Es ist eine Entwicklung, die schon mehr als ein Jahr andauert, die aber in diesem Herbst anlässlich der politischen Rentrée eine neue Qualität bekommen hat. Schleichend, aber unwiderstehlich machen sich vor allem auf dem Infokanal CNews, aber auch beim Konkurrenten LCI in den Diskussionssendungen dieser beiden Info-TVs spätestens seit Herbst 2019 die Ideen der extremen Rechten und der Identitären breit, fast ohne nennenswerte Diskussionsteilnehmer, die dem etwas entgegenhalten würden. Immer mehr Kolumnistinnen und Kolumnisten kommen aus dem rechtsextremen Lager, aus der Redaktion der Wochenzeitung „Valeurs Actuelles“, ja sogar der offen lepenistischen Monatszeitung „L’incorrect“, die für die streng identitäre und gesellschaftspolitisch erzkonservative Linie der Enkelin von Jean Marie Le Pen, Marion Maréchal, stehen.
CNews, so heisst es dieser Tage schon, gerate nach und nach zu einer französischen Version von „Fox News“.
Problematische Rolle der Info-TVs
Die drei französischen Info- TVs, von denen „BFM“ mit Abstand das wichtigste ist, spielen in der politischen Debatte des Landes schon seit Jahren eine reichlich umstrittene Rolle. Ihre Schnellebigkeit und der Druck, den sie auf Politiker und Verantwortliche des öffentlichen Lebens ausüben, die permanente Suche nach Polemiken und möglichst lautstarkem Streit hat dem Stil der politischen Diskussion in Frankreich in den letzten Jahren alles andere als gutgetan.
Für Abwägen und Nachdenken ist in diesen Medienmaschinen keine Zeit mehr vorhanden. Dank überschneller Reaktionen und Statements müssen Politiker und Verantwortliche immer häufiger ihre Zeit damit verbringen, allzu schnell Gesagtes wieder zurechtzurücken, es halb oder ganz zu dementieren. Manchmal kann das Tage dauern, es kann die Programmplätze dieser Sender füllen und landesweite Debatten auslösen, in denen es im Grunde um nichts oder um nicht viel geht.
Stellenweise konnte man in den letzten Jahren sogar den Eindruck gewinnen, diese Infokanäle würden der französischen Politik die Themen diktieren und den Politikern den Zeitplan für ihr Handeln vorschreiben.
Gleichzeitig ist es inzwischen aber so, dass sich eben diese Politiker nach wichtigen Treffen, Sitzungen und Entscheidungen oder aber wenn sie meinen, irgendetwas zu sagen zu haben, immer öfter zunächst auf die Mikrophone und Kameras der Info-TVs – allen voran „BFM“ – stürzen. Die zwei grossen Fernsehanstalten „TF1“ (privat) und „France 2“ (öffentlich-rechtlich) haben dabei im politisch-medialen Tagesgeschäft mittlerweile ganz eindeutig das Nachsehen.
Debatierclubs
All das war schon nicht sonderlich erklecklich, doch es sollte noch dicker kommen.
Sofern keine brandheisse Aktualität das normale Programm umwirft, haben zwei dieser drei Infokanäle – „CNews“ und „LCI“ – ganz eindeutig neue Prioritäten gesetzt. Information gibt es dort zwar weiterhin, aber kaum mehr längere Reportagen oder Hintergrundinformationen. Dafür haben beide Sender neuerdings ihre Programmschienen zwischen den stündlichen Nachrichten ganz überwiegend mit Talk-Shows gefüllt. Eine am Vormittag, eine am frühen, eine andere am späten Nachmittag und eine weitere am Abend. Insgesamt zwischen sechs und acht Stunden pro Tag. Diese Diskussionen werden zum Grossteil von etwas abgehalfterten Journalisten, die sich einen gewissen Namen und eine ordentliche Eloquenz bewahrt haben und politisch mehr oder weniger klar einzuordnen sind, unter der Obhut eines hauseigenen Journalisten bestritten.
Das Motto für diese Debatten, in denen sich fast immer nur zwei, manchmal auch mehrere Streithälse beharken, lautet: Es muss krachen, je kontroverser und heftiger es dabei zugeht, desto besser. Übergriffe aller Art, Schläge unter die Gürtellinie und politisch möglichst unkorrekte Formulierungen sind herzlich willkommen, ja so etwas wie das Salz in der trüben Suppe dieser inszenierten Konfrontationen.
Das Beachtliche: Unter denen, die da seit einem guten Jahr bei „LCI“, aber vor allem bei „CNews“ zu diesen Debatten geladen sind und somit einen Teil des Programms füllen, sind immer mehr Vertreter des rechtsextremen Lagers. Und niemanden scheint das wirklich zu stören.
CNews
Dieses permanente Informationsfernsehen hiess früher „I-Télé“, gehörte zur Gruppe von „Canal Plus“ und war ein durchaus seriöser, angesehener Sender. 2015 hat dann der Grossindustrielle Vincent Bolloré, Eigner eines Mischkonzerns mit 25 Milliarden Euro Umsatz und Hauptaktionär des weltweit grössten Musikkonzerns Vivendi, – auf dessen Yacht einst ein gewisser Nicolas Sarkozy kostenlos einige Tage lang seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2007 im ägäischen Meer hatte feiern dürfen – das Pay-TV „Canal Plus“ übernommen. Alle kritischen und investigativen Sendungen wurden daraufhin nach und nach abgeschafft und der Informationskanal „I-Télé“ so weit ausgetrocknet, bis er quasi von der Bildfläche verschwunden war, bevor er Ende 2017 als „CNews“ wiederauferstehen sollte.
In der Programmschiene von „CNews“ mit den stundenlangen Talk-Shows ist ein guter Teil der Moderatoren inzwischen nicht mehr dazu da, zu moderieren oder zu vermitteln, sondern um möglichst hysterisch mit Argumenten aus dem ultrarechten Nähkästchen die Debatten noch weiter anzustacheln.
Der Champion dieser Übung, die darin besteht, den niedrigsten Instinkten der Zuschauer regelmässig den Bauch zu pinseln, heisst Pascal Praud, ein ehemaliger Sportjournalist des grossen Privatsenders „TF1“. Seinen Namen sollte man sich merken.
Seit drei Jahren, begleitet von einer stockkonservativen Journalistin, erklärter Parteigängerin einer harten Rechten und von der Zeitung „Figaro“ abgeworben, organisiert Pascal Praud Debatten und macht jeden Wochentag zwei Stunden lang zu 80 Prozent sein Programm mit den Ideen und Themen des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und anderen, die sich in diesem Dunstkreis bewegen.
All dies bringt offensichtlich Einschaltquoten. „CNews“ vermeldet – auch wenn sich das nur im Hunderttausenderbereich bewegt – in den letzten Monaten eine Bestmarke nach der anderen.
Eric Zemmour
Diese Einschaltziffern verdankt „CNews“ unter anderem auch einem ihrer umstrittensten Kolumnisten, der auf diesem Sender seit Herbst 2019 von Montag bis Donnerstag seinen festen Programmplatz hat. Eigentlich ist er Gast in einer einstündigen Sendung, macht dort aber, was er will und lässt die Moderatorin wie eine Statistin aussehen. Der Mann heisst Eric Zemmour. Auch diesen Namen, sofern man ihn nicht ohnehin schon kennt, sollte man sich merken.
Der umtriebige Herr mit seinen 62 Jahren, der seine journalistische Karriere 1986 beim „Figaro“ begonnen hatte und heute überwiegend nur noch als Polemiker bezeichnet wird, ist 2011, 2017 und erst jüngst am 25. September insgesamt drei Mal wegen rassistischer und religiöser Hetze und Beleidigungen vor Gericht verurteilt worden. Und an diesem 1. Oktober wurde gegen den rechtsextremen Tribun erneut eine Klage eingereicht, nachdem er in seiner Sendung am Vortag über minderjährige unbegleitete Flüchtlinge gepolterte hatte: „Sie haben hier nichts zu suchen. Sie sind Diebe, Mörder und Vergewaltiger, nichts anderes sind sie. Mann muss sie zurückschicken, ja sie dürften überhaupt nicht hier sein.“ Um dann fortzufahren: „Auf der anderen Seite haben wir Staaten wie Marokko, wo diese Leute herkommen. Diese Staaten wollen das aber nicht sehen und davon nichts wissen. Und zwar deswegen, weil sie auf diese Art bei sich selbst weniger Gauner und Arbeitslose haben und – warum nicht, wenn Allah es will – werden diese Leute auch noch die Territorien der Ungläubigen erobern.“ Und, als würde das noch nicht reichen, das Finale: „Diese Knaben da, sie haben alle Rechte. Sobald sie auf französischem Boden sind – und jeder dieser Knaben kostet 50’000 Euro – da werden sie beherbergt und ernährt, es ist das Paradies für sie. Und Frankreich bezahlt diese Invasion auch noch.“
Eine weitere Verurteilung steht bevor, die vierte, die sich Eric Zemmour wie einen Orden an die Brust heften wird.
„CNews“, seinem Arbeitgeber, scheinen all diese Tiraden und Übergriffe vollkommen egal zu sein. Ja, mehr noch: Es ist, als wären Zemmours Verurteilungen vor Gericht wegen ähnlicher Äusserungen für den Sender so etwas wie ein Bonus, ein zusätzlicher Grund gewesen, diesen von der Gefahr des Islam und der Immigration geradezu besessenen Autor im Herbst 2019 zu engagieren und ihn jetzt weitermachen zu lassen, so als wäre nichts geschehen. Und dies eben nach dem Motto: Es kracht, es gibt Skandal, die Gutmenschen toben – all das bringt Einschaltziffern. Derartige Ungeheuerlichkeiten, fast ohne Gegenrede, beinahe täglich auf einem Infosender zu verbreiten, wäre vor nicht mal zehn Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Heute aber kann ein Sender wie „CNews“ mit blankem Hass praktisch ungestört Geschäfte machen.
Andere Medien – nicht viel besser
Andere Medien handhaben den Fall Zemmour – denn dieser Mann ist ein echter Fall – mit nicht ganz so grosser Nachsicht, ohne dem Sprachrohr der extremen Rechten allerdings wirklich wehzutun.
Frankreichs älteste Tageszeitung, „Le Figaro“, im Besitz des Rüstungsunternehmens Dassault, hat Zemmour nach seiner ersten Veurteilung 2011 zwar aus seiner täglichen Ausgabe verbannt, wo er seit 1986 seine ultrarechten Griffel hatte spitzen können. Der rechtslastige Agitator, Journalist und Buchautor von Bestsellern mit Auflagen bis 500’000 – über den Untergang Frankreichs, die drohende Umvolkung und das Verschwinden der weissen Bevölkerung sowie den mutmasslichen Siegeszug des Islam im altkatholischen Frankreich –, er ist zwar seit fast zehn Jahren aus seinem Hausblatt verschwunden. Aber er darf sich bis heute wöchentlich im sehr weit rechts stehenden „Figaro Magazine“ austoben. Dort wo extrem rechtes Gedankengut jedes Wochenende in Hochglanzformat verpackt daherkommt, eingebettet in dutzende Werbeseiten der französischen Luxusindustrie.
Jahrelang hat Eric Zemmour nach seiner ersten Verurteilung wegen Hetze gegen Muslime und Immigranten sogar auch auf dem meistgehörten französischen Radiosender RTL – eine Zeitlang sogar täglich – seinen bräunlichen Senf verbreiten können, bevor die Chefetage des Senders dann 2017, nach seiner zweiten Verurteilung, doch vorsichtig auf Distanz zu ihm ging und seinen Vertrag nicht erneuerte.
Und immer mehr andere
Bei „CNews“ jedenfalls ist der brandstiftende, ultrarechte Polemiker Zemmour inzwischen längst keine Ausnahme mehr, sondern befindet sich in bester, rechtsextremer Gesellschaft. Da will auch der Konkurrent „LCI“ nicht nachstehen. Arno Stephan zum Beispiel, ein alter Intimus von Marion Maréchal, der Nichte von Marine Le Pen, und ihr ehemaliger Mentor, darf sich jeden Morgen zwischen 8.30 Uhr und 10.00 Uhr auf LCI ausbreiten. Neben seinem Namen erscheint die unverfängliche Bezeichnung „Consultant“. Bis letzten Sommer fungierte bei LCI auch Geoffroy Lejeune, der Direktor der Redaktion der rechtsextremen Wochenzeitung „Valeurs Actuelles“, ein weiterer enger Freund von Marion Maréchal, als regelmäsiger Kolumnist.
Man könnte, wenn die Namen dem Leser im Ausland etwas sagen würden, eine Liste von rund 15 Journalisten und Journalistinnen aufzählen, die eine eindeutig rechtsextreme Vergangenheit haben und heute auf diesem Sender oder beim Konkurrenten CNews ein- und ausgehen und schleichend dafür Sorgen, dass ein rassistischer, fremdenfeindlicher, homophober und antifeministischer Diskurs mehr und mehr banalisiert wird. Und diese Chronisten oder Kolumnisten kommen fast alle entweder vom schon genannten „Figaro Magazine“ oder aus der Redaktion der rechtsextremen Wochenzeitung „Valeurs Actuelles“.
Valeurs Actuelles
Diese Wochenzeitung mit einer Auflage von rund 100’000 gehört seit 2015 dem franko-libanesischen Milliardär Iskandar Safa, der zu den 100 vermögendsten Franzosen zählt und ein Spross der christlichen Gemeinde im Libanon ist.
Das Blatt auf Hochglanzpapier, das 1966 ursprünglich als Börsenblatt gegründet worden war, hat sich seit 2012 zusehends radikalisiert und wurde immer mehr das Sprachrohr der Identitären und der extremen Rechten. Die Titelseiten wurden immer reisserischer mit einem immer grösseren Schuss offener Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie. Seiner Auflage war das nur förderlich. Zwischen 2012 und heute hat sie um 50 Prozent zugelegt. Sinti und Roma wurden seitdem aufs Korn genommen, Homosexuelle, farbige Politiker, wie die frühere Justizministerin Taubira oder aber auch Georges Soros mit der Anschuldigung, er plane ein Komplott gegen Frankreich.
Den Gipfel der rassistischen Geschmacklosigkeit hat sich „Valeurs Actuelles“ erst vor wenigen Wochen geleistet.
Unter dem Titel „Obono, die Afrikanerin“ wurde Danièle Obono, eine farbige Nationalratsabgeordnete der Linkspartei La France Insoumise von Jean Luc Mélenchon in einem Cartoon zum Thema „Sklavenhalterei im 18. Jahrhundert“ erniedrigend und beleidigend als Slavin mit eisernem Ring um den Hals und in Ketten gezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Blatt ein Verfahren eröffnet wegen Beschimpfungen mit rassistischem Charakter.
Rechte Konservative und Rechtsextreme
„Valeurs Actuelles“, „Le Figaro Magazine“, seit 2019 nun auch „CNews“ und streckenweise der konkurrierende permanente Infosender „LCI“ scheinen allesamt mehr oder weniger in ein Projekt eingespannt, das schon seit Jahren vor sich hinschlummert und das da lautet: Um an die Macht zu kommen, muss die extreme Rechte in Frankreich es schaffen, mit dem rechten Rand der traditionellen Konservativen eine Art Bündnis einzugehen und es nebenbei schaffen, die Sarkozy-Partei Les Republicains (LR) endgültig von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Gelingen soll das mit Hilfe der Ideen und dem Versuch – in Ahnlehnung an Antonio Gramsci, der sich im Grab umdrehen dürfte –, die kulturelle Hegemonie im Land zu erobern.
Einer der Vordenker dieser sogenannten Neuen Rechten, die extrem rechts ist, heisst Alain de Besnoit und arbeitet an diesem Vorhaben schon seit Mitte der 70er Jahre. Der eine oder andere seiner Zöglinge gehört heute zu den Kolumnisten bei „CNews“ oder „LCI“, zu den Schreibenden bei „Valeurs Actuelles“ oder im „Figaro Magazine“. Und hinter all dem steht – es wird von Jahr zu Jahr deutlicher – Marion Maréchal, die Nichte von Marine Le Pen, die sich zwar 2017 offiziell aus dem aktiven politischen Leben verabschiedet hat, mit ihren Fahrensleuten im Hintergrund aber intensiv den Gedanken der rechtsextremen Machtergreifung über die Ideen und das Zusammengehen mit dem rechten Rand der Konservativen vorantreibt.
Im Herbst 2019 hatte sie eine sogenannte „Konvention der Rechten“ organisiert, zu der Hunderte ihrer Anhänger erschienen waren. Und natürlich hiess der Hauptredner bei diesem Kolloquium damals Eric Zemmour. Für seine rassistische und antimuslimische Hetze und den Aufruf zum Bürgerkrieg in seiner Rede damals ist er jetzt vor einer Woche definitiv verurteilt worden. Und was geschah, um wieder zu den Info-TVs zurückzukommen, damals im Herbst 2019 im Lauf dieses Konvents der Rechten? Der Infosender „LCI“ übertrug prompt die gesamte, mehr als einstündige Hasstirade von Eric Zemmour live und unkommentiert, so als wäre das ein Ereignis von nationaler Bedeutung gewesen.
Selbst Europe 1
Ein letztes Beispiel dafür, dass die extreme Rechte 18 Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen in diesem Land dabei ist, sich in die französische Medienlandschaft einzuschleichen, und dies nicht nur bei den Info-TVs: Im September gab der alte und gestandene private Radiosender „Europe 1“ bekannt, dass Louis de Raguenel, Chefredakteur von „Valeurs Actuelles“, der neue Chef der Politikredaktion dieses Radios werden sollte, welches seit der Nachkriegszeit und bis vor wenigen Jahren eines der Aushängeschilder der französischen Medienlandschaft war.
„Europe 1“ war in der Zeit De Gaulles, als „Radio France“ noch eine Art Staatssender war, so etwas wie die freie Stimme Frankreichs, schon während des Algerienkriegs und auch noch in der 68er Zeit.
Die Journalisten bei „Europe 1“ trauten zunächst ihren Ohren nicht, gingen dann schnell auf die Barrikaden und erreichten am Ende zumindest, dass der von „Valeurs Actuelles“ abgeworbene Herr zunächst mal nur Chef adjoint du Service Politique im Sender wurde. Der Stellvertreter. Wie lange wird er es bleiben?