Ursula von der Leyen, designierte EU-Kommissionspräsidentin, hat bei der Vorstellung ihrer neuen, vom EU-Parlament noch zu bestätigenden Kommission mit einer der Ressortbezeichnungen Staub aufgewirbelt. Der Grieche Margaritis Schinas ist von ihr als einer von acht Vizepräsidenten vorgeschlagen. Diese haben je ein die Kommissariate übergreifendes Themenbündel zu koordinieren. Schinas’ Bündel umfasst Migration, Sicherheit, Arbeitsmarkt und Bildung, und von der Leyen hat dieses Paket mit der Bezeichnung «Protecting our European Way of Life» versehen.
Die Absicht, den Träger einer Querfunktion der EU-Kommission zum Schutz der europäischen Lebensweise einzusetzen, hat der designierten Präsidentin einen mittleren Entrüstungssturm beschert. Schlimm finden liberale, grüne und linke Kreise nicht so sehr die Bezeichnung selbst, sondern den Umstand, dass diese mit dem Thema Migration verknüpft ist. Gegen Ursula von der Leyen wird geargwöhnt, sie wolle damit Migranten als Bedrohung hinstellen – was ihr natürlich als Avance gegenüber rechtsnationalen Populisten ausgelegt wird.
Was hinter dem «Protecting our European Way of Life» tatsächlich steckt, kann man im publizierten «Mission Letter» für Margaritis Schinas nachlesen. Zudem hat Ursula von der Leyen ihren Kritikern in einem Gastbeitrag in der «Welt» geantwortet. Es geht ihr bei der «europäischen Lebensweise» um die deklarierten Werte der EU: Achtung der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, aber auch starke Sozial- und Sicherheitsnetze sowie wie Meinungs- und Medienfreiheit.
Migranten undifferenziert als Bedrohung zu brandmarken, liegt ihr fern – sie hat ja auch als deutsche Ministerin beim Flüchtlingsthema stets zur Kanzlerin gehalten. Probleme ortet die designierte Kommissionspräsidentin jedoch bei der Integration. Deren Förderung setzt sie in Parallele zu gesteigerten Anstrengungen in Bildungswesen und beruflicher Qualifizierung. Die nach Massnahmen rufenden Gefahren sind hier offensichtlich: Sie liegen im drohenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.
Die ebenfalls zu Schinas’ Portefeuille gehörende Sicherheit umfasst gemäss dem «Mission Letter» Inneres und Äusseres. Von der Leyen setzt ihren Vize für bessere Koordination zur Abwehr von Terror und Cyberattacken ein. Weiter verlangt sie Massnahmen gegen elektronische Korrumpierung von Wahlen und hybride Angriffe von aussen.
Die politischen Anwürfe gegen eine solcherart inhaltlich gefüllte Aufgabe eines Schutzes des «European Way of Life» wirken einigermassen borniert. Offensichtlich ist man da und dort wild entschlossen, die designierte EU-Kommissionspräsidentin falsch zu verstehen: Aus dem breiten Aufgabenspektrum des vorgesehenen Vizepräsidenten Schinas wird einzig der konfliktträchtigste Teil herausgegriffen und – man kann es angesichts der öffentlich gemachten Job Description nicht anders sagen – absichtsvoll missdeutet.
Bleibt die Frage, ob Ursula von der Leyen mit der gewählten Begrifflichkeit einfach ungeschickt war. Hat sie damit rechnen müssen, mit dem Titel «Protecting our European Way of Life» böse Reaktionen zu provozieren?
Auch hierzu hat sie Stellung genommen. Offenbar ist die neue Kommissionspräsidentin gewillt, an der umstrittenen Bezeichnung festzuhalten. Im erwähnten Gastbeitrag in der «Welt» schreibt sie: «Ich bin überzeugt, dass wir uns unsere Begriffe von Europas Gegnern nicht nehmen lassen dürfen. Die Werte in den Europäischen Verträgen zu schützen ist Grundlage unserer Identität.» Es ist ihr also ernst damit, dass sie ein stärkeres Bewusstsein für eine «europäische Lebensweise» wecken will.
Nötig ist das durchaus. Dem notorischen europäischen Selbsthass, der permanent auf dem Sprung ist, sich selber aller historischen und politischen Übel schuldig zu sprechen, sollte als dialektischer Gegenpart ein Festhalten an den programmatischen europäischen Werten, wie von der Leyen sie umreisst, gegenüberstehen. Vielleicht ist die Bedeutung dieser in Teilen realisierten, in Teilen utopischen Idee eines «European Way of Life» für Menschen ausserhalb des Kontinents fast leichter zu erkennen als für Europäer.