Die Welt hat Abschied genommen von einem israelischen Staatsmann, der sein Leben für den Frieden in Nahost und für die Versöhnung mit den Palästinensern gearbeitet hat. Das ist die offizielle Version, jene welche die meisten Politiker und die meisten Medien verkünden.
Doch betrachtet man die politische Vita von Shimon Peres, kommen ganz andere Details ans Licht. Der an der Universität Exeter lehrende israelische Historiker Ilan Pappe – bekannt durch sein Buch „The Ethnic Cleansing of Palestine“ – kommt zu einem ganz anderen Schluss. Er schreibt, Peres habe viele politische Positionen in seinem Leben ausgefüllt, so etwa den Posten des Generalsekretärs im Verteidigungsministerium, die Position des Verteidigungsministers, den Posten für die Entwicklung der 1967 im Sechstagekrieg eroberten Gebiete; schliesslich sei er Premierminister und Präsident gewesen. „In all diesen Rollen“, so schreibt Professor Pappe, „trugen seine Entscheidungen und die Politik, welche er verfolgte, zur Zerstörung des palästinensischen Volkes bei. Peres tat nichts, um den Frieden zu fördern, und er trug nicht zur Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis bei.“
Sich als harter Kämpfer beweisen
Ein vernichtendes Urteil. Doch vollkommen ungerecht ist es nicht. Im April 1996 besuchte der Autor dieses Beitrages den kleinen Ort Qana im Südlibanon. Als Nachfolger des von einem militanten Siedler, Yigal Amir, im November 1995 ermordeten Premier Yitzhak Rabin befahl Shimon Peres die Bombardierung des Südlibanon, wo sich die Hisbollah seit langem gegen die israelische Besatzung wehrte. In Israel standen Parlamentswahlen bevor. Shimon Peres wollte sich, so lautete damals die allgemeine Einschätzung, als harter Kämpfer gegen die Islamisten der Hisbollah beweisen.
Daher ordnete er die grossflächige Bombardierung des Südlibanon an. Auf einen UN-Posten, der mit Soldaten aus Fidschi besetzt war, hatten sich Hunderte Palästinenser geflüchtet, vor allem Frauen und Kinder. Versehentlich, wie die Israelis später erklärten, habe eine Bombe am 18. April 1996 den UN-Posten getroffen. 106 Menschen starben, darunter viele Kinder, 116 wurden verletzt. Ein paar Tage später wurden die Toten in Qana begraben, Tausende, darunter viele Journalisten, wohnten der Trauerfeier bei.
Ewiger Friedensfreund?
Politisch hat das Bombardement Shimon Peres nichts genutzt. Bei den späteren Wahlen wurde nicht er, der harte Kämpfer gegen die Hisbollah, sondern Benjamin Netanjahu zum Premier gewählt. Das Massaker von Qana war nur eine Station im politische Leben von Peres, welche die Legende vom ewigen Friedensfreund ein wenig in Frage stellt.
Schon 1947, ein Jahr vor der offiziellen Staatsgründung, war Shimon Peres vom späteren Premier David Ben Gurion in westliche Länder entsandt worden, um Waffen zu kaufen – Waffen, die dann im Krieg von 1948/49 gegen die Palästinenser eingesetzt wurden.
Abgeblasener Krieg
Nachdem der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser 1956 den noch in britischem Besitz befindlichen Suezkanal verstaatlicht hatte, kam es zu einer bezeichnenden Koalition der damals schon geschwächten Kolonialmächte England und Frankreich zusammen mit dem Siedlerstaat Israel. Alle drei überfielen Ägypten, Israel besetzte z.B. die Halbinsel Sinai, Nasser schien verloren.
Doch zwei Ereignisse machten den Ägypter plötzlich zum Sieger. US-Präsident Dwight D. Eisenhower wehrte sich vehement gegen den von der Dreierkoalition gegen Ägypten angezettelten Krieg. Und: Zur gleichen Zeit walzten sowjetische Truppen den ungarischen Volksaufstand nieder. Politische Folge: Der Westen konnte nicht einerseits in Nahost Krieg führen und andererseits das sowjetische Vorgehen in Ungarn verurteilen. Die drei Interventionsmächte Frankreich, England und Israel mussten ihren Krieg abblasen. Und die Rolle von Shimon Peres? Peres war damals stellvertretender Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium. Den Forschungen von Ilan Pappe zufolge hatte Peres 1956 die Invasion Ägyptens unterstützt und hatte, sozusagen als Gegenleistung für diese Kooperation von Frankreich, das Wissen zur Entwicklung der israelischen Atombombe bekommen.
Gegen die israelische Invasion in Libanon
Nach dem Krieg von 1967, in welchem Israel Ost-Jerusalem, das Westjordanland und die Sinaihalbinsel eroberte, wurde Shimon Peres Minister für Einwanderung und Integration. Als solcher war er auch verantwortlich für die gerade eroberten Gebiete. In dieser Zeit begann der später immer intensiver werdende Siedlungsbau. Zwar hat ihn Peres oft nicht aktiv unterstützt. Aber viele Siedler stellten die Regierung vor vollendete Tatsachen und forderten nachträglich die Legitimierung ihrer ohne Genehmigung gebauten Siedlungen. Meistens gab Peres nach. Aktiv gegen den Siedlungsbau hat er sich kaum gewendet.
Immerhin aber kam Peres im Laufe seiner politischen Laufbahn zu der Erkenntnis, dass der Konflikt mit den Palästinensern nicht militärisch gelöst werden könne. Und er wandte sich auch gegen die israelische Invasion in Libanon im Jahre 1982, infolge derer unter der Leitung von Ariel Sharon Israel bis nach Beirut vordrang und die PLO unter Jassir Arafat aus dem Libanon nach Tunis vertrieb. 1985 befahl er als Premierminister den Rückzug der meisten israelischen Truppen aus dem Libanon.
Schwache Position Arafats
Schliesslich bekam Shimon Peres sogar den Friedensnobelpreis, zusammen mit Jassir Arafat und Yitzhak Rabin. Das war im Jahr 1994. Zuvor hatten Israelis und Palästinenser in Geheimverhandlungen in Oslo einen, damals sagte man „Friedensvertrag“, ausgehandelt. Israel sollte sich aus den städtischen Gebieten wie etwa Ramallah mit seiner vollkommen palästinensischen Bevölkerung zurückziehen und diese Regionen einer neu zu gründenden Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellen. Dieser „Zone A“ wurde eine „Zone B“ zugesellt, welche unter gemeinsamer israelisch-palästinensischen Kontrolle stehen sollte. Aber über 60 Prozent des Landes, die so genannte „Zone C“, stehen bis heute unter vollkommen israelischer Verwaltung. Die Hoffnung damals: Im Laufe der Zeit sollte sich aus dieser verquickten geographischen Aufteilung ein palästinensischer Staat entwickeln.
Wie die Geschichte zeigt, wurde das Modell ein vollkommener Fehlschlag.
Politiker wie Benjamin Netanjahu, Ariel Sharon und Ehud Barak (Premier von 1999 bis 2001) waren niemals Unterstützer des Plans. Und Shimon Peres? Jedermann wusste damals, dass Jassir Arafat in Oslo aus einer sehr schwachen Position gehandelt hatte. Im Golfkrieg von 1991, in welchem die USA den Irak aus Kuwait vertrieben hatte, hatte Arafat Saddam Hussein unterstützt. So musste Arafat, kurz gesagt, in Oslo akzeptieren, was man ihm bot. Und das war nichts, oder jedenfalls nicht viel. Man darf annehmen, dass die israelischen Friedensnobelpreisträger Rabin und Peres dies wussten.
Distanzierung von den Hardlinern
Durch sein zivilisiertes, westlichen Vorstellungen und politischen Friedenerwartungen angepasstes politische Gebaren gelang es Peres in späteren Jahren, sich von Hardlinern wie Yitzhak Shamir, Menachem Begin und Benjamin Netanjahu zu unterscheiden. Er präsentierte sich, sozusagen, als das westliche Gesicht Israels. Man darf annehmen, dass er in seinem Herzen gewiss einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern suchte. Doch viele seiner politischen Taten, die im Westen kaum wahrgenommen oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden, haben nicht zu dieser Versöhnung beigetragen. Ob das dennoch von Peres aufgebaute und im Westen bereitwillig akzeptierte Image eines Friedensfürsten zukünftigen historischen Forschungen standhalten wird, ist die spannende Frage, deren Beantwortung die Aufgabe zukünftiger Historikergenerationen ist.