Fluchen sei gesund, so die plausible Küchenpsychologie. Raus mit den Emotionen, nichts in sich hineinfressen! Will der Nagel nicht in die Wand, der Motor nicht starten, das Mail nicht zum Adressaten? Dann löst der Kraftausdruck zwar nicht das Problem, aber er entspannt zumindest den verkrampften Menschen, der mit Widrigkeiten kämpft. Angeblich animiert Ikea mit seinen Selbstbaumöbeln auch friedfertige Leute zu Spitzenleistungen im Entlastungsfluchen.
Trotz gewisser heilsamer Wirkungen bleibt Fluchen anrüchig. Wer gewohnheitsmässig flucht, gibt sich einen wilden, unzivilisierten Anstrich. In rauen Milieus mag dieser gut passen. In „guter Gesellschaft“ hingegen gehört sich Fluchen nicht. Mehr noch, es ist strikt tabu. Und dieses Verdikt gilt nicht nur an bestimmten Orten, bei bestimmten Gelegenheiten oder für diejenigen, die auf Anständigkeit achten wollen. Nein, es hat den Rang einer strengen allgemeinen Norm. Niemand weiss das besser als die notorisch Fluchenden. Denn nur weil sie ein Tabu verletzen, funktionieren Flüche überhaupt. Wären sie keine Verstösse, so könnten sie nicht die Reibung erzeugen, aus der sie erst ihre Wirkung gewinnen.
Wer nun meint, die Norm des Fluchverbots sei lediglich Abbild einer gesellschaftlichen Hierarchie, greift zu kurz. Fluch und Verfluchung sind vielmehr kulturelle Erbstücke aus einem magischen Weltbild, in dem jedes Sprechen ein in der Objektwelt wirkendes Handeln ist. „Fluch ist eine Redeformel, durch welche man Unheil auf einen anderen oder dessen Habe oder auch auf sich selbst herabwünscht.“ So die Definition im ab 1927 erschienenen zehnbändigen Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens.
Auffällig an dieser volkskundlichen Umschreibung ist das Motiv des Herabwünschens, mithin der Appell an eine höhere Instanz. Wer flucht, ruft sie an, sie solle den Opponenten, das widerstrebende Objekt oder das fluchende Subjekt bestrafen. Diese Dreiecksbeziehung ist dem Sprechakt des Fluchens eingeschrieben. Verfluchungen haben stets ein Subjekt, ein Objekt und einen Garanten. Als letzterer kommen ein Gott oder Teufel, ein Geist oder Zauber, eine Naturkraft oder Schicksalsfügung, aber auch die magische Wirkung der Sprachhandlung selbst in Frage.
Wer von keiner derartigen Instanz wissen will oder nicht zumindest ganz allgemein annimmt, es gebe eine reale und direkte Wirkkraft des Sprechens – wer also an nichts „Drittes“ neben oder über der von A an B gerichteten Malediktion glaubt, kann logischerweise nicht fluchen. Da aber so ziemlich alle Menschen sich aufs Fluchen verstehen, scheint es, dass alle an eine solche Instanz glauben. Zumindest, wenn der Nagel nicht in die Wand will.