(Unser Autor Heiko Flottau hat kürzlich die palästinensischen Autonomiegebiete besucht. In einer fünfteiligen Serie hat er seine Eindrücke geschildert. Hier sind alle fünf Teile zusammengefasst.)
Die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah geniesst bei der Bevölkerung kaum noch Ansehen. Die wirtschaftliche Krise verschärft sich, Israel setzt die Kolonisierung der besetzten Gebiete unbehindert fort.
Als in den letzten Wochen Palästinenser in Ramallah immer wieder gegen die eigene Regierung demonstrierten, glaubten viele, nun treibe der Arabische Frühling auch im israelisch besetzten und kolonisierten Westjordanland die ersten Blüten. Das mag so sein, doch die Situation ist komplizierter als anderswo in der Region. Denn die Palästinenser kämpfen an mindestens drei Fronten: gegen die israelischen Besatzer und Unterdrücker, gegen die eigene korrupte und weitgehend unfähige Regierung und, zumindest indirekt, auch gegen die sogenannten arabischen Brüder, welche es an der Unterstützung, besonders an politischer, missen lassen. Sollte es zu einem großen Aufstand kommen, zu einer dritten Intifada also, so würde sich diese sowohl gegen Israel als auch gegen die eigene Regierung richten.
An der Wirklichkeit vorbei
Verhasst bei der palästinensischen Bevölkerung ist nicht nur der untätige und blasse Präsident Mahmut Abbas, sondern auch der von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds gepäppelte Ministerpräsident Salam Fayad. Seine als neoliberal empfundene Wirtschaftspolitik hat es nicht fertiggebracht, die Armut vieler Palästinenser zu lindern. Sein Ziel, die palästinensischen Institutionen so fit zu machen, dass sie für eine Staatsgründung geeignet sind, geht an der Wirklichkeit vorbei.
Denn Israel setzt die Kolonisierung des Westjordanlandes ungehindert weiter – unter den Augen einer untätigen Weltöffentlichkeit, die zusieht, wie ein Volk drangsaliert, unterdrückt und aus seinen Wohngebieten vertrieben wird. Neue Siedlungen werden gebaut, die Mauer hat den Palästinensern wichtiges Ackerland und wichtige Wasserquellen entrissen, die Menschen aus dem Jordantal und aus der Wüste Negev werden allmählich durch Hauszerstörungen und Vertreibungen in die übervölkerten Städte wie Ramallah, Dschenin (Jenin), Nablus, Hebron gedrängt.
Subunternehmer der Israeli
Der Leidensdruck der Palästinenser wächst von Tag zu Tag, dass es (noch) nicht zu einem neuen Aufstand gekommen ist, liegt auch daran, dass viele Palästinenser um ihr tägliches wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen.
Hier nun kommt abermals Israel ins Spiel. Um seine Landnahme in aller Ruhe fortsetzen zu können, kann es einen neuen Aufstand nicht gebrauchen. Deshalb tritt es jetzt als Helfer der Autonomiebehörde auf. Plötzlich hat die Regierung Netanjahu versprochen, Aussenstände bei den Zollgebühren, die Israel für die Palästinenser kassiert, zu überweisen. Denn einen Kollaps der palästinensischen Regierung wäre ein absoluter Verlust für Israel. Viele Palästinenser nämlich, wenn nicht eine grosse Mehrheit, sehen die Behörde als Subunternehmer der Israeli. Sie helfe, argumentieren viele, den Israeli bei der Aufrechterhaltung der Besatzung – etwa indem sie im Rahmen der von der sogenannten internationalen Gemeinschaft geforderten Sicherheitszusammenarbeit eigene Landsleute festnehme, die von Israel gesucht würden.
Nächtliche Verhaftungen
Mehr noch: viele Palästinenser, die sich in die Büros der Behörde begeben, um dort etwa finanzielle Angelegenheiten zu regeln, haben beobachtet, dass manche Computer der Behörde direkt mit den entsprechenden Stellen in Israel verbunden sind. Was – demnach – in Ramallah in den Rechner eingegeben wird, kann in Jerusalem gleich mitgelesen werden. Zwar stehen die palästinensischen grossen Städte voll unter administrativer und polizeilicher Kontrolle der Autonomiebehörde. Das hindert die Israeli aber nicht, nachts in diese Städte einzudringen und ihnen verdächtige Palästinenser zu verhaften.
Insgesamt hat die israelische Armee fast 1500 Militärbefehle ausgegeben, mit denen sie die Palästinenser beherrscht. Zudem ist die palästinensische Wirtschaft total mit der israelischen verbunden. Steigen in Tel Aviv die Preise, dann geschieht dasselbe in den besetzten Gebieten. Nur: In Israel beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen etwa 30'000 Dollar, in den besetzten Gebieten maximal 2000 bis 3000 Dollar.
Abhängigkeit durch Kredite
Diese Abhängigkeit der palästinensischen Wirtschaft ist im Pariser Protokoll von 1994 geregelt, einem Anhang zu den Osloverträgen von 1993. Das ursprüngliche Ziel dieses Abkommens war es, die palästinensische Wirtschaft zu entwickeln. Die Praxis aber ist anders. Jeden Import und Export müssen die Palästinenser von Israel genehmigen lassen. Wann immer, schrieb erst Mitte September die israelische Menschenrechtsorganisation B`Tselem, es den Israelis gefalle, die besetzten Gebiete abzuriegeln, komme jeder Handel zwischen den Palästinensern und der Aussenwelt zum Erliegen; also sei das Pariser Protokoll ein grosses Hindernis für die Palästinenser. Kein Wunder, dass die palästinensische Regierung jetzt eine Nachverhandlung dieses für die Palästinenser so ausbeuterischen Dokumentes verlangt.
Wer, allerdings, etwa in Ramallah, nach dieser Verarmung der Palästinenser sucht, der sucht augenscheinlich vergebens. Geländewagen fahren durch die Stadt, Boutiquen öffnen, Restaurants en masse, Fünf-Sterne- Hotels machen auf, und immer mehr Hochhäuser ragen in den Himmel – mit einem Überangebot an Büroräumen. Zwar lassen sich viele internationale Organisationen in Ramallah nieder, und manche im Ausland reich gewordenen Geschäftsleute investieren ihr Geld in der Stadt. Doch vieles ist auf Pump gebaut.
Die Autonomiebehörde hat die Banken ermuntert, reichlich Kredite zum Kauf von Wohnungen und Autos zu gewähren. Oft müssen Palästinenser, die das Glück haben, auf einem einigermaßen sicheren Arbeitsplatz zu sitzen, 20, ja 25 Jahre Zinsen und Tilgung zahlen. Wer so abhängig ist, wagt keinen Aufstand. Und das sei, sagen viele Palästinenser, eine bewusste Strategie der Autonomiebehörde: „Diese Falle“, argumentiert ein deprimierter Palästinenser in der nördlich gelegenen Stadt Dschenin, „gleicht einer vierten Besatzung, gegen die wir zu kämpfen haben.“
Terroristische Attacken von Siedlermilizen
Der in Ramallah zu besichtigende Bauboom kann demnach nicht verhehlen, dass sich die palästinensische Wirtschaft in einer tiefen Krise befindet. Das Steueraufkommen der Regierung reicht bei weitem nicht aus, die Ausgaben auch nur annähernd zu decken. Bleibt die Abhängigkeit von ausländischen Gebern wie den USA und der EU. Durch diese nun schon seit zwei Jahrzehnten dauernde Abhängigkeit ist die palästinensische Gesellschaft weitgehend zu einer Rentiergesellschaft verkommen, die es immer mehr verlernt, für sich selber zu sorgen.
Die Erfüllung dieser Grundvoraussetzung für jeden eigenständigen Staat wird aber – was die Palästinenser betrifft - immer unwahrscheinlicher. In einer aufrüttelnden Rede vor der UN-Generalversammlung klagte Mahmut Abbas in der letzten Woche, „terroristische Attacken von Siedlermilizen“ seien fast eine tägliche Realität geworden: „Wir stehen gnadenlosen Wellen von Angriffen auf unsere Menschen, unsere Moscheen, unsere Kirchen und Klöster, auf unsere Häuser und unsere Schulen gegenüber; unsere Menschen sind zu festen Zielen von Tötungen und Missbrauch geworden – in komplettem Zusammenspiel der Besatzungsmacht und der israelischen Regierung.“
Wie Israel profitiert
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dagegen zog einen großen Nebelvorhang vor diese traurige Wirklichkeit. Vor der Friedensgemeinschaft der UNO stellte er einen Krieg gegen den Iran in Aussicht, sofern sich das Land dem westlichen Druck nicht beuge. Ein gigantisches Manöver, das von den katastrophalen Realitäten in den von Israel besetzten Gebieten ablenken soll.
Der Autonomiebehörde bleiben angesichts dieses Desasters nur zwei Möglichkeiten: weiter kuschen wie bisher oder zurücktreten. Denn nach internationalem Recht ist die Besatzungsmacht – also Israel – für das Wohlergehen der Menschen in den von ihr besetzten Gebieten verantwortlich. Durch die ständigen ausländischen Geldspritzen an die palästinensische Behörden und durch die schweigende Kooperation der Autonomieregierung mit Israel erleichtern, ja finanzieren das Ausland und die Regierung in Ramallah die Besatzung mit. Sollten die Gelder nicht mehr fliessen, sollte die Autonomiebehörde ihre stillschweigende Kooperation mit Israel einstellen, würde Israel die gesamte finanzielle Last seiner Besatzung spüren – und, eventuell, zu Kompromissen bereit sein.
Die Siedler vor den Eingeborenen schützen
Omara Hajaileh steht vor den Trümmern seines Lebens. Seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, wohnen er, seine Familie und seine Vorfahren in dem kleinen Haus am Rande des Dorfes Al-Walaie. Gegenüber, jenseits eines grünes Tales mit den Weinbergen eines nahe gelegenen Klosters, liegt die jüdische Siedlung Gilo, unmittelbar bei Jerusalem. Sie ist durch einen elektrischen Zaun geschützt, innerhalb der Siedlung gibt es, wie in jeder Siedlung, eine bewaffnete Miliz, welche die Siedler vor den Eingeborenen schützen soll. Dass von Al-Walaie jemals ein Angriff auf Gilo organisiert worden ist, daran kann sich Omara nicht erinnern.
Eine Schwierigkeit für die Mauerbauer
Doch nun sollen auch die Bewohner von Al-Walaie umzäunt werden - durch jene Mauer, die schon Städte wie Qalqilia und Jerusalem umgibt. Ein erstes Stück der Mauer ist schon zu sehen, über eintausend Olivenbäume - Lebensgrundlage vieler Palästinenser - mussten bereits weichen. Doch für die israelischen Mauerbauer ergibt sich ein Problem. Um der Mauer Platz zu machen, soll auch Omaras Haus zerstört werden.
Doch konfiszieren und abreissen kann die israelische Besatzungsmacht - wie sie das sonst ohne Weiteres praktiziert - das Haus der Familie nicht. Oft können die Menschen nicht nachweisen, dass das Haus, in dem sie leben, tatsächlich ihnen gehört, weil alte Dokumente, zuweilen noch aus osmanischer Zeit, nicht mehr vorhanden sind. Oft haben die Besitzer auch "illegal" gebaut, weil die Israeli die Genehmigung verweigert haben.
Verlockende Angebote
Omara aber ist sich seiner Sache ganz sicher. Denn völlig eindeutige Unterlagen beweisen, dass die Familie seit Langem rechtmässig im Besitz des Hauses ist. Daher machten die Israeli verlockende Angebote: Den doppelten Wert des Hauses wolle man ihm zahlen, wenn er es aufgebe; dann offerierten die Israeli, das Grundstück zu einem guten Preis für 99 Jahre zu mieten; doch auch dieses und andere, vermeintlich verlockende Offerten schlug die Familie aus.
Nun sehen Omara und seine Familie einer Zukunft entgegen, in der sie sich als Gefangene innerhalb ihres eigenen Besitzes vorkommen müssen: Das Haus wird mit einem elektrischen Zaun umgeben, der an die Mauer anschliesst. Damit die Bewohner auch ihr Dorf erreichen können, haben die Israeli einen etwa einhundert Meter langen Tunnel gebaut mit zusätzlichem Kostenaufwand. "Wir haben", sagt Omara, "solange auf diesem Gebiet gelebt, wir lassen uns nicht vertreiben".
Hebrons Besonderheiten
Nicht viel Besseres hat Ahmed Jaradat zu erzählen. Er lebt in Hebron, der südlichsten Stadt des Westjordanlandes. In Hebron sind der Überlieferung nach Abraham, Sara, Issac, Rebekka, und Jacob begraben. Die Hauptstrasse der Altstadt, die Shuhada (Plural von Shahid, das bedeutet Märtyrer) ist fast menschenleer. Die vielen kleinen Läden, in denen die Palästinenser hier ihren Lebensunterhalt bestritten, sind seit 15 Jahren geschlossen. Nur ein paar israelische Siedler spazieren dann und wann lässig durch die Strassen. Von Wachtürmen aus beobachten israelische Soldaten das Gebiet.
Hebron hat eine besondere Geschichte. Als 1929 Chaim Weizmann, der Präsident des Zionistischen Weltkongresses, in Jerusalem die Klagemauer für die Zionisten reklamierte, kam es zu einem grossen Aufstand der Palästinenser. Die Unruhen breiteten sich bis Hebron aus. 67 Juden wurden getötet. Was aber Israeli gerne verschweigen, ist die Tatsache, dass sehr viel mehr Juden von den einheimischen Arabern gerettet wurden. Nach 1929 wohnten keine Juden mehr in Hebron, bis nach dem Sechstagekrieg von 1967 mit dem israelischen Sieg über Ägypten, Syrien und Jordanien erste Siedler wieder nach Hebron kamen.
1994 erschien plötzlich Baruch Goldstein aus der nahe gelegenen Siedlung Kyriat Arba in der Moschee und erschoss 29 betende Palästinenser. Baruch Goldstein gilt vielen Siedlern noch heute als Held.
Zwei Zonen
1997 wurde die Stadt in einem internationalen Abkommen (mit der ersten Regierung Netanjahu) in zwei Zonen eingeteilt. In Zone H1 leben etwa 200'000 Palästinenser unter der Kontrolle der Autonomieregierung in Ramallah. In Zone H2 leben etwa 800 israelische Siedler und 30'000 Palästinenser unter der Militärkontrolle Israels.
Um ihre Siedlungen miteinander zu verbinden, haben die Israeli die Shuhada geschlossen. In den angrenzenden Basaren sind die meisten Geschäfte offen. Über die engen Gassen aber sind oft Netze aus festem Draht gespannt. Auf ihnen liegen schwere Steine - jene Steine, welche die Siedler, die oberhalb der Basare wohnen, oft auf Palästinenser werfen, um diese einzuschüchtern und zum Verlassen der Stadt aufzufordern.
Geschützt werden die Siedler von der israelischen Armee und von ihren eigenen Milizen, die Bewohner jeder Siedlung geschaffen haben. Diese Privatmilizen kooperieren eng mit der israelischen Armee. "Illegal" seien diese Privattruppen, konstatierte kürzlich die israelische Zeitung "Haaretz."
Kein Dokument - keine Rechtsprechung
Kürzlich, berichtet Ahmed Jaradat, habe die israelische Armee den Zugang vom Basar zum Gemüsemarkt Hebrons geschlossen. Damit sei der Durchgang vom Osten nach Westen Hebrons gesperrt. Da die Armee den betroffenen Händlern auf dem Markt keinen schriftlichen Schliessungsbeschluss übergeben habe, könnten diese auch vor keinem Gericht klagen, klagt Ahmed Jaradat: kein Dokument, kein Prozess, keine Rechtsprechung.
Erschreckend auch das Bild dort im Basar, wo eigentlich die Shuhada Strasse beginnt: Eine dicke Mauer, unüberwindlich für jedermann, verhindert, dass Palästinenser in ihrer Stadt frei spazieren können. Dafür können sich die zehn Familien der Siedlung Beit Hassa, (etwa 250 Studenten der Talmudschule Beit Romano, etwa 15 Familien von Tel Rumeida, die sechs Familien von Beit Hasson, eine Familie in Beit Castel und die etwa sechs Familien von Beit Schneerson und die Familien von zwei weiteren Kleinsiedlungen - etwa 600 bis 800 Siedler insgesamt) frei bewegen.
Schutz von König Davids Grabstätte?
Jerusalem, Stadtteil Issawiya. Hier, im Osten, der Heimstatt der Palästinenser, befindet sich eine grosse israelische archäologische Ausgrabungsstätte, weil dort - angeblich und mittlerweile angezweifelt - die Grabstätte von König David entdeckt worden sei. Die Behörden von Jerusalem bauen um den Grabesfund herum einen Ausflugspark. Um diesen vor Palästinensern zu "schützen", werden weiträumig in der Nähe Häuser zerstört und Menschen vertrieben. Man sieht vollkommen demolierte, teilweise behelfsweise wieder hergerichtete Häuser. In der Ferne wird von den Höhen immer wieder geschossen. Man sagt, das gelte den Bewohnern dieses Stadtteils, die israelischen Soldaten wollten sie damit einschüchtern.
Am Rande dieses Stadtteils entstehen neue Siedler-Häuser. Und: Häuser im Besitz von Palästinensern werden von Siedlern besetzt. Demonstrativ markieren die Usurpatoren ihre Beute mit grossen hebräischen Häusernamen und der Flagge Israels. Einwohner berichten, dass die israelische Armee immer wieder Palästinenser festsetze, auch Kinder. Die Folgen der Verhaftungen für die Kinder und ihre Familien seien verheerend, die Kinder seien nachhaltig verstört und traumatisiert. Wer sein Kind schnell wieder frei haben wolle, müsse bis zu 5000 Schekel bezahlen, etwa eintausend Euro.
Seltsame "Rechtsgrundlage"
Auch im arabischen Teil der Altstadt Jerusalems haben sich Siedler niedergelassen. Unterstützt von der Armee haben sie begonnen, die palästinensischen Einwohner zu vertreiben. Die "Rechtsgrundlage": Bei kurzfristiger Abwesenheit werden die Wohnung, teilweise auch Räume in einer Wohnung, als "verlassen" definiert, zum Staatsbesitz erklärt und jüdischen Siedlern übergeben. Beschwerde lohne nicht, sagt ein junger Mann, dem nur noch ein einziges Zimmer in seiner eigenen Wohnung geblieben ist, man bekomme dann nur noch mehr Ärger mit dem israelischen Militär, so bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich mit den Konfiskatoren zu arrangieren so gut und so lange es eben gehe.
Es ist, muss man feststellen, wohl ein einmaliger Fall auf der Welt, dass kurzfristig verlassenes Eigentum, wie etwa palästinensische Häuser, konfisziert und neuen Eigentümern übergeben werden. Anders gesagt: Palästinenser werden von Staats wegen enteignet, ihr Grundbesitz wird ohne feste Rechtsgrundlage jüdischen Siedlern übergeben.
Zerstörung in Lod
Diese täglichen Dramen spielen auf der Bühne der von Israel 1967 besetzten Gebiete. Ist aber Israel proper, also jenes Israel, das die sogenannte "internationale Gemeinschaft" in den Waffenstillstandsgrenzen von 1949 als Staat anerkannt hat, frei von solcher Diskriminierung? Augenschein in Lod, dem einstigen Lydda, einer israelischen Stadt nahe beim Flughafen Ben Gurion. Etwa 70'000 Einwohner hat die Stadt, davon sind etwa 20 Prozent Araber - Palästinenser.
Khaled Abu Shehade führt durch eines der arabischen Viertel. Wenn man dieses als Slum bezeichnen wollte, dann wäre man von der Wahrheit nicht weit entfernt. Die israelische Stadtverwaltung bezeichne, sagt Abu Shehade, diese kleinen, engen Häuser als illegal, weil sie ohne Genehmigung gebaut seien. Der Weg durch die unwirtliche Gegend gleicht einem Hindernismarsch über Pfützen und ungepflasterte Wege.
Schließlich steht der fassungslose Besucher vor dem Haus von Abu Eid? Es ist ein Trümmerhaufen, im Dezember 2010 wurde es von der israelischen Stadtverwaltung abgerissen. Eine alte Frau, Verwandte der Familie, ist immer noch fassungslos. Sie erzählt, nach der Zerstörung hätten die Behörden noch eine Rechnung für die Beseitigung der Trümmer geschickt. Nachzuprüfen ist diese Aussage so schnell nicht. Tatsache aber bleibt, dass das Haus ein großer Schutthaufen ist.
Keine Tür, kein Durchgang
Wenig weiter steht der erschütterte Besucher plötzlich vor einer Mauer, sie ist mehrere hundert Meter lang. Die israelischen Bewohner des Stadtteiles Mirtziv haben sie gebaut, um sich von den Palästinensern im arabischen Viertel Shanir abzugrenzen. Keine Tür öffnet einen Durchgang. Kürzlich, erzählt Abu Shehade, habe ein Palästinenser einen Herzinfarkt erlitten, wegen der Mauer sei er zu spät ins Krankenhaus auf der anderen Seite der Mauer gekommen - er starb.
Schliesslich führt Khaled Abu Shehade zu einem Neubaugebiet. Abu Shehade weiss, wovon er spricht, denn er ist Grundstücksmakler. In diese Häuser könnten nur Soldaten oder Zuwanderer aus dem Ausland ziehen. Für Palästinenser sei Mieten oder Kaufen unmöglich.
**"Mixed City" mit Mauer
Israel propagiert das Konzept der "Mixed Cities", das Konzept jener Städte also, in denen Israeli und Palästinenser friedlich zusammenleben. Doch das Wort ist, der Augenschein beweist es, eine Täuschung. Im September 2012 schrieb die britische Organisation "Architects and Planners for Justice in Palestine", die arabische Gemeinschaft in Lod habe sich von der Stadtverwaltung mehr und mehr entfremdet, weil diese die Infrastruktur der palästinensischen Stadtteile vernachlässige und kaum noch Baugenehmigungen erteile.
Schliesslich, die Dämmerung ist schon hereingebrochen und wir sind inzwischen in einem anderen Teil von Lod, zeigt Abu Shehade auf eine Lücke in der Bebauung. "Hier", sagt er, "stand das Haus von George Habash". Bei den Kämpfen im Jahre 1948 sei hier seine Schwester umgekommen. Der Beschuss sei so stark gewesen, dass er die Schwester nicht habe begraben können. Mehrere Tage habe er mit der Toten zusammen im Haus verbringen müssen.
Traum und Alptraum
So werden "Radikale" und "Terroristen" gemacht. George Habash, orthodoxer Christ, wurde später Arzt. 1968 gründete er die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP), die in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren an dramatischen Entführungen westlicher Flugzeuge beteiligt war.
Am Ende dieser Expedition in ein besetztes Land bleibt nur Erschütterung. Erschütterung darüber, dass hier ein Volk vor der Weltöffentlichkeit bedrängt, malträtiert, umgesiedelt wird. Der ursprünglich berechtigte Traum der Juden, wie andere Völker auch in einem eigenen Staat leben zu wollen, ist zum Alptraum eines anderen Volkes: ist zum Alptraum der Palästinenser geworden.
Palästinenser, die vom israelischen Militär in "administrative Haft" genommen werden, müssen in ihren Zellen oft unter Bedingungen leben, die viele Menschenrechte verletzen. Es gibt aber Gefangene, die noch mehr leiden müssen: Jene Palästinenser, die von ihrer eigenen Regierung inhaftiert werden.
Eigentlich hatte Nabil al-Raee nichts Böses erwartet. Nach der Ermordung von Juliano Mer-Khamis, seines Vorgängers als künstlerischer Leiters des "Freedom Theatre" in Dschenin im April 2011 war er friedlich seiner Arbeit nachgegangen (siehe auch journal21 vom 13. Juni 2012 ). Doch eines Nachts kamen israelische Soldaten und steckten ihn in "administrative Haft".
Die sollte über vier Wochen dauern. Der Vorwurf gegen den Gefangenen war an Banalität kaum zu überbieten: Er habe, so lautete später die Anklage, dem (einst gesuchten) ehemaligen Kommandeur der Al-Aqsa-Brigaden in Jenin, Zacharia Zubaide, Zigaretten übergeben - mithin Kontakt zu einem einstigen "Terroristen" gehabt.
Heute, gut drei Monate später, trifft man Nabil al-Raee wieder im "Freedom Theatre" im Flüchtlingslager von Jenin. Die künstlerische Leitung will er abgeben, an seiner Stelle agiert inzwischen der Amerikaner Gary English. Nabil al-Raee ist dabei, ein "Moving Theatre" zu gründen - eine Truppe, die in den besetzten Gebieten von Dorf zu Dorf ziehen und dort durch ihre Stücke zu "kulturellem Widerstand" gegen die israelische Besatzung aufrufen will.
48 Stunden an einen Stuhl gefesselt
Man muss dem Künstler Glück wünschen - denn in Freiheit hat das Militär den Künstler nur unter einer Auflage gelassen: dass er nämlich in den ersten zwölf Monaten nach seiner Entlassung nicht wieder straffällig werde. In diesem Falle drohen dem Theatermann mehrere Jahre Gefängnis - ohne vorhergehenden Prozess. Was aber "straffällig" ist - das definiert der israelische Militärkommandeur.
Spricht man Nabil al-Raee auf seine Zeit im Gefängnis an, dann muss er noch heute schaudern. In einer Einzelzelle sei er gewesen, ohne Licht von aussen, in künstlich kalter Luft habe er gesessen, 48 Stunden an einen Stuhl gefesselt. Wenn er auf die Toilette habe gehen wollen, dann hätten die israelischen Wächter freundlich zugesagt - und ihn viele weitere Stunden warten lassen. Frische Wäsche? Nur ganz gelegentlich in den über vier Wochen Haft. Immerhin: Direkte physische Folter wurde nicht angewandt, das israelische Militär begnügt sich mit körperlicher und psychischer Demütigung.
Blutige Rache
Weniger zimperlich zeigen sich in vielen Fällen die sogenannten "Sicherheitskräfte" der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Es ist bekannt, dass sie - noch zu Lebzeiten des 2004 verstorbenen Jassir Arafats - Mitglieder der Widerstandsorganisation Hamas regelrecht foltern liessen. Es liegt in der traurigen Logik palästinensischer Kriegs-Unkultur, dass dann auch die Hamas zurückschlug: Als sie in Gaza die Macht übernahm, warf sie Mitglieder von Arafats Fatah-Partei ohne Bedenken von Häusern herab und nahm dadurch blutige Rache.
Jüngstes Beispiel für das oft menschenrechtswidrige Verhalten der palästinensischen Regierung ist der Fall des Zacharia Zubeide, des ehemaligen Kommandeurs der Al-Aqsa Brigaden im Lager Jenin. So stark war sein Widerstand gegen die Israeli in der zweiten Intifada (Beginn im Jahr 2000), dass die israelische Armee ein Drittel des Lagers buchstäblich einebnete. Als vor ein paar Wochen auf den Gouverneur von Jenin geschossen wurde (der gegen die Drogenhändler der Region vorging) liess die Autonomiebehörde ihren Landsmann Zacharia Zubeidi festnehmen und in die Kerker der Stadt Jericho schleppen - obwohl er augenscheinlich mit dem Anschlag nichts zu tun hatte.
"Die Hälfte der männlichen Bevölkerung war in israelischer Haft"
Mehrere Wochen verbrachte er dort im Hungerstreik. Erst als er drohte, auch keine Flüssigkeit mehr zu sich zu nehmen, wurde er auf Kaution entlassen. Eine Anklage wurde lange nicht formuliert. Manche vermuten, dass Mahmut Abbas, der palästinensische Präsident, durch die Verhaftung des ehemaligen Widerstandskämpfers eine alte Rechnung begleichen wollte: Abbas nämlich hatte sich stets gegen bewaffnetes Aufbäumen gegen die Besatzung ausgesprochen. Zacharia Zubeide aber hatte zu den Waffen gegriffen.
Die meisten Gefangenen aber sind Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Julia Kessler ist Sprecherin von "Addameer", einer Nicht-Regierungsorganisation in Ramallah, die sich um gefangene Palästinenser kümmert. "Die Hälfte der männlichen Bevölkerung Palästinas", sagt sie, "ist schon einmal in israelischer Haft gewesen." (Die gesamte Bevölkerung im Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gaza beträgt etwa 4,5 Millionen Palästinenser). Heute säßen noch 4606 Palästinenser in den Gefängnissen der Besatzungsmacht.
Die palästinensische Fahne ist verboten
Mit insgesamt 1651 Militärdekreten regiert Israel alle besetzten Gebiete. Diese Erlasse gelten auch für jene Städte der Zone A, die - gemäss des Abkommens von Oslo aus den Jahren 1993 und 1995 voll unter ziviler und polizeilicher Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Dekret 1651 zufolge kann das Militär jeden bis zu sechs Monaten verhaften, bei dem eine "vernünftige Annahme" besteht, dass "die Sicherheit des Gebietes oder die öffentliche Sicherheit die Verhaftung erfordern". Kurz vor oder auch am Tag des Auslaufens des Gefängnisaufenthaltes kann der Internierungsbefehl erneuert werden.
Es gibt noch weitere, vom Standpunkt westlicher Rechtsstaaten bedenkliche Regelungen in den besetzten Gebieten. Israelische Siedler etwa unterliegen dem zivilen Rechtssystem Israels, Palästinenser der besetzten Gebiete müssen sich vor Militärgerichten verantworten. Politische Aktivitäten werden, sagt Julia Kessler, "kriminalisiert". "Sogar die Fatah (die von Jassir Arafat gegründete Partei) ist als illegale Organisation definiert - ebenso humanitäre Organisationen, die mit der Fatah verbunden sind. Demonstrationen von mehr als zehn Personen sind verboten, ebenso das Zeigen der palästinensischen Fahne."
Palästinensischen Gefangenen darf bis zu 60 Tagen der Rechtsbeistand verweigert werden, israelischen Insassen nur bis zu 21 Tagen. Alle Geständnisse werden in hebräischer Sprache abgefasst - unabhängig davon, ob der Angeklagte diese Sprache auch versteht. 99,9 Prozent aller Gerichtssprüche gegen Palästinenser enden mit einem Schuldspruch.
Schlimmer als bei den Israeli
Das alles gilt für die israelische Militärverwaltung. Addameer kümmert sich aber auch um Gefangene in palästinensischen Gefängnissen. Kooperiert die Autonomiebehörde mit Addameer? Julia Kessler ist zurückhaltend. Trotz aller Hindernisse sähe sie bei den Israeli eine Art System, das es oft möglich mache, Kontakt zu den Gefangenen aufzunehmen. Sehr viel schwerer sei es, Gefangene der Autonomiebehörde zu betreuen. "Unsere Regierung mag uns nicht sehr", sagt Julia Kessler.
Und Wesam Ahmed von "Al Haq", einer 1979 von palästinensischen Anwälten gegründeten Menschenrechtsorganisation in Ramallah, sagt frei heraus, dass Menschenrechtsverletzungen in palästinensischen Gefängnissen oft schlimmer seien als jene in israelischen. "Die Autonomiebehörde ist unsere Regierung, Israel aber ist unser Feind", fügt er deprimiert hinzu.
Autonomiebehörde - Handlager der Israeli?
Am 31.Juli 2012 erschien in der Internetzeitung "The National" (Abu Dhabi) ein kritischer Bericht über die Menschenrechtsverletzungen der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die dauerhafte Missachtung des internationalen Rechtes durch die Autonomiebehörde zusammen mit wiederholtem Missbrauch durch verschiedene palästinensische Sicherheitsdienste habe nicht dazu beigetragen, die Frustration des palästinensischen Volkes zu lindern, schreibt die Zeitung.
Tatsächlich, schreibt die Zeitung weiter, erwarteten die Palästinenser von ihrer Regierung nichts mehr als Unterdrückung der Meinungsfreiheit, eigenmächtige Verhaftungen und sogar Schlimmeres. "Manche halten die Autonomiebehörde für einen Handlanger der israelischen Besatzung", argumentiert die Zeitung. Im Dhahriyya-Gefängnis nahe Hebron säßen oft vier Häftlinge in einer Zelle, die für einen gebaut sei; allein zwölf Fälle von Folter seien in den letzten Monaten bekannt geworden, das Recht auf einen fairen Prozess würde vielen Palästinensern durch ihre eigene Regierung verweigert.
Palästina - ein Land ohne Recht? Dort, wo Israeli und Palästinenser, oft gemeinsam, die besetzten Gebiete beherrschen, tut sich oft ein erschreckendes rechtliches Vakuum auf. Ende September etwa erliess Addameer einen Hilferuf für den in einem israelischen Gefängnis sitzenden palästinensischen Gefangenen Ayman Sharawna. Seit 88 Tagen war er damals schon im Hungerstreik. Er war letztes Jahr frei gekommen - im Rahmen eines grossen Austausches von Gefangenen zwischen Israel und der Autonomiebehörde. Anfang 2012 wurde er wieder festgesetzt, abermals vom israelischen Militär. Seitdem sitzt er ohne Anklage in Haft.
Die Regierungen schweigen
All diese Praktiken sind den in Tel Aviv und Jerusalem reichlich vorhandenen westlichen Diplomaten bekannt. Frage an Wesam Ahmed von der Organisation al-Haq: "Was sagen die Diplomaten aus den westlichen Demokratien, die so sehr auf die Achtung der Menschenrechte pochen, wenn sie von Zuständen hören, die der UN-Menschenrechts-Charta krass widersprechen?" Wesam Ahmed hat schon resigniert, wenn er die Repliken der Diplomaten zitiert. "Wir werden unseren Regierungen darüber berichten."
Berichte, ehrliche sogar, schicken die Diplomaten seit Jahrzehnten. Doch ihre Regierungen schweigen.
Israel, Land ohne Grenzen
Israel hat auch 64 Jahre nach seiner Gründung keine Verfassung. In einer Verfassung müsste der Staat seine Grenzen definieren. Doch Israel handelt noch immer nach dem Motto von Staatsgründer David Ben Guriom. Der hatte gesagt, Israels Grenzen seien dort, wo seine Armee stehe.
"Der Krieg von 1948 ist noch nicht beendet." Der diese für Israel wegweisende Aussage machte, war kein anderer als Ariel Sharon. Diese Erklärung bedeutet, dass Israel nach Meinung Ariel Sharons mit dem 1948/49 und 1967 eroberten Territorium nicht zufrieden ist. Expansion bis an den Jordan ist das minimale Ziel, dass Ariel Sharon und in seinem Gefolge Politiker wie Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak auch heute noch verfolgen.
Die Grundlage für dieses politische Ziel wurde Ende des 19. Jahrhunderts gelegt - und zwar in Europa. Es war das Zeitalter des Nationalismus und des Kolonialismus. Völker wie die Italiener, Serben, Deutsche - Jahrhunderte lang geteilt oder unter Fremdherrschaft - vereinigten sich in nationalen Staaten. Die Juden, verfolgt und diskriminiert, nahmen - in der Person von Theodor Herzl - die nationale Ideologie auf und forderten auch für sich einen Staat. Argentinien kam für die Gründung eines jüdischen Staates ins Gespräch, schliesslich auch Uganda.
Anfangs für den Zionismus nicht begeistert
Herzl war kein religiöser Mensch. Dass er schliesslich den osmanischen Sultan um ein Stück Land in Palästina bat, lag nicht nur daran, dass die Juden einst in Palästina gewohnt hatten; vielmehr waren Argentinien und Uganda Länder in weiter Ferne. Würden europäische Juden, die anfangs vom Zionismus ohnehin nicht begeistert waren, in einen anderen Teil des Globus ziehen?
Da hatte Palästina gegenüber Afrika und Südamerika zwei Vorteile. Ein kolonialistisches Argument für den Gang nach Palästina formulierte Theodor Herzl mit der Aussage, dass die Juden im Orient den Vorposten Europas gegen asiatische Barbarei bilden würden. Dass schliesslich auch das religiöse Element ins Spiel kam, war eher Taktik als Überzeugung. Wenn ihr, so argumentierten die vom europäischen Nationalismus und Kolonialismus geprägten eigentlich nicht-religiösen Zionisten, uns nicht glaubt, so glaubt wenigstens eurem Gott, der euch dieses Land versprochen hat.
Man machte sich vor, Palästina sei menschenleer
Die grosse Illusion, die viele Zionisten pflegten, lautete: "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land." Man machte sich vor, Palästina sei menschenleer. Oder: Die wenigen dort ansässigen Araber seien "kulturell 500 Jahre hinter den Juden zurück", wie es der aus Russland eingewanderte Zionist Wladimir Jabotinsky 1923 formulierte. Infolgedessen würden diese Araber von der jüdischen Kolonisation nur profitieren.
Doch es stellten sich viele Probleme. Man musste das Land in seinen Besitz bringen, man musste Arbeit finden für die einwandernden Juden, man musste einen "jüdischen Markt" schaffen. So begann man, von arabischen Grossgrundbesitzern Land zu kaufen. Manche von ihnen zogen ihren eigenen Profit vor und dachten nicht daran, welche Folgen diese Veräusserungen für das palästinensische Volk haben würden.
Es gab nur eine Lösung: Einwanderung und Vertreibung
Dennoch: Als 1947 die UN ihren Teilungsplan für Palästina verkündeten, befanden sich nur sieben Prozent des Bodens im Besitz der Einwanderer. Eine grosse Chance, für die Juden aus Europa Arbeit zu finden, ergab sich während des arabischen Aufstandes gegen die britische Mandatsmacht und gegen die Zionisten in den Jahren 1936 bis 1939. Die britische Mandatsmacht ersetzte die streikenden palästinensischen Arbeiter durch Juden. Und: Die jüdische Gewerkschaft Histradut kämpfte für die Rechte der jüdischen, nicht aber für jene der arabischen Arbeiter.
Vor allem aber musste man die Frage beantworten, wie man mit der einheimischen Bevölkerung umgehen sollte. Aus Europa hatten die jüdischen Einwanderer das Prinzip des Nationalstaates mitgebracht: Diese Prinzip beruhte auf der Homogenität der Bevölkerung - und es schuf Minderheiten, die um ihre Rechte kämpfen mussten. In Palästina stellte sich das Problem, dass die Zionisten nicht mit der einheimischen Bevölkerung zusammenwohnen wollten; sie wollte die Mehrheit bilden und im arabischen Palästina einen jüdischen Staat gründen. Dafür gab es nur eine Lösung: massive Einwanderung einerseits und Einzäunung oder gar Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung andrerseits.
Gäbe es Israel ohne den Nazi-Massenmord?
Doch ungewollt brachte der aus Europa importierte jüdische Nationalismus nun einen anderen Nationalismus hervor: den palästinensischen. Da beide "Nationalismen" ein und dasselbe Land beanspruchten, musste es zu jener Konfrontation kommen, unter der heute besonders das palästinensische Volk leidet.
Es ist unter Forschern umstritten, ob das zionistische Projekt ohne den Nazi-Massenmord an sechs Millionen Juden Erfolg gehabt hätte. Einen neuen, wenn nicht entscheidenden Impetus lieferte der zionistischen Bewegung der Krieg in Europa. Im Mai 1942 kamen im New Yorker Biltmore Hotel 600 zionistische Führer aus 18 Ländern zusammen. Sie wandten sich gegen das britische "White Paper", in dem London 1939 als Reaktion auf den arabischen Aufstand die Einwanderung von Juden begrenzen wollte.
Die Araber, zerstritten wie immer
Vor allem aber: Angesichts des Massenmordes an den Juden in Europa beschloss die Konferenz ein Programm, das de facto die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina vorsah. Um es krass, aber doch realistisch zu sagen: Das auf der Biltmore Konferenz verabschiedete Programm lief nicht darauf hinaus, dass die einwandernden Juden mit den Arabern zusammenleben sollten. Es ging darum, Araber, Palästinenser, durch Juden zu ersetzen.
Als die UNO 1947 beschlossen, ohne die einheimische arabische Bevölkerung zu fragen, Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufzuteilen, war eigentlich klar, dass die arabischen Staaten in den Krieg ziehen würden. Schlecht vorbereitet und zerstritten wie immer verpassten sie, aus ihrer Sicht, die grosse Chance, den neuen Staat Israel zu besiegen. Israel dagegen eroberte mehr Land, als ihm die UNO zugestanden hatten. 1967 konnte Israel sein Gebiet noch einmal erweitern
Arafat gab sich mit 23 Prozent zufrieden
Wo stehen wir heute? Eigentlich liegt die Lösung seit 1988 auf dem Tisch. Damals beschloss der palästinensische Nationalkongress in Algier die Anerkennung Israels. Jassir Arafat und seine Gefolgsleute gaben sich mit Restpalästina - ganze 23 Prozent - zufrieden, ein grosszügiges Angebot. Auf der Madrider Friedenskonferenz 1991 (die nach der Befreiung Kuwaits von irakischen Truppen tagte) fand man die Formel "Land für Frieden": Israel sollte das 1967 besetzte Land herausgeben, dafür würden alle arabischen Staaten ein für alle Mal Frieden schliessen mit dem neuen Staat. Im Jahre 2000 legte der damalige saudische Kronprinz Abdallah (heute König) einen Plan vor, der die Initiative von Madrid erneut aufnahm. Israel ist auf alle diese Offerten nicht eingegangen.
Stattdessen hat Israel auf jenem Land, auf dem nach der Madrider Initiative ein palästinensischer Staat entstehen sollte, Siedlungen gebaut. Allerdings war eine palästinensische Organisation den Israeli dabei behilflich: Mit ihren verbrecherischen Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten brachte die Hamas die Weltöffentlichkeit gegen die Palästinenser auf; umso mehr konnte Israel seine zionistischen Pläne weiterführen.
Auf einen Schlag 1,5 Millionen Palästinenser losgeworden
Die Probleme, die sich seit der Ausdehnung des israelischen Staates im Krieg von 1967 stellen, sind dieselben wie bei Beginn der Kolonisierung vor etwa 80 Jahren. Wohin mit der einheimischen Bevölkerung? Wie verfährt man mit dem Eigentum dieser Bevölkerung?
Zunächst hat auch hier Ariel Sharon den Weg gewiesen, indem er sagte, Israel solle in den nächsten 50 Jahren darauf verzichten, seine Grenzen festzulegen. Sharons bisherige Nachfolger, Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu, haben diese Devise bis jetzt vollständig beherzigt. Israel hat bis heute seine Grenzen nicht definiert. Was das Bevölkerungsproblem betrifft - Israel will möglichst wenig Palästinenser auf seinem Staatsgebiet - so ist man mit der Räumung der Siedlungen in Gaza und mit der Abriegelung des Gazastreifens auf einen Schlag etwa 1,5 Millionen Palästinenser losgeworden.
"Present absentees"
Die im besetzten Jordanland verbliebenen etwa 2,5 Millionen Palästinenser hat man durch einen begrifflichen Geniestreich ausgegrenzt: Sie sind zwar vorhanden, aber eigentlich auch wieder nicht - denn sie werden als "present absentees" klassifiziert. Eigentlich wollen wir sie nicht, sagt die israelische Regierung, aber da sie nun einmal anwesend sind, umgeben wird sie mit einer Mauer, damit wir sie nicht mehr sehen - wie in Qalqilia, Bethlehem, Hebron und anderen Städten. Und da Israel noch immer nicht-palästinensische Bürger benötigt, bietet es einerseits allen auf der Welt lebenden Juden die Staatsbürgerschaft an; andererseits verweigert es palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat.
Die ungewollten und ungeliebten Palästinenser werden also eingezäunt und vertrieben. Was aber geschieht mit ihrem Besitz? Wer etwa im arabischen Teil Jerusalems wohnt und sein Wohnrecht längere Zeit nicht wahrnimmt, dessen Besitz wird vom Militär eingezogen und jüdischen Siedlern übergeben. Die vielen Siedlungen um Jerusalem herum und in den besetzten Gebieten sind grundsätzlich auf palästinensischem Besitz gebaut. So ist es gekommen, dass das Westjordanland, das ursprünglich 23 Prozent Palästinas ausmachte, auf 15 Prozent Gesamtpalästinas geschrumpft ist. Damit nicht genug: Von diesen 15 Prozent beansprucht Israel das Jordantal als "Sicherheitszone". Dort ansässige Palästinenser sollen möglichst in die ohnehin überfüllten palästinensischen Städte abgeschoben werden.
Palästinensiche Kinder ohne Geburtsurkunden
Das israelische "Planning and Building"-Gesetz von 1948 bestimmt zusammen mit entsprechenden Militärdekreten, dass bestehende arabische Dörfer in Israel sich nicht ausdehnen und dass neue arabische Dörfer nicht entstehen dürfen. Auch dürfen Ehepaare, von denen ein palästinensischer Partner aus Israel bzw. aus dem arabischen Teil Jerusalems, der andere aus den besetzten Gebieten stammt, laut israelischen Anordnungen nicht zusammenleben.
Inzwischen, sagen palästinensische Menschenrechtsorganisationen, gebe es viele Kinder aus diesen Ehen, die von den israelischen Behörden keinerlei Anerkennung und keine Geburtsurkunden bekommen hätten. Im Alter von 16 Jahren müssten sie sich für einen Personalausweis registrieren lassen - was ohne Geburtsurkunde nicht möglich sei. Für die Kinder aus diesen palästinensisch-palästinensischen Ehen sei eine solche Situation eine Katastrophe: Sie könnten nicht reisen, würden sie von der Polizei angehalten, müssten sie, weil ohne Personaldokumente, mit ihrer Festnahme rechnen.
Die Palästinenser ausgrenzen
Die in Bethlehem ansässige palästinensische Menschenrechtsorganisation "Badil" kommentierte, dieses System sei ein weiterer Versuch, in Palästina eine möglichst homogene jüdische Bevölkerung zu schaffen. Und das Knesseth-Mitglied Otniel Shneller begleitete ein Urteil des Obersten Israelischen Gerichtes, das die Regelung bestätigt hatte, mit den Worten, die Entscheidung zeige die Richtigkeit der Trennung beider Völker und die Notwendigkeit, eine jüdische Mehrheit aufrechtzuerhalten.
Benjamin Netanjahu fordert, die Welt möge Israel als "jüdischen Staat" anerkennen. De facto würde ein solches Votum bedeuten, die Palästinenser mit internationaler Zustimmung auszugrenzen und zuzusehen, wie Israel seine Grenzen weiter ausdehnt.
Die Illusion einer Zwei-Staaten-Lösung
Politiker in den USA und in Europa sprechen noch immer von einer Zwei-Staaten-Lösung, mit welcher der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst werden soll.
Doch die Gründung eines eigenständigen souveränen palästinensischen Gemeinwesens ist durch Israels Siedlungs- und Vertreibungspolitik unmöglich geworden. Wer das Gegenteil behauptet, will die Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie nicht in sein politisches Weltbild passen.
Palästinenser, die von ihrer Heimatstadt Ramallah zu Freunden oder Verwandten ins palästinensische Bethlehem fahren wollen, müssen durchs Feuer gehen. Oder, etwas weniger drastisch ausgedrückt: Sie müssen durch das Wadi al-Nar fahren, durch das Tal des Feuers.
Die Strasse windet sich – steilen Schweizer Alpenstrassen ähnelnd - in abschüssigen Serpentinen nach unten, danach in eben so steilen Kurven wieder nach oben. Die Strasse ist die einzige Verbindung, auf der Palästinenser vom Norden des israelisch besetzten Westjordanlandes nach Süden (und umgekehrt) reisen können. Sie ist auch die einzige Strasse, auf welcher der Warenverkehr von Palästina nach Palästina möglich ist –wäre da nicht bei Jerusalem der berühmt-berüchtigte israelische „Container-Checkpoint“. Hier können israelische Soldaten jederzeit den innerpalästinensischen Verkehr für Stunden oder auch Tage zum Erliegen bringen.
Und wie viele Lastwagen die im Tal operierende palästinensische Polizei schon wegen Überladung hat anhalten müssen, ist kaum bekannt. Jedenfalls ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich morgens und abends an den Steigungen nach Ramallah und Bethlehem die Fahrzeuge in langen Schlangen stauen.
Ohne einen Palästinenser sehen zu müssen
Das Tal des Feuers ist also ein eklatantes Hindernis für die Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft und für die Reisefreiheit der Palästinenser – ein Nadelöhr zwischen dem Norden dessen, was einst ein palästinensischer Staat werden sollte, und dem Süden.
Israelis dagegen haben es leichter. Von den Siedlungen nördlich von Ramallah etwa und von denen im Süden, etwa um Hebron und Bethlehem herum, können sie ungehindert nach Tel Aviv und Jerusalem fahren – ohne einen Palästinenser sehen zu müssen. Denn Israel hat für seine Siedler ein sozusagen dreidimensionales Strassensystem entwickelt: Es geht – über Bypass-Strassen, die im Allgemeinen nur für Israeli zugelassen sind – von Nord nach Süd und von Ost Nach West. Die dritte Dimension besteht aus Tunneln und Brücken, die es den Israeli ermöglichen, ohne Berührung mit den Eingeborenen zu reisen.
Schleichende Annexion
Und aus diesem durch Siedlerstrassen, Mauerbau und Siedlungen zerstückelten palästinensischem Land soll ein Staat werden? Es braucht keinerlei Prophetie für die Aussage, dass angesichts dieser „Facts on the Ground“ – dieser täglich neuen geschaffenen steinernen Tatsachen vor Ort – ein neuer Staat nicht entstehen kann. Das Nadelöhr im Tal des Feuers ist nur ein handfester Beweis für die so gut wie unumkehrbar von Israel geschaffenen Tatsachen.
Andere einseitig geschaffene Hindernisse für eine palästinensische Staatsgründung sind weniger auffällig. Vor dem Nahostkrieg von 1967 lebten im Jordantal ca. 250'000 Palästinenser. Heute sind es noch maximal 50'000. Die anderen wurden während des Sechs-Tage-Krieges vom Juni 1967 entweder nach Jordanien vertrieben, oder sie wurden seit 1967 allmählich, ohne dass die Weltöffentlichkeit diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen wollte, in die grossen, übervölkerten palästinensischen Städte wie Ramallah abgeschoben. Israel beansprucht das Jordantal als „Sicherheitszone“, Palästinenser sind dort unerwünscht. Intime Kenner der Szenerie befürchten, dass Israel das Jordantal einst annektieren könnte. Eine schleichende Annexion ist seit Langem im Gange.
*Jüdische Nationalität"
Andere, eher verdeckt von Israel geschaffene Tatsachen sollen das Zusammenwachsen von Palästinensern zu einem einzigen Staat verhindern sowie Palästinenser in Israel in ihrer Entwicklung lähmen. So haben zwar Palästinenser in Israel und in Jerusalem die israelische Staatsbürgerschaft und mithin einen israelischen Pass. Sie können wählen, sie haben Abgeordnete im Parlament. Doch neben der israelischen „Staatsbürgerschaft“ gibt es, offiziell oder inoffiziell, eine „jüdische Nationalität“. Jüdische Israeli sind damit vor palästinensischen Israeli in fast allen Bereichen des täglichen Lebens bevorzugt.
Wie bereits berichtet, ist es palästinensischen Israeli verboten, mit ihren palästinensischen Ehepartnern aus dem Westjordanland oder Gaza zusammenzuleben. Im Jahre 2004 kritisierte eine Delegation des britischen Unterhauses die Regelung mit den Worten, das Gesetz diskriminiere Israeli palästinensischer Herkunft, indem es palästinensischen Ehepaaren die israelische Staatsbürgerschaft oder das Wohnrecht verweigere, die im Westjordanland oder Gaza wohnen.
Und die in Bethlehem ansässige palästinensische Menschenrechtsorganisation „Badil“ schrieb, das israelische Rückkehrgesetz, das nur Juden die Einwanderung nach Israel gestatte, etabliere de facto eine „jüdische Nationalität“, die der israelischen Staatsbürgerschaft (die auch Palästinensern in Israel zustehe) überlegen sei.
"Bevölkerungsbombe"
Trotz dieser Gesetzgebung, die sich die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ gegeben hat, sieht sich der israelische Staat bedroht – durch, wie manche Israeli sagen – eine „Bevölkerungsbombe“. Da die Geburtenzahl der Palästinenser wesentlich höher ist als jene der (jüdischen) Israeli, könnte schon im nächsten Jahrzehnt der Fall eintreten, dass Palästinenser im historischen Palästina die Mehrheit bilden. Deshalb hat Israel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschlossen, möglichst viele russische Juden nach Israel zu locken. Eine Million Menschen kamen, aber nicht alle von ihnen waren, sagen übereinstimmend viele Beobachter, auch wirklich russische Juden.
Seinerzeit errichtete der „Jüdische Nationalfonds“ sogleich Büros in der ehemaligen Sowjetunion. Diese hatten die Aufgabe, möglichst viele Juden zur Einwanderung nach Israel zu bewegen. Dass die Vertreter des Fonds dabei zuweilen relativ grosszügig vorgingen, wenn der Nachweis erbracht werden sollte, ob ein Auswanderungswilliger auch wirklich Jude war, gilt heute auch in Israel als gesichert.
Man wollte keinen Staat, in dem Juden und Araber zusammenleben
Einer der „Facts on the Ground“, eine der Tatsachen, die das Leben im historischen Palästina bestimmen werden, kann Israel trotz seiner Siedlungsbau- und Vertreibungspolitik also kaum ändern – es ist die demographische Entwicklung. Als Gegenmittel verfolgt Israel die Politik, möglichst viel palästinensisches Land unter seine Kontrolle zu setzen und die Palästinenser in die Städte zu treiben, die dann mit Mauern umgeben werden.
Ist der Zionismus – die Bewegung also, die den Juden einen eigenen Staat bescheren sollte – von vornherein ungerecht? Das Streben der europäischen Juden nach einer eigenen „Heimstatt“ (so die Balfour-Erklärung von 1917) war durchaus berechtigt. Diskriminierung in Mittel- und Westeuropa, Pogrome im Zarenreich legten eine starke Grundlage für das Streben nach einer aussereuropäischen „Heimstatt“.
Doch der Zionismus hat sich unter allen israelischen Regierungen – ob Likud oder Arbeitspartei – so entwickelt, dass ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern ausgeschlossen war. Man wollte einen jüdischen Staat, nicht aber einen Staat, in dem Juden und Araber zusammenleben. In Israel haben manche schon ein „post-zionistisches Zeitalter“ ausgerufen – eine Ära also, in welcher der Zionismus sein Ziel erreicht habe. Doch die Realität zeigt, dass der Zionismus noch immer aktiv ist, indem seine Protagonisten palästinensisches Land in Besitz nehmen.
"... wird sich Israel selbst zerstören"
Kluge Köpfe wie die jüdische Philosophin Hannah Arendt warnten früh, noch vor der Gründung Israels, vor der Etablierung eines jüdischen Nationalstaates nach europäischem Vorbild. Dieser werde den Antisemitismus nicht besiegen, er werde den Interessen der Arabern nicht gerecht; ein solcher jüdischer Nationalstaat werde deshalb dazu führen, dass sich Israel stets in einer „Wagenburgmentalität“ befinden und danach handeln werde. Vielmehr plädierte Arendt – die die Einwanderung von Juden nach Palästina durchaus befürwortete – für einen binationalen, für einen jüdisch-arabischen Staat.
Genau einen solchen Staat wollen bisher alle israelischen Regierungen verhindern. Wohin treibt Israel mit einer solchen Politik?
Der israelische Journalist und Friedensaktivist Uri Avnery schrieb im Mai 2012: "Israel steuert auf einen Eisberg zu, auf einen grösseren als einer von denen, die auf dem Weg der Titanic schwammen. Er ist nicht verborgen. Alle seine Teile sind von weitem sichtbar. Und wir segeln geradewegs mit Volldampf auf ihn zu. Wenn wir den Kurs nicht ändern, wird sich der Staat Israel selbst zerstören – er wird sich erst in ein Apartheidstaats-Monster vom Mittelmeer bis zum Jordan verwandeln und später vielleicht in einen binationalen Staat mit arabischer Mehrheit vom Jordan bis zum Mittelmeer".