Was sind eigentlich die Gründe, weshalb der Bundesrat den seit 2018 vorliegenden Text des Rahmenabkommens Schweiz-EU nicht unterschreibt und dann dem Parlament zur Entscheidung vorlegt? Vordergründig geht es um die Klärung von drei bestimmten Punkten (Lohnschutz, staatliche Beihilfen, EU-Unionsbürgerrichtlinie). Darüber wird nun auch schon wieder seit mehr als einem halben Jahr gefeilscht, offenbar ohne die für den Bundesrat erhofften Ergebnisse. Deshalb wird in Bern ernsthaft erwogen, das Rahmenabkommen für gescheitert zu erklären und die ganze Übung abzubrechen. Zu dieser angeblich mutigen Tat wird die Regierung von EU-Verteuflern und publizistischen Schaumschlägern von links und rechts eifrig angefeuert.
«Nicht im Bundesratszimmer allein entscheiden»
Demokratiepolitisch gesehen aber wäre es ein Skandal, wenn der Bundesrat das Projekt Rahmenabkommen eigenmächtig versenken würde, ohne dass die gewählte Volksvertretung dazu etwas zu sagen hätte. Denn bei diesem Projekt geht es um die existenzielle Frage, wie das langfristige Verhältnis unseres Landes zu seinen Nachbarn und wichtigsten Handelspartnern gesichert werden soll. Der frühere Bundesrat und Justizminister Arnold Koller hat es unlängst so formuliert: «Über eine derart wichtige Frage sollte man nicht im Bundesratszimmer allein entscheiden.»
Wie kommt man im Bundesrat dazu, eine «Abbruch-Lösung» ohne demokratische Mitbestimmung überhaupt in Betracht zu ziehen? Es hängt damit zusammen, dass die Parteienvertreter in diesem Führungsgremium sich scheuen, den vorliegenden Text des Rahmenabkommens (ohne oder inklusive sogenannte «Klärungen») zu unterschreiben und damit die Entscheidungsverantwortung den Volksvertretern zuzuspielen. Im Parlament aber würde sich zeigen, dass die drei staatstragenden Parteien FDP, SP und Die Mitte bei diesem Traktandum tief gespalten sind.
Was der Happiness-Report sagt
Das ist in Wirklichkeit keine Tragödie. So funktioniert Politik in einer offenen Demokratie: Am Ende entscheidet die Mehrheit der Parlamentarier, ob sie das vorliegende Rahmenabkommen annimmt oder ablehnt. Lehnt sie es ab, ist die Sache vorläufig begraben. Nimmt sie es an, wird es mit Sicherheit ein Referendum dagegen geben und das Volk entscheidet in letzter Instanz.
In diesem Fall wird man endlich konkret wissen, was «das Volk», auf das sich Politiker und Meinungsmacher ständig berufen, in Sachen Europapolitik eigentlich will. Ist das Rahmenabkommen als Ganzes tatsächlich so «tot», wie dessen Gegner und alle EU-Beschimpfer schon lange behaupten? Oder liefert die jüngste Umfrage des Gfs-Instituts doch ein realistisches Stimmungsbild, in der festgestellt wird, dass heute 64 Prozent der Stimmbürger zum Rahmenvertrag Ja oder eher Ja sagen würden?
Wer jedenfalls im Brustton absoluter Gewissheit beteuert, eine engere Anbindung an die EU, wie sie das Rahmenabkommen vorsieht (das den erfolgreichen bilateralen Weg langfristig garantieren würde) wäre für die Eidgenossen das Ende ihres Glücks und Wohlstands, sollte vielleicht einmal einen Blick auf den Uno-Happiness-Report 2020 werfen. Darin belegt die Schweiz zwar den hervorragenden dritten Platz. Auf Rang eins und zwei aber stehen dort Finnland und Dänemark – zwei EU-Vollmitglieder. Mit Ausnahme der Schweiz sind alle Länder unter den ersten zehn auf der Happiness-Rangliste entweder EU- oder EWR-Mitglieder. So ein rabenschwarzes Unglück, wie es die helvetischen EU-Miesmacher an die Wand malen, kann ein Rahmenabkommen mit dem europäischen Staatenverbund nicht sein.