Am Energie- und Umweltgipfel Swiss ESC auf dem Bundesplatz in Bern sprachen Fachleute zu Klimawandel, Energieeffizienz, Netzstabilität, Schiefergas-Fracking und anderen Themen. Journal 21 dokumentiert das Einleitungsreferat von Ueli Winzenried, Initiant des Summits und Chef der Gebäudeversicherung des Kanton Bern.
Können Sie sich vorstellen, dass die Schweizer Alpen nicht existieren? Genau das versuchte ein Klimaforscher aus dem flachen Norden Deutschlands zu beweisen. Und warum? Er hielt an der Universität Bern eine Rede über das Klima und argumentierte, dass sich das Wetter in seiner Heimatstadt Hamburg nicht ändere, wenn man die Alpen aus den Klimamodellen nimmt. Eine sehr spezielle Argumentation. Bei einer anschliessenden Bergwanderung gestand er allerdings ein, dass zumindest «alpenähnliche Strukturen» vorhanden seien.
Der Mann, von dem ich hier erzähle, heisst Hans von Storch. Er ist alles andere als ein komischer Vogel. Der Hamburger Klimaforscher ist ein unbequemer und unkonventioneller Querdenker. Anfang Jahr hat er zusammen mit dem Ethnologen Werner Krauss das Buch «Die Klimafalle» herausgebracht. Darin fordern sie mehr Pragmatik in der Klimadiskussion und eine Regionalisierung der Massnahmen.
Klimapolitik aus Stillstand und Resignation befreien
Wir stehen an einem Scheideweg. Mein Eindruck ist: Wir sind nach wie vor daran, unsere fossilen Ressourcen im grossen Stil zu verbrauchen. Die globale Klimapolitik torkelt von einem Misserfolg zum nächsten, wobei die Ergebnisse nach jeder Konferenz schöngeredet werden. Nach dem Klimagipfel in Doha im Dezember 2012 titelte die Frankfurter Allgemeine: «Die Karawane schlurft weiter.» Mehr Stillstand und Resignation geht kaum.
Zurück zu Hans von Storch. Er fasst seine Sicht eines klimapolitischen Aufbruchs in drei Punkten zusammen, die auch mir als wichtig erscheinen:
Erstens müssen die internationale Klimapolitik und ihre Akteure sich ändern. Sie sollen unaufgeregter, pragmatischer werden und von Maximalforderungen abrücken.
Zweitens müssen wir neue, umfassendere Lösungsansätze suchen. Die Klimaproblematik betrifft den ganzen Planeten, ist also vielschichtig. Mit den Konsequenzen aus dieser scheinbar banalen Erkenntnis tun wir uns schwer. Es reicht nicht, auf Konferenzen ambitionierte Ziele zu beschliessen, die von einer Mehrheit nicht ernsthaft unterstützt werden können, da zum Beispiel die Trinkwasserversorgung nicht vorhanden ist und Armut herrscht. Ja, wir müssen alle wichtigen Player mit ihren Herausforderungen mit auf die Reise nehmen.
Und drittens muss die Klimaproblematik bei den Menschen im Alltag ankommen.
Wissenschafter sollten nicht als Mahner auftreten
Die Klimadiskussion muss, wie von Storch als erstes postuliert, sachlicher und unaufgeregter werden. Die Auseinandersetzungen sind oft zu emotional und zu hysterisch. Ein Teil der Bürger hat sich von der Diskussion verabschiedet, da sie zunehmend undurchschaubar wird. Ist der Winter mild, haben die Warner Aufwind. Lässt der folgende Frühling lange auf sich warten, ist alles wieder ganz anders.
Schattierungen werden oft nicht zugelassen. Auf Zweifel und Skepsis reagieren manche Wissenschaftler dünnhäutig. Dabei sind Zweifel und Skepsis unverzichtbare Antriebe der Wissenschaft und des menschlichen Handelns. Hinzu kommt, dass einige Wissenschaftler gleichzeitig auch politische Mahner sind, was ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellt. Natürlich darf ein Wissenschaftler auch seine politische Meinung kundtun, aber er soll doch bitte vorher seinen wissenschaftlichen Hut ablegen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht um eine grundlegende Kritik an der Wissenschaft. Ganz im Gegenteil: Auf deren Erkenntnisse können wir nicht verzichten. Aber Wissenschaftler sollten nicht länger politische Warner sein, sondern schlicht die wissenschaftlichen Grundlagen bereitstellen. Klimamodelle erfassen politische und gesellschaftliche Umstände nicht; das sollen und müssen andere tun.
Grosse globale Ziele führen zu Blockaden
Die Klimapolitik braucht als ausgesprochen vielschichtige Problematik umfassende Lösungsansätze – so von Storchs zweiter Punkt. Das heisst zum Beispiel: Klimapolitik ist auch Entwicklungspolitik und vor allem Wirtschaftspolitik. Am UNO-Klimagipfel in Doha wurde in der letzten Nacht hektisch ein Kompromiss erarbeitet. Kernpunkt war die Verlängerung des Kyoto-Protokolls bis 2020. Die USA, Kanada oder China machten auch diesmal nicht mit. Das bedeutet: Solange Maximalforderungen gestellt werden, verabschieden sich die USA und die Schwellen- und Entwicklungsländer aus den Diskussionen. Doha war ein Mega-Event und produzierte nebst heisser Luft auch erhebliche CO2-Emissionen.
Wir können nicht von den Entwicklungsländern erwarten, dass sie auf ihren lang ersehnten industriellen Aufschwung einfach verzichten. Allerdings können wir es auch nicht zulassen, dass sie ungebremst die Industrialisierung auf Basis der fossilen Energien nachholen. Also ist es Aufgabe der Industriestaaten, für Entwicklungs- und Schwellenländer vorteilhafte Rahmenbedingungen zu schaffen. Das kann tiefe Einschnitte ins globale Wirtschaftssystem bewirken. Der deutsche Ökonom Ottmar Edenhofer fordert beispielsweise, die Emissionsrechte global zu verteilen, und zwar pro Kopf der Bevölkerung. Dadurch würde sehr viel Geld nach Afrika fliessen. – Eine provokante, aber bedenkenswerte Idee und bestimmt ein ganzheitlicher Lösungsansatz.
Ganzheitlich heisst aber auch, die konkreten Alltagsbedingungen der Menschen einzubeziehen. Gerade in den ärmeren Ländern müssen wir in erster Linie die aktuellen Gefahren vermindern, die sich aus der Klimaproblematik ergeben. Erst in zweiter Linie sollten wir uns um die Gefahren kümmern, die uns in hundert Jahren drohen. Im Ansatz wird das ja auch schon gemacht: Der internationale Fonds Global Environment Facility (GEF) kümmert sich um die Finanzierung von Umweltprojekten in Entwicklungsländern. Daran ist auch die Schweiz sehr engagiert beteiligt.
Vor Ort und im Alltag ansetzen
Das führt mich zum dritten Punkt Hans von Storchs: Die Klimaproblematik muss im Alltag der Menschen ankommen. Lokale Initiativen müssen das Herzstück der Aktivitäten zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels sein. Mit gutem Grund: Mehr als zwei Drittel der CO2-Emissionen werden durch Wohnen, Essen und Mobilität verursacht.
Auch hier spielt der Pragmatismus eine wichtige Rolle. Privathaushalte, Gemeinden oder Unternehmen agieren nicht deswegen umweltschonend, weil sie das grosse Ganze im Auge haben. Sondern weil sie damit schlicht und einfach Geld sparen oder Gewinne erzielen können. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Die Berner Gemeinde Münsingen sparte in den vergangenen zwanzig Jahren 700’000 Liter Heizöl, weil sie einen Teil des Wärmebedarfs mit dem Grund- und Trinkwasser deckt. Oder: 16 Entlebucher Landwirte «ernten» Energie auf ihren Scheunendächern. Auf den grossen, ungenutzten Flächen betreiben sie Fotovoltaik-Anlagen, die 470’000 Kilowattstunden Strom produzieren. Seit dem Bau der Anlagen im Sommer 2011 versorgen die Anlagen rund 155 Haushaltungen mit Energie.
Die Klimaproblematik gehört nicht nur an den Weltgipfel, sondern auch in die Baukommission der Gemeinde, ins Facebook oder an den Stammtisch. Genau deshalb wollen wir das Thema am diesjährigen SwissECS konkret und pragmatisch angehen. Ich wünsche Ihnen viele neue und unkoventionelle Erkenntnisse. Und es gibt die Alpen. Zumindest darin sind wir uns alle einig.