen, er habe nicht gewusst, dass sein Verhalten illegal sei. Dafür beschuldigte er via seinen Anwalt die Regierung, eine «Gestapo-mässige Untersuchung» gegen ihn durchzuführen. Er wurde damals zwar nicht verurteilt, musste aber Anzeigen platzieren, in denen er versprach, keine Mieter mehr zu diskriminieren.
«Donald war stets furchtlos»
Bis heuten ist es dem Ex-Präsidenten gelungen, während seiner Karriere den Hals wiederholt mit allen möglichen Tricks, Taktiken und Manövern aus der Schlinge zu ziehen. «Donald war stets furchtlos», sagt heute Barbara Res, die während zwei Jahrzenten als Ingenieurin und Anwältin für ihn gearbeitet hat: «Er glaubte felsenfest, er würde über dem Recht stehen. Er liebte es, krumme Dinge zu drehen, Er liebte es, Leute anzuklagen.»
Res glaubt nicht, dass es der Anklage gelingen wird, Trump zur Rechenschaft zu ziehen: «So wie Mueller (der Ex-FBI-Chef, der als Sonderermittler mögliche Kontakte von Trumps Wahlkampfteam zu russischen Stellen untersucht hat) am Ende zum Rückzug blies, werden sie nicht den Mut haben, das gegen ihn wirklich durchzuziehen. Aber oh, das wäre so schön.»
Juristen zufolge ist die Anklage wegen Donald Trumps Schweigegeldzahlung unter Umständen das schwächste von fünf Strafverfahren, die derzeit gegen ihn laufen. Nach wie vor untersucht ein Sonderermittler des Justizministeriums Trumps Rolle beim Sturm auf das US-Capitol am 6. Januar 2021. Ein Staatsanwalt in Georgia ermittelt, ob der Ex-Präsident und Leute aus seinem Umfeld 2020 versucht haben, den Ausgang der Präsidentenwahl im Peach State illegal zu beeinflussen.
In New York läuft derweil noch ein Verfahren gegen Trump, drei seiner Kinder und die Trump Organization wegen offenkundiger Manipulationen bei der Einschätzung des Werts von Immobilien zum Zweck der leichteren Erlangung von Krediten und Steuersenkungen. Derweil untersuchen Strafverfolger nach der Durchsuchung seines Landsitzes in Mar-a-Lago (Florida), ob sich der Ex-Präsident nach seiner Abwahl des fahrlässigen Umgangs mit Geheimdokumenten schuldig gemacht hat.
«George Soros’ Handlanger»
Während Medien wie Fox News Donald Trump erneut umarmt haben, geben auch republikanische Politiker und potenzielle Rivalen, die sich zwischenzeitlich vorsichtig von ihm abgesetzt hatten, dem Ex-Präsidenten wieder volle Rückendeckung. «Die Instrumentalisierung unseres Rechtssystems zu politischen Zwecken stellt die Herrschaft des Rechts auf den Kopf», liess Floridas Gouverneur Ron DeSantis, der 2024 als Trumps gefährlichster Gegenspieler gilt, über Twitter verlauten. «Die noch nie da gewesene Anklage eines früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten in Sachen (illegaler) Wahlkampf-Finanzierung ist ein Skandal», sagte Ex-Vizepräsident Mike Pence auf CNN.
Kevin McCarthy, Mehrheitsführer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, liess verlauten, Staatsanwalt Alvin Bragg habe dem Land irreparablen Schaden zugefügt mit seinem Versuch, eine Präsidentenwahl zu beeinflussen: «Während er routinemässig gewalttätige Kriminelle laufen lässt, um die Öffentlichkeit zu terrorisieren, hat er unser heiliges Justizsystem gegen Präsident Donald Trump instrumentalisiert.» DeSantis seinerseits hat Bragg vorgeworfen, lediglich ein Handlanger des Philanthropen George Soros zu sein, der die demokratische Partei unterstützt – ein kaum verhüllter antisemitischer Schlenker. Trump selbst nennt den Staatsanwalt einen «degenerierten Psychopathen» und «menschlichen Abschaum».
«The Great Public Pee Pee Debate»
Indes macht der rechte Flügel der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus mit irrwitzigen Anhörungen auf sich aufmerksam. Wer erwartet hätte, das jüngste Massaker an einer christlichen Privatschule in Nashville (Tennessee) hätte die Besorgnis des Gremiums erregt, sah sich getäuscht. Nein, es war das gravierende Problem des öffentlichen Urinierens in Washington DC, welches die Abgeordneten in einer Anhörung zur «Krise des Verbrechens» in Amerikas Hauptstadt intensiv beschäftigte – parlamentarischer Aktivismus, den ein Kolumnist der «Washington Post» «the Great Public Pee Pee Debate of 2023» tituliert.
Noch ist unbekannt, wie die Basis der republikanischen Partei (GOP), die von einigen ihrer Anführer kaum verhüllt zu gewalttätigen Protesten aufgefordert wird, auf Alvin Braggs Anklage gegen Donald Trump reagieren wird. «PROTESTIERT», schrieb der Ex-Präsident auf seiner Plattform Truth Social: «EROBERT UNSER LAND ZURÜCK». Erneut sieht sich Trump als unschuldig Verfolgter und Märtyrer und fordert seine Anhängerschaft auf, für seinen Wahlkampf Geld zu spenden. Innert drei Tagen kamen so bereits 1,5 Millionen Dollar zusammen. Zuvor hatte er auf seinem Kurznachrichtendienst noch vor «potenziellem Tod und Zerstörung» gewarnt, sollte er angeklagt werden.
«Bis zum Endsieg»
Dem konservativen Radiomoderator Hugh Hewitt zufolge lässt sich die Wählerschaft der GOP heute in vier Lager aufteilen: Nie Trump, Manchmal Trump, Immer Trump und Nur Trump. Die «Only Trumpers» machen Hewitt zufolge 25 bis 30 Prozent der Parteibasis aus – ein ähnlich grosser Anteil wie die Zahl jener Parteigänger, die nie mehr für Trump stimmen werden. Allerdings scheint wenig wahrscheinlich, dass es Donald Trump 2024 gelingen wird, jene Wählerinnen und Wähler in den Vororten des Landes und jene Unabhängigen erneut für sich zu gewinnen, die 2016 noch für ihn gestimmt haben.
Dieses Segment der Wählerschaft dürfte sich auch nicht durch das düstere Bild Amerikas beeinflussen lassen, das Donald Trump jüngst bei einem Wahlkampfauftritt in Waco (Texas) in einer wirren, anderthalbstündigen Rede gezeichnet hat: «Die finsteren Mächte, die versuchen, Amerika zu töten, haben alles getan, um mich aufzuhalten, um euch zum Schweigen zu bringen und um diese Nation in eine sozialistische Müllhalde für Kriminelle, Junkies, Marxisten, Schläger, Radikale und gefährliche Flüchtlinge zu verwandeln, die kein anderes Land haben will. Kein anderes Land will sie haben. Wenn unsere Gegner Erfolg haben, werden unsere einst so schönen USA ein gescheitertes Land sein, das niemand mehr anerkennen wird. Ein gesetzloser, offener, krimineller, schmutziger, kommunistischer Albtraum. Das ist es, worauf es hinausläuft, und dorthin wird es auch gehen (…) Deshalb stehe ich hier vor euch, weil wir beenden werden, was wir begonnen haben. Wir haben etwas begonnen, was ein Wunder war. Wir werden die Mission zu Ende bringen. Wir werden diese Schlacht bis zum Endsieg schlagen.»
«Plicht ist Pflicht»
Angesichts des Umstands, dass Donald Trump kommende Woche in Manhattan allenfalls wie jedem Verhafteten die Fingerabdrücke genommen werden, er von der Polizei fotografiert wird und ihm vielleicht sogar Handschellen angelegt werden, fragen sich besorgte Stimmen, ob es einer Demokratie nicht unwürdig sei, einen früheren Anführer der Nation zu verfolgen. «New York Times»-Kolumnist Nicholas Kristof erinnert in diesem Kontext daran, dass allein Südkorea fünf frühere Präsidenten angeklagt und verurteilt hat – ein Umstand, den er zuerst als Ausdruck politischer Unreife interpretiert, später als Voraussetzung dafür gesehen habe, das politische System des Landes zu stärken. «Dieser Vorgang mag hässlich sein», zitiert Kristof Professorin Jie-ae Sohn der Ewha Womans University in Seoul: «Wir glauben aber, dass er unsere Demokratie stärkt und ihr mehr Resilienz verleiht.»
Wobei Donald Trump nicht der erste amerikanische Präsident ist, der verhaftet wird. 1872 stoppte ein Polizist in Washington DC Präsident Ulysses S. Grant, weil dieser mit seiner Pferdekutsche zu schnell gefahren war. Der Gesetzeshüter hatte den Politiker per Handzeichen gestoppt und dieser war ihm ohne Widerstand auf die Polizeiwache gefolgt. «Es tut mir leid, Mr. President, dass ich das tun muss», sagte der Polizist einem Bericht der «Washington Post» zufolge: «Sie sind der Chef der Nation und ich bin lediglich ein Polizist, aber Pflicht ist Pflicht, Sir, und ich muss sie verhaften.»
Quellen: New York Times, Washington Post, The Guardian, The New Yorker, HuffPost, Semafor, AP, Wikipedia