Die Ergebnisse des ersten Durchgangs der französischen Präsidentschaftswahlen haben nicht die ganz grosse Überraschung gebracht. Präsident Macron landet deutlich vor Marine Le Pen, womit es zu einer Neuauflage des Duells von vor fünf Jahren kommt – doch unter gründlich anderen Vorzeichen. Ein Kommentar von Hans Woller in Paris.
Man könnte auf den ersten Blick sagen: Alles bleibt in Frankreich beim Alten, dieselbe Besetzung in der Stichwahl, wie schon 2017, und letztlich wird Macron es erneut schaffen und seinen Platz im Élyséepalast behaupten.
Doch ganz so einfach ist es diesmal nicht. Gewiss, Emmanuel Macron hat sein Ergebnis von vor fünf Jahren sogar um rund 3,5% übertroffen und erzielt mit rund 27,5% einen Punkt mehr, als ihm die letzten Meinungsumfragen vorhergesagt hatten. Und der Abstand zu Marine Le Pen ist in diesem ersten Wahlgang ebenso gross, wie vor fünf Jahren. Eigentlich ein Grund zum Aufatmen, wenn man daran denkt, dass das Endergebnis in der Stichwahl 2017 lautete: 66% für Macron, 34% für Le Pen. Doch fünf Jahre später ist die Ausgangslage nicht mehr dieselbe.
Extreme Rechte zusehends stärker
Nicht nur, dass gestern auch Marine Le Pen zugelegt hat und mit 23% diesmal fast zwei Prozent mehr erreichte als vor fünf Jahren. Sondern vor allem ist sie im ultrarechten Lager nicht mehr alleine.
Der noch radikalere ehemalige Journalist, Autor und professionelle Polemiker, Éric Zemmour, hat 7,2% der Stimmen erreicht und gestern Abend sofort an seine rund 2,4 Millionen Wähler appelliert, in der Stichwahl für Marine Le Pen zu votieren. Und auch der dritte Rechtsausleger im Land, Dupont-Aignan, blies mit seinen etwas über 2% ins selbe Horn. Ganz eindeutig verfügt Marine Le Pen für den zweiten Durchgang diesmal über ein weit grösseres Wählerreservoir als vor fünf Jahren, zumal man davon ausgeht, dass auch ein Drittel der Wähler der konservativen Kandidatin, Valérie Pécresse, in 14 Tagen Marine Le Pen ihre Stimme geben könnte.
Die erste Prognose am gestrigen Abend für die Stichwahl am 24. April lautete: 54% für Macron, 46% für Le Pen, was für die Kandidatin der extremen Rechten ein Plus von 12% im Vergleich zu 2017 bedeuten würde.
Macron eher verhalten
Frankreichs Präsident gab sich gestern Abend bei einer 15-minütigen, nicht besonders überzeugenden Ansprache vor seinen Anhängern in Paris eher zurückhaltend, keine Spur von Triumph. Viel mehr ein eindeutiger Appell an die Franzosen, in den nächsten zwei Wochen die Republikanische Front gegen die extreme Rechte wiederzubeleben und die mehrfach wiederholte Äusserung, wonach das Spiel noch längst nicht gewonnen und noch lange nichts entschieden sei. Man würde sagen, Macron ist sich einer gewissen Gefahr bewusst und weiss, dass der Weg zu mehr als 50% diesmal deutlich holpriger wird und er Stimmen aus verschiedensten politischen Lagern braucht.
Immerhin hat der Kandidat der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon, der gestern sensationelle 22% erzielt hat, anders als vor fünf Jahren, noch am Wahlabend selbst dezidiert und gleich drei Mal an seine Wähler appelliert, keine einzige ihrer Stimmen dürfe in zwei Wochen Marine Le Pen zu Gute kommen.
Der Präsident durfte ausserdem verbuchen, dass ebenfalls bereits gestern Abend vier ausgeschiedene Kandidaten ausdrücklich dazu aufgerufen haben, am 24. April einen Stimmzettel mit dem Namen Emmanuel Macron in die Urne zu werfen. Der Grüne Yannick Jadot, der mit 4,5% weit hinter den Erwartungen zurückblieb, der Kommunist Fabien Roussel und die Sozialistin Anne Hidalgo – jeweils 2% der Stimmen – und auch die ganz grosse Verliererin des gestrigen Abends, die Kandidatin der Konservativen Valérie Pécresse.
Bleibt für Emmanuel Macron die grosse und vielleicht entscheidende Frage: Wie viele Wähler aus dem linken Spektrum sind am 24. April noch einmal bereit, wie vor fünf Jahren und sei es mit extrem langen Fingern, zur Stichwahl zu gehen und ihm, Macron, ihre Stimme zu geben, um Marine Le Pen im Élysée zu verhindern. Die Tendenz, so die meisten Experten, ist eher rückläufig.
Die wirklich grosse Überraschung
Denn der echte Kracher dieses ersten Wahlgangs war das absolut katastrophale Ergebnis von nicht mal 5%, welches Valérie Pécresse eingefahren hat. Die Rede ist tatsächlich von der Kandidatin, der einst von Chirac gegründeten konservativen Partei, die sich inzwischen «Les Républicains» nennt, die jahrzehntelang an der Regierung war und sich als gaullistisch bezeichnete, die 2007 auch noch Nicolas Sarkozy zum Weg in den Élyséepalast verholfen hatte und noch vor fünf Jahren trotz des schwer angeschlagenen Kandidaten, François Fillon, immerhin 20% der Stimmen auf sich vereint hatte.
Pécresse war zu Beginn ihrer Kandidatur in den Umfragen noch bei 17 bis 18% gelegen, bevor der grosse Absturz begann, der so tief endete, wie das noch 48 Stunden vor der Wahl absolut niemand vorhergesehen hatte. Unter 5% werden nicht mal die Wahlkampfkosten erstattet. Eine wahre Demütigung, ja eine Ohrfeige.
Gerade mal 1,5 Millionen anstatt der erhofften, mindestens 5 Millionen Stimmen hat sie erreicht. Dies bedeutet, dass Valérie Pécresse die Wähler ganz offensichtlich massenhaft zu Emmanuel Macron davongelaufen sind, was dessen relativ gutes Ergebnisse und den Stimmenzuwachs für ihn im Vergleich zu 2017 erklären dürfte. Doch auch Éric Zemmour und Marine Le Pen dürften gestern von der Schlappe der konservativen Kandidatin profitiert haben.
Neue politische Landschaft bestätigt
Dieser erste Wahlgang hat gleichzeitig auch die Umwälzung der politischen Landschaft Frankreichs, die vor fünf Jahren begonnen hatte, definitiv bestätigt und überdeutlich gemacht, dass es mittlerweile in diesem Land im Grunde drei grosse politische Blöcke gibt. Als da wären:
- Die rechte Mitte um Macron mit etwas weniger als 30%.
- Die extreme Rechte (Le Pen, Zemmour, Dupont-Aignan) mit einem Drittel aller Stimmen.
- Die extreme Linke von Jean-Luc Mélenchon und zwei Splitterparteien mit über 20%.
Frankreichs ehemalige etablierten Volksparteien (die Sozialisten und die konservativen «Les Républicains»), die ein halbes Jahrhundert lang die politische Szene Frankreichs dominiert hatten, sind mit zusammen gerade mal 7 Prozent de facto von der Bildfläche verschwunden.
Und nicht zu vernachlässigen bei diesem gestrigen Wahlergebnis wäre schliesslich auch die Tatsache, dass diesmal tatsächlich über 50% der Franzosen für die Extreme, von rechts oder von links, gestimmt haben.
Auch angesichts dessen dürften die nächsten fünf Jahre für Emmanuel Macron, sollte er es in zwei Wochen erneut schaffen, Marine Le Pen hinter sich zu lassen, alles andere als ein Zuckerschlecken werden.