Der Irak und die Türkei sind in bitteren Streit geraten. Die Botschafter beider Seiten wurden vorgeladen, und die Politiker und Propagandisten beider Seiten sprechen scharfe Drohungen gegeneinander aus. Der irakische Ministerpräsident, Haidar Abadi, erwähnte bereits die Möglichkeit eines "Regionalkrieges".
Türkische Truppen in irakisch Kurdistan
Es geht darum, dass sich türkische Truppeneinheiten seit Ende des vergangenen Jahres auf kurdisch-irakischem Gebiet in dem Flecken Baschika befinden. Die Türken sagen, sie stünden dort auf Einladung des kurdischen Präsidenten, Masud Barzani, um kurdische Peschmerga auszubilden. Diese würden vorbereitet, um an dem Kampf gegen den IS mitzuwirken.
Bagdad gegen Erbil
Bagdad ist darüber aufgebracht, weil der kurdische autonome Staat nach wie vor nicht souverän ist. In der Sicht Barzanis soll er es möglichst bald werden. In jener Bagdads soll er ein autonomes Gebiet bleiben, das zum Staat Irak gehört.
Ein Staat kann fremde Truppen zu sich einladen, um ihm als Verbündete zu helfen. Eine autonome Zone kann dies legal gesehen nicht tun, ohne die Billigung ihres Staates erlangt zu haben. Barzani und seine türkischen Partner handeln, als ob das kurdische autonome Gebiet im Irak ein eigener Staat wäre. Bagdad lehnt sich dagegen auf.
Die türkische Allianz mit Barzani
Hinter der legalen Formalität stehen gegensätzliche Interessen. Barzani pflegt seit Jahren ein Sonderverhältnis zur Türkei. Es dient wichtigen wirtschaftlichen Interessen der Kurdischen Autonomen Republik, in erster Linie dem Export kurdischen Rohöls über türkisches Territorium an den türkischen Mittelmeerhafen von Ceyhan über eine eigens zu diesem Zweck gebaute Rohrleitung, die Bagdad ein Dorn im Auge ist. Darüber hinaus dient die Türkei dem kurdischen autonomen Gebiet des Iraks als Verbindung ins Ausland, die es davor bewahrt von Bagdad und Teheran isoliert zu werden. Doch die direkten Beziehungen zwischen Erbil und Ankara sind den Kurden auch wichtig als ein Schritt hin auf ihre angestrebte Souveränität.
Ankaras Taktik: teile und herrsche
Die Türkei ihrerseits geht auf die Wünsche der irakischen
Kurdenregierung ein, weil diese ihre eigene Kurdenpolitik fördert. Dies nach dem Prinzip: divide et impera. Die Türkei sieht in dem Autonomie- oder Unabhängigkeitsstreben der türkischen und der mit ihnen verbündeten syrischen Kurden (PKK und YPG) eine feindliche Bewegung, die sie als "terroristisch" bezeichnet und zurzeit mit kriegerischen Mitteln bekämpft. Je enger Ankara mit Erbil zusammenarbeitet, desto gewisser kann Ankara sein, dass die irakischen Kurden und Barzani ihre türkischen und syrischen Brüder nicht aktiv unterstützen.
Die bestehenden wirtschaftlichen Verbindungen mit Erbil sucht Ankara nun auch durch eine militärische Zusammenarbeit zu ergänzen, die ins Zeichen des gemeinsamen Kampfes gegen den IS gestellt werden soll. Dies ist von besonderer Wichtigkeit für die Türkei, weil seit vielen Jahren die Kämpfer der PKK im Gebirgsgebiet der Kandil-Berge, das zu irakisch Kurdistan gehört, eine Zuflucht besitzen, von der aus sie gegen die türkischen Sicherheitskräfte agieren.
PKK-Kräfte im kurdischen Irak
Die Türkei bombardiert diese Berggebiete regelmässig, doch schreitet sie selten zu Inkursionsversuchen zu Land, weil es sich um schwer zugängliche und leicht zu verteidigende Berggebiete handelt. Seit vielen Jahren dulden die kurdisch-irakischen Kräfte die Präsenz der PKK in ihren entlegenen Grenz- und Gebirgsgebieten.
Dieser Sachverhalt ist längst von allen Seiten hingenommen, und die türkische Politik geht darauf aus, gute Beziehungen mit Barzani zu unterhalten, obgleich Berggebiete, die zu dem Staat oder Teilstaat der irakischen Kurden gehören, der PKK als Unterschlupf dienen. Die Präsenz des IS im benachbarten irakischen Raum der Provinz Mosul dient nun als Grund für Ankara und Erbil, eine militärische Zusammenarbeit der Türkei mit Barzanis Peschmerga gegen den gemeinsamen Feind aufzubauen.
Rivalitäten um Mosul
Doch der IS in Mosul ist auch der wichtigste Feind von Bagdad, und Vorbereitungen dazu werden getroffen, eine irakische Offensive gegen den IS in Mosul zu eröffnen. Schon im Vorfeld dieser geplanten Offensive gibt es Streit darüber, welche Truppen daran beteiligt werden sollen. Mit dabei zu sein, ist allen Beteiligten wichtig, weil jene Truppen, die Mosul einnehmen werden, im Vorteil sein werden, wenn es um die Frage gehen wird, wer in Zukunft in Mosul regiert.
Dabei geht es nicht nur um arabische und kurdische Ansprüche und darum, ob die Türkei ein Wort dabei mitsprechen darf, sondern auch darüber hinaus um die sunnitisch-schiitischen Gegensätze und Spannungen, die durch die Bürger-, Bruder- und Stellvertreterkriege in der ganzen Region immer mehr vergiftet werden.
Bagdad ist de facto eine schiitische Macht, weil dort die schiitischen Milizen und deren Politiker mit iranischer Unterstützung die wirkliche Macht ausüben. Mosul jedoch ist eine sunnitische Stadt und kann als die Hauptstadt der sunnitischen Kräfte im Irak gelten. Die Türken und die Kurden sind ebenfalls Sunniten.
Schiiten in Mosul – eine Gefahr?
Die schiitischen Milizen aus dem Südirak und aus Bagdad wollen bei der erhofften Eroberung Mosuls "mitwirken". Doch diese Milizen haben unter den irakischen Sunniten einen schlechten Namen. Nicht ohne Grund. Sie haben sich Massaker an sunnitischen "Mitbürgern" zuschulden kommen lassen, und die Bewohner von Mosul fürchten, sie könnten aus dem Regen des IS in die Traufe der schiitischen Milizen fallen.
Dies nützen die – sunnitischen – Kurden und Türken aus, um Bagdad "Sektierertum" vorzuwerfen und sich selbst als die natürlichen Partner eines vom IS befreiten Mosuls darzustellen.
Das Fell des zu erlegenden Bären
Kurz zusammengefasst kann man sagen: Man streitet sich um das Fell des Bären, bevor dieser erlegt worden ist. Der Bär wäre der IS. Die Streitparteien sind die sunnitischen Türken mit den gleichfalls sunnitischen Kurden Barzanis, gegenüber Bagdad und den schiitischen Interessen des südlichen Iraks und Irans.
Dazu kommen die türkische PKK und die syrische PYD – beide Kurdenparteien und beide ebenfalls Feinde des IS, jedoch auch Feinde der Türkei, die von Ankara mit kriegerischen Methoden aber auch mit politischen Schritten bekämpft werden. Zu den diplomatischen Methoden Ankaras in seinem Kampf gegen die türkischen und die syrischen Kurden (PKK und PYD) gehört die Zusammenarbeit mit den irakischen Kurden Barzanis.