Präsident Obama hat Grund zum Aufatmen, wenn er sich nach dem schwer erkämpften Erfolg im US-Senat zur Ratifizierung des New Start-Vertrages mit seiner Familie für die Feiertage nach Hawai zurückzieht. Noch vor kurzem war es fraglich, ob es gelingen werde, im Senat die nötige Zweidrittelmehrheit für dieses Abkommen zusammenzubringen, das er im April mit dem russischen Präsidenten Medwedew in Prag unterzeichnet hatte.
Nach den Midterm-Wahlen auf der Kippe
Nur Richard Lugar, der bei weitem erfahrenste Kopf unter den Republikanern im Senat, hatte sich vor wenigen Wochen noch offen für eine zügige Verabschiedung des Vertragswerkes eingesetzt. Um die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen, waren die Demokraten aber auf die Unterstützung von mindestens acht Republikanern angewiesen.
Diese Unterstützung war nach dem grossen Erfolg der Grand Old Party bei den Midterm-Wahlen im November indessen akut in Frage gestellt. Die republikanische Führung im Kongress und ebenso die neue Galionsfigur der rechtskonservativen Tea Party-Bewegung, Sarah Palin, trommelten vehement gegen eine Zustimmung zum New Start-Vertrag. Sie argumentierten, für eine Prüfung dieses Abkommens brauche es mehr Zeit – obwohl im Senat bereits mehr als ein Dutzend Hearings dazu abgehalten worden waren. Dabei hatten eine Reihe aussenpolitischer Schwergewichte wie die ehemaligen republikanischen Aussenminister Kissinger und Baker und der frühere Sicherheitsberater Scowcroft entschieden die Ratifizierung des neuen Start-Vertrages unterstützt. Vor zwei Wochen hatte auch der frühere Präsident Bush senior eine Stellungnahme im Sinne der Befürworter abgegeben.
Doch den Ratifizierungs-Gegnern ging es am Ende gar nicht um seriöse politische oder technische Einwände gegen das New Start-Abkommen. Einige ihrer Forderungen, wie zusätzliche Gelder für die Modernisierung der nuklearen Arsenale, hatte Obama zuvor bereits erfüllt. Der Vertrag sollte nach dem Kalkül der Gegner deshalb nicht mehr im alten Jahr ratifiziert werden, weil in der neuen Senats-Session, die im Januar beginnt und bei der die Grand Old Party über eine um sechs Sitze grössere Fraktion verfügt, es sehr viel schwieriger würde, die notwendige Zweidrittelmehrheit zu mobilisieren. Ein Erfolg von Präsident Obama in Sachen Abrüstung hätte dann noch längere Zeit verzögert, vielleicht überhaupt verhindert werden können.
Punkte für Obama
Diesem ziemlich destruktiven, von kleinlichen parteitaktischen Motiven bestimmten Manöver haben sich nun mindestens 13 republikanische Senatoren verweigert und damit dem New Start Vertrag über die Ratifizierungshürde verholfen. Der erste Start-Vertrag war übrigens noch von Präsident Bush senior 1991 in Moskau unterzeichnet worden.
Anderthalb Monate nach dem schweren Rückschlag der Demokraten bei den Zwischenwahlen im Kongress, der allgemein als harter Denkzettel an die Adresse des Präsidenten aufgefasst wurde, kann Obama am Ende dieses Jahres doch noch einige respektable Ergebnisse auf der Habenseite seines Regierungskontos verbuchen. Dazu gehört neben der Ratifizierung des New Start-Vertrages der pragmatische Steuer-Kompromiss mit den Republikanern, bei dem beide Seiten Zugeständnisse machen mussten.
Dieser Kompromiss ist zwar dem linken Flügel der Demokraten sauer aufgestossen. Dem Ansehen des Präsidenten in der politischen Mitte – wo in der Regel auch in Amerika die Wahlen gewonnen werden – aber hat die Überwindung verhärteter ideologischer Fronten neuen Respekt verschafft, wie der angesehene Kommentator David Broder in der „Washington Post“ schrieb. Ein weiterer Punkt, der in Obamas Zwischenbilanz seines zweiten Amtsjahres eher positiv zu Buche schlägt, ist die vom Kongress verabschiedete Liberalisierung der Zulassung von Schwulen und Lesben bei den Streitkräften.
Der New Start-Vertrag muss nun noch vom Parlament in Moskau ratifiziert werden. Da im heutigen Russland bei derartigen Entscheidungen nie mit unliebsamen Überraschungen für die Regierung gerechnet werden muss, steht der Inkraftsetzung des Abrüstungsvertrages nichts mehr entgegen.
Die Vision einer atomwaffenfreien Welt
Das ist auch aus folgenden zwei Gründen zu begrüssen: Erstens dürfte die neu gestärkte Partnerschaft zwischen Washington und Moskau in Sachen Abrüstung die Chancen für eine intensivere Kooperation gegenüber dem Iran und dessen undurchsichtigen Nuklearpolitik verbessern.
Und zweitens können die beiden bei weitem stärksten Atommächte mit diesem neuen Abrüstungsschritt mit etwas mehr Glaubwürdigkeit als noch vor einem Jahrzehnt geltend machen, dass sie ihr im Atomsperrvertrag (NPT) verbrieftes Versprechen, die eigenen Arsenale stufenweise abzubauen, nicht aus den Augen verloren haben. Bis zur Verwirklichung der von Obama nach seinem Amtsantritt verkündeten (und von manchen so genannten Realisten belächelten) Vision einer Welt ohne Atomwaffen wird allerdings noch ein sehr langer Weg zurückzulegen sein – möglicherweise ein unendlich langer.