Neun Jahre nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA und dem Beginn der Subprime-Krise ist die Lage der Finanzwirtschaft erneut explosiv. Wiederum steht die Schattenwelt der Grossbanken am Anfang eines möglichen nächsten Finanz-Erdbebens. Das letzte Mal sprach man von Beinahe-Kernschmelze, da die Verwerfungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft weltweit drastisch waren. Hunderte von Firmen gingen Konkurs, ja ganze Länder Bankrott. Was wird man das nächste Mal sagen?
Schulden, Blasen, Kollaps
Seit Jahrzehnten wird das Wachstums-Dogma der Wirtschaft auf „komme, was wolle“ mit gigantischen Schuldentürmen erzwungen. Dieser Irrweg hat System. Die Zentralbanken der USA und Europas überschwemmen ihre „Hoheitsgebiete“ mit Billiggeld, kaufen Schuldenpapiere lastwagenweise. Herr Draghi will den Euro retten, „whatever it takes“. Die Notenbanken drucken laufend neues Geld, obwohl längst (fast) allen klar ist, dass sie inzwischen ihr Pulver wirkungslos verschossen haben. Die anvisierten Ziele erwiesen sich als unerreichbar. Dafür steigt die Staatsverschuldung weltweit ungebremst.
Was dagegen erreicht wurde, ist die Inflation der Schuldenberge. Mit Zinsen um die null Prozent oder Minuszinsen der EZB gerät die ganze Marktwirtschaft in Schieflage, Vorsorge- und Versicherungskonzernen wird der Zinsertragsboden unter den Füssen weggezogen. Riesige Finanzmittel auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten fliessen in den Immobilienmarkt, der längst in ungesunde Höhen getrieben worden ist. Das Blasenpotenzial der in den letzten Jahren gehandelten Liegenschaften ist dadurch explosionsartig gestiegen. Jetzt droht erneut der Kollaps ganzer Häuser- und Bankenlandschaften. Bereits sprechen besorgte Beobachter von einer Gefährdung nicht nur der Wirtschaft, sondern dadurch auch unserer Freiheitsrechte, ja der Demokratie.
Schattenwelt der Grossbanken
Wie vor bald zehn Jahren steht am Anfang der Bedrohung das Gebaren der Grossbanken. In ihrer Schattenwelt geht die Party weiter, die Mentalität bleibt die alte, Manipulationsvorwürfe folgen sich im Quartalsrhythmus, Milliardenbussen werden abgehakt, respektive im Voraus zurückgestellt (drei Milliarden zum Beispiel bei der UBS), als handle es sich dabei um fixe Nebenkosten. Man wird den Eindruck nicht los, in den Bankbilanzen erschienen Bussen und Steuern gleichermassen ertragsmindernd – und seien folglich mit Schulterzucken zu bilanzieren.
Während ihre Aktionäre riesige Kursverluste zu verdauen haben, kassieren die Bankenverantwortlichen on top ungerührt ihr Millionenbezüge: UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber 6 Millionen, UBS-Chef Ermotti 14,3 Millionen für 2015; die Honorare der CS-Verwaltungsräte stiegen 2015 um 10 Prozent auf 9,9 Mio. Franken; 2015 erhielten fünf Top-Manager der CS total 21 Mio. Franken „Abgangsentschädigung“.
An der Generalversammlung der CS vom 29. April 2016 hagelte es deswegen happige Kritik von Kleinaktionären, die von Dreistheit und Raubrittertum sprachen. Verwaltungsratspräsident Urs Rohner musste das weiter nicht berühren. Längst wusste er seine (ausländischen) Mehrheitsaktionäre hinter sich, und so konnte er jovial dem wirkungslosen Aufstand der (schweizerischen) Kleinaktionäre zusehen.
Gefährlicher Vertrauensverlust
Diese typische Bankenkultur der Unverwundbarkeit, das kaltschnäuzige oder ignorante Verdrängen der Spätfolgen ihres Gehabens auf Gesellschaft und Demokratie – diese Kultur scheint von aussen unbeeinflussbar, von innen unverhandelbar.
Wie schrieb Hans J. Bär, Bankier der alten Schule 2004 in seinen selbstkritischen Memoiren (1): „Es fehlt die Anmut beim Stehlen.“ Im gleichen Buch schrieb er übrigens auch: „Wie kommen wir wieder zu vernünftigen Proportionen, und wie vermeiden wir, geschassten Versagern noch Millionen hinterherzuwerfen? Indem wir in einer ersten Phase die Boni durch Malus-Komponenten ergänzen.“
Apropos Spätfolgen dieses Gehabens auf Gesellschaft und Demokratie: Am Beispiel USA erleben wir dieser Tage, wie sich seit der Finanzkrise 2007/08 ein enormes Frustpotenzial in weiten Bevölkerungskreisen aufgestaut hat. Die Folge von Jobverlust, Arbeitslosigkeit, schlechterer Entlöhnung ist Vertrauensverlust – einerseits in Banken (Kündigung von Hypotheken und Krediten) und andererseits in „Washington“ (Staat und Regierung).
Diese Protestwelle gipfelt momentan in den Vorwahlen für die Präsidentschaft. Der republikanischen Parteiführung zog die Bevölkerung mit ihrem Votum für Donald Trump buchstäblich den Teppich unter den Füssen weg. Hillary Clinton gehen wichtige Wählerschichten verloren, da sie dem „Establishment in Washington“ zugerechnet wird. Dieser Trend könnte bei den Wahlen im Herbst 2016 die amerikanische Demokratie erschüttern.
Die nächste Immobilienblase
Gemäss einer CS-Studie zum Schweizer Immobilienmarkt dürfte die Nachfrage nach Wohneigentum in wenigen Jahren einbrechen. Der Grund für diese Annahme wird bei der Babyboomer-Generation ausgemacht. Diese heute 59- bis 69-Jährigen haben zuletzt die Nachfrage stark hochgetrieben. Dazu kommt das aussergewöhnlich tiefe Hypozinsniveau von ca. einem Prozent, das viele Immobilienkäufe erst ermöglicht.
Da sich irgendwann diese Extremsituation ändern wird, dürfte dannzumal auch das Ausfallrisiko für Banken ansteigen, denn schon ein Prozent mehr Zins bedeutet zurzeit eine Verdoppelung des Hypozinses in Franken. Zur Erinnerung: In den letzten fünfzehn Jahren sind die Preise für Einfamilienhäuser um 60 Prozent, jene für Eigentumswohnungen um satte 100 Prozent angestiegen.
In den letzten Jahren haben viele institutionelle Investoren kräftig in den Mietwohnungsmarkt investiert. So kamen 2015 zusätzliche 24‘000 Wohnungen auf den Markt, gegenüber ca. 13‘000 in früheren Jahren. Kombiniert man die Auswertung der demographischen Zahlen mit der künstlich aufgeheizten Neubautätigkeit, lässt sich das Blasenpotenzial erahnen: Das Angebot droht der Nachfrage davonzueilen. Keine rosigen Aussichten für Bauindustrie, Investoren und Banken.
Neue Gefahren
Als wären die genannten Gründe für erneute Finanzturbulenzen nicht Gefahren genug, zeichnen sich zusätzliche, bisher nicht gekannte Risiken am Horizont ab. Selbst grösste Rohstoffproduzenten und -händler sind durch die rapide gesunkenen Erdölpreise auf dem falschen Fuss erwischt worden. In Amerika sind Kohlenmultis und unzählige Fracking-Unternehmen in arge finanzielle Bedrängnis geraten oder schon Konkurs gegangen.
Stand der Ölpreis 2012 noch bei 125,7 Dollar pro Fass (Brent), taumelte er im April 2016 bei 45 Dollar herum. Auch die Erdgasbranche geriet in den Abwärtsstrudel. Nassim Taleb, der seinerzeit die Finanzkrise von 2008 voraussagte, warnt bereits, diesmal würden bekannte Rohstoffkonzerne und erdölfördernde Länder den neuen „Fall Lehman Brothers“ charakterisieren.
Wie die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ meldet, belaufen sich die Dollarschulden dieser Branche gemäss der Rating-Agentur Moody’s mittlerweile auf 2’000 Milliarden, und bereits vergleichen Kritiker diese Kreditblase mit jener der Subprime-Krise. Wie damals müssen die Grossbanken auch jetzt bangen: Sie sind in diesem High-Yield-Markt voll engagiert. Zusätzlich haben sie an Rohstoffkonzerne mindestens 1’500 Milliarden Dollar Kredit gewährt.
Was UBS und CS betrifft, sind beide Häuser auch durch taumelnde russische Banken betroffen. Das Risiko beläuft sich auf mehrere Milliarden Dollar; der Russland-Chef der CS ist Ende Februar 2016 zurückgetreten.
Der nächste Sturm
Bankaktien (vor allem CS) haben in Europa seit Jahresbeginn eine eigentliche Tauchfahrt erlebt. Offensichtlich bricht das Vertrauen der Anleger in diese Papiere ein. Weltweit gebremstes Wirtschaftswachstum, steigende Risikoprämien, erneut gefährdete Bankenwelten in Italien, ungenügende Eigenkapitalausstattung vieler Bankhäuser (auch der CS und UBS), mässige Gewinnaussichten und viele faule Kredite – immer intensiver wird das Wetterleuchten und Donnergrollen in der Ferne.
Der IWF riet im April 2016 den Banken, „das Problem der hohen Bestände an faulen Krediten aus der Welt zu schaffen“. Neu in den Fokus gerät hier zusätzlich China, dessen Schuldenstand innerhalb von knapp zehn Jahren von 148 auf 249 Prozent der Wirtschaftsleistung hochgeschnellt ist.
Nach der Krise 2008 war man sich einig: Die Eigenkapitalanforderungen für Banken müssten signifikant erhöht werden. Der Feststellung, dass dies in ungenügendem Ausmass erfolgt sei, werden nur die betroffenen Banker widersprechen. In Deutschland macht mittlerweile ein Horrorszenario die Runde: Was würde passieren, wenn die grösste, die Deutsche Bank fallen würde? Der Rekordverlust dieses Traditionshauses von 6,8 Milliarden Euro für 2015 hat weite Kreise geschockt.
Nicht lernwillige Banken
Unseren beiden Grossbanken CS und UBS fehlt noch immer viel Eigenkapital, um einer erneuten Bankenkrise besser begegnen zu können. Trotzdem bekämpfen sie die vom Bundesrat vorgeschlagene Verschärfung der Eigenkapitalregeln. Zwar hat sich die Situation etwas verbessert, doch mit Tricks versuchen sie zu besseren Werten zu kommen, als realistischerweise gefordert wird. Die Leverage Ratio (Verhältnis Eigenkapital zu Verpflichtungen) von fünf Prozent, die angestrebt wird, ist jedenfalls noch in weiter Ferne.
Schuldenblasen türmen sich auf: Überhitzter Immobilienmarkt, unterkühlte Erdölpreise, gefährdete Rohstoffhändler und -produzenten, überschuldetes China und Japan: Dies alles zusammen ergibt einen explosiven Cocktail und droht aus einstigen „sicheren“ Werten und sprudelnden Geldquellen grosse Verlustpositionen zu formen. Überall sind Grossbanken involviert und tangiert.
(1) Hans J. Bär: Seid umschlungen, Millionen“ (2004)