Ihre Kommunikation solle besser verstanden werden, lautet jetzt die Parole. Der Erfolg hängt aber davon ab, ob Economiesuisse auch die Bevölkerung besser versteht.
„Der starke politische Einfluss der Wirtschaftsverbände beruht auf mehreren Faktoren. […] Verbände sind Akteure, die dem Staat für die Berücksichtigung ihrer Interessen eine Gegenleistung anbieten können. Dazu gehören Informationen und Vollzugshilfen, für die der Staat keine eigene Verwaltung aufbauen muss.“ Dieses Zitat aus „Schweizerische Demokratie“ von Wolf Linder, dem bewährten Standardlehrmittel für unsere Studenten, sagt eigentlich schon fast alles.
Rückblick
Nach der total verunglückten und verlorenen Abstimmungskampagne gegen die Abzockerinitiative schob der damalige Direktor des wichtigen Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse das Abzockerdrama des Daniel Vasella als „Entschuldigung“ in den Vordergrund. Kommunikationsspezialisten konnten allerdings eine ganze Anzahl anderer Fehlleistungen aufzählen.
Da der Zwang zu drastischen Veränderungen in der Verbandsführung bei Economiesuisse intern nicht überall wahrgenommen wurde, kam es dann 2013 zu den Rücktritten des Präsidenten und der Freistellung des Direktors. Der Verband hätte die Bodenhaftung und das politische Gespür verloren, kritisierten SVP und CVP. Ein Kommentator meinte schlicht, die Schweizer Wirtschaftslobby befände sich in einem lamentablen Zustand und sei völlig aus dem Gleichgewicht geraten.
Inzwischen sind Heinz Karrer als neuer Präsident und Monika Rühl als Direktorin mit Amtsantritt Anfang September gewählt worden. Karrer kommt vom Stromkonzern Axpo; Rühl, Karrierebeamtin, war zuletzt Generalsekretärin im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Karrer wird als ausgewiesener Vermittler beschrieben, nicht aber als Reformer. Rühl, studierte Geisteswissenschaftlerin, gelernte Diplomatin, hat nie in der Privatwirtschaft gearbeitet und ist ohne wirtschaftliche Ausbildung und Erfahrung. Die beiden sollen also Economiesuisse „neu positionieren“.
Alles eine Sache der Kommunikation?
Die neue Direktorin will sich darum bemühen, dass die Botschaft der Wirtschaftsverbände beim Volk und in Bundesbern besser verstanden wird. „Die Kommunikation muss klarer werden“, meinte sie vor den Medien im Februar 2014. Herr Karrer lobt sie als „sehr authentisch“. Als vormalige Generalsekretärin bei Bundesrat Johann Schneider-Ammann kennt sie die Verwaltung, weiss um Verfassung und Taktieren, ist sie exzellent vernetzt in Bern. Zusammen mit Karrer soll sie die Reputation des angeschlagenen Dachverbands der Schweizer Wirtschaft verbessern. Unter diesem Dach sind rund 100 Branchenverbände und 100‘000 Unternehmen mit 2 Millionen Arbeitnehmern angesiedelt.
Auf dem Papier sollte es jetzt wieder aufwärtsgehen mit dem „starken politischen Einfluss“. Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: War in der Vergangenheit eher die Hülle der Botschaft (Kommunikation) oder deren Inhalt das Problem? Die Leitung des Ressorts Kommunikation und Kampagnen ist seit Ende 2013 verwaist. Nun wurde schon mal bekannt, dass angesichts der Brisanz politischer Auseinandersetzungen diese beiden Kernbereiche aufgespalten würden. Die heiklen Politkampagnen sollen ausgelagert werden, da sie sich negativ aufs Verbandsimage auswirken könnten…
Vertrauensverlust in die wirtschaftliche Elite
Wie steht es denn heute um die kollektiven Interessen im Land? Gemeinsam, nicht egoistisch, ist ein Schlüsselwort. Standen früher Persönlichkeiten im Fokus, die glaubwürdig Politik und Wirtschaft vertraten, stossen wir heute bei der Wirtschaftselite, die sich tunlichst aus der Politik fernhält, auf Namen wie Brady Dougan, Peter Brabeck, Sergio Ermotti und – bis vor kurzem eben – Daniel Vasella. Gemeinhin werden diese Namen mit Abzockerei und Unbescheidenheit in Verbindung gebracht. Gemeinsame Interessen zwischen Bevölkerung, Politik und Konzern sind da wenige auszumachen. Schweizerische Werte, die in grossen Teilen des Volkes immer noch tief verwurzelt sind, wo sind sie geblieben? Mass halten, Bescheidenheit, Konsens – in Konzernzentralen, deren Chefs oft im Ausland wohnen, weiss man gar nicht, was damit gemeint ist. Eine Ausnahme kennen wir: Christoph Blocher, der mit der Bodenhaftung. Ist er vielleicht deshalb so erfolgreich?
Sprach man früher gelegentlich vom Filz zwischen Wirtschaft und Politik, achselzuckend und eher wohlwollend, ist das Kontakt zwischen beiden heute im Wesentlichen auf anonyme Lobbyisten reduziert. Konzernen ist die Schweizer Politik schnuppe. Bis dann bei einer Abstimmung (9.2.2014) unerwarteterweise etwas schief läuft. Das Ja zur Zuwanderungsinitiative sollte bei Economiesuisse als Ohrfeige wahrgenommen werden, investierte sie doch 8 Millionen Franken in ihre Nein-Kampagne. Die Strategen übersahen, dass billige Arbeitskräfte aus dem Ausland zwar für die Wirtschaft willkommen sind, die negativen Auswirkungen in der Bevölkerung dagegen höchst zwiespältige Reaktionen hervorrufen. Heinz Karrer hat für diese Strömungen bisher wenig Verständnis gezeigt.
Starke Werte statt schöne Worte
Letztes Jahr meinte Nick Hayeck (Swatch Group), dass man bei Economiesuisse nicht mehr wissen wolle, was eine Fabrik sei. Auch im Zusammenhang mit deren Kampagne gegen den Atomausstieg riet er den Verantwortlichen, weniger ans Lobbyieren und mehr für aktive Lösungen und Veränderungen im Land zu tun. Doch nach wie vor lobbyiert der Verband zum Beispiel gegen Subventionen in der Solarbranche.
Economiesuisse kritisiert die bundesrätlichen Pläne für eine grünere Wirtschaft sehr direkt und aggressiv. Die vorgesehene planwirtschaftliche Umsetzung wird schlechtgeredet – als wären freiwillige Massnahmen die Lösung. Die Verteilung der Ressourcen würde am effizientesten durch den Markt reguliert. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die markteffiziente Verteilung inzwischen zu gröberen Problemen führt und dass die Energieproduktion allein auf freiwilliger Basis nicht grüner wird. Schon mal lässt der Verband verlauten, die Energiewende sei für grosse Stromverbraucher nicht verkraftbar – Schuld an allem Übel sei der Bundesrat.
Schöne Worte finden sich auch in der neuesten Medienmitteilung von Economiesuisse „Wachstumspolitik“, die Mitte August publiziert wurde. Darin wird suggeriert, die breitangelaufene Kritik des ungebremsten Wachstums in der Schweiz verfehle den Kern der Sache. Nach altem, dualistischem Denken wird die Entweder/oder-Entscheidung an die Wand gemalt: Entweder entscheiden wir uns für Wachstum und damit für Wandel, Entwicklung, Fortschritt. Oder für Nullwachstum, was Erstarrung und Stillstand hiesse. Folgerichtig werden je sieben Beispiele für positives Wachstum oder Mythen des Nullwachstums geschildert. Die je sieben Beispiele negativen Wachstums oder positiven Nullwachstums sucht man in der reich bebilderten Publikation vergeblich.
Nur: das „Entweder-oder-Argument“ ist vielerorts längst der Einsicht gewichen, dass „Sowohl-als-auch-Konzepte“ eher weiterführen. Viel kurzfristig Positives entpuppt sich längerfristig als negativ – dann wenn die unbedachten Folgen sichtbar werden. Ehrlicherweise heisst das natürlich auch, dass kurzfristige Nullwachstumsstrategien oft unbeabsichtigte Spätfolgen zeitigen.
Der Markt
Der Markt reguliert alles. Diese alte Leier der früheren ökonomischen Lehrmeinung ist inzwischen aus den Köpfen der Bevölkerung, auch jener vieler Politiker oder KMU-Inhaber, weitgehend entsorgt worden. Da kann auch ein neues Kommunikationskonzept bei Economiesuisse daran nichts ändern. Hier werden Fakten nach wie vor opportunistisch verpackt und der verblüfften Bevölkerung vorgelegt. Die Wertediskussion, im Volk schon seit einiger Zeit im Gang, scheint dort noch nicht angekommen zu sein. Daran wird die neue Direktorin schwer zu schaffen haben.
Peter F. Drucker (1909-2005), Ökonom und kritischer Beobachter der kapitalistischen Gesellschaft, schrieb einmal: „Moderne Organisationen haben eine Lobby. Nichts schadet einer Organisation so sehr wie der Anspruch auf politische Macht.“
Wahrnehmung des Volkes
Man kann trefflich darüber streiten, ob im Volk der Begriff „Masslosigkeit“ – bei Wachstum, Salären, Neuüberbauungen, Initiativen oder Lärmtoleranz bei neuzugelassenen Sportwagen – tatsächlich Grund für Skepsis und Angst gegenüber der Globalisierung ist. Jedenfalls nehmen viele Teile unserer Bevölkerung diese Entwicklung so wahr. Da wird die Epoche neoliberaler Deregulierung längst unwillig in Frage gestellt. Kampagnen der Economiesuisse sollten wohl zukünftig berücksichtigen, dass funktionierende Märkte und staatliche Regulierungen kein Gegensatzpaar bilden. Konsensfähige Positionen werden nötig sein, nicht Polarisierung.
Economiesuisse ist zu wichtig für die Schweiz, als dass sie sich nur als Lobbyverband verstehen dürfte. Zeichen setzen heisst, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft für neue Lösungen zu motivieren. Unsere wirtschaftsliberale Politik kommt letztlich allen zugute. Den unsichtbaren Zusammenhang zwischen Verantwortung, Engagement, Innovationskraft hier, Masshalten, Hinhören, Konsenssuchen dort, diesen Zusammenhang zu fördern, ist vordringlich. „Unsere Kommunikation muss besser verstanden werden“ – wie die neue Direktorin sagte – das ist das eine. Andererseits sollte Economiesuisse danach trachten, die Bevölkerung besser zu verstehen. Denn hierzulande bestimmt das Volk.