Am 24. November geht die Periode zu Ende, die sich vor einem Jahr Iran und seine Verhandlungspartner gesetzt hatten, um von einem provisorischen Regelung des Streites über nukleare Anreicherung zu einer endgültigen Lösung zu gelangen. Die Verhandlungspartner sind 5+1, nämlich die fünf beständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland auf der einen Seite, Iran auf der anderen. Dazu kommen zahlreiche Vermittler und Interessierte, die ebenfalls versuchen, ihr Wort mitzureden.
Ohne Verlängerung?
Die Frist ist schon einmal um sechs Monate verlängert worden, und im Vorfeld der gegenwärtigen Verhandlungen haben die Amerikaner und ihre Partner erklärt, sie wollten keine weitere Verlängerung gewähren, sondern verhandelten auf Gedeih und Verderb. Wenn keine Lösung gefunden werde, würden die Amerikaner und Europäer ihre Sanktionen gegen Iran verschärfen. Wenn es zu einer Lösung käme, würden die Sanktionen abgebaut und schlussendlich ganz aufgehoben.
Während der Übergangsfrist, die nun ihrem Ende zugeht, waren die Sanktionen reduziert worden, die Iraner hatten als provisorische Gegenleistung zugesagt, dass sie ihre Anreicherungsaktivitäten einschränken wollten.
Ringen auf technischer und diplomatischer Ebene
Im Endspiel vor dem gegenwärtigen Schlusstermin finden intensive Gespräche in Wien statt. Doch gleichzeitig auch Kontakte des amerikanischen Aussenministers Kerry in London und in Paris mit den an einer Lösung interessierten Staaten. Es geht bei den Verhandlungen um die atomare Frage und dabei zentral darum, ob Iran Garantien abgibt, dass seine Anreicherungsaktivitäten sich an Grenzen halten werden, die dermassen festgelegt würden, dass der Bau einer Atomwaffe mit dem angereicherten Material ausgeschlosen werden kann.
Die 5+1 Unterhändler möchten auch erreichen, dass Iran nicht soweit mit der Anreicherung voranschreitet, dass es kurz vor der Fähigkeit stünde, eine Atomwaffe zu entwickeln. Dies wird als das "Durchbruch- Stadium" (breakout) bezeichnet. Ziel der Unterhändler soll sein, dass maximal soviel Material zu einem kritischen Anreicherungsgrad behandelt werde (5 Prozent sind im Gespräch), dass mindestens ein Jahr nötig wäre, um die Anreicherung bis zur Waffenherstellung (90 Prozent) voranzutreiben.
All dies muss natürlich in technischen Gegebenheiten umschrieben werden, etwa wie viele Zentrifugen mit welcher Effizienz wie lange arbeiten dürfen, bis die festgelegten Schwellen erreicht sind und auch, wie kontrolliert werden soll, dass Iran sich an diese Schwellen halte. Diese technischen Belange und ihre Kontrolle sind Sache der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien. Doch die Einschränkungen und Schwellen müssen in den Verhandlungen mit Iran festgelegt werden.
Wieviel Uranium wie weit angereichert?
Die Verhandlungen sind vertraulich und geheim. Durchgesickert ist im Vorfeld der letzten, gegenwärtig laufenden Verhandlungsrunde, dass die gegenseitigen Vorstellungen, wo diese Schwellen liegen sollen, sehr weit auseinander lagen. So hiess es zum Beispiel, Iran bestehe darauf, in den kommenden Jahren die Menge des angereicherten Uraniums zu verzehnfachen; die Gegenseite fordere, dass die gegenwärtige Menge auf ein Drittel reduziert werde.
Ausgedrückt in Zentrifugen, welche die Anreicherung erarbeiten: gegenwärtig drehen sich in Iran 9 400 Zentrifugen; weitere 12 000 sind bereits installiert, jedoch noch nicht in Betrieb genommen. Iran möchte die 12 000 zusätzlich betreiben; die 5+1 Unterhändler fordern eine Reduktion der Zahl oder der gegenwärtig arbeitenden 9 400 Zentrifugen.
Sanktionen sofort oder schrittweise abbauen ?
Was die Sanktionen angeht, so forderte Iran, sie müssten sofort völlig enden, sobald ein Übereinkommen erreicht sei. Die Gegenseite jedoch möchte die Sanktionen allmählich abbauen im Gleichschritt mit den einzelnen Massnahmen, die Iran durchführt, um den ausgehandelten Vorschriften nachzukommen.
Es gibt viele weitere Unstimmigkeiten technischer und politischer Natur. Unter ihnen sind auch Fragen über mögliche Schritte zur Militarisierung des iranischen Atomprogramms, welche die IAEA stellte, die jedoch Iran nicht beantwortet habe.
Natürlich wird auch die Frage diskutiert, warum denn Iran so viel angereichertes Uranium benötige, wenn es, wie Teheran immer wieder erklärt, keine Atombombe bauen wolle. Die Antwort aus Teheran scheint zu sein, dass Pläne für Reaktoren bestünden, über jenen hinaus, der zurzeit in Bandar Abbas mit russischer Hilfe betrieben wird.
Diese Antwort wurde bestärkt durch einen kürzlich abgeschlossenen Vertrag mit Russland, der vorsieht, dass zwei Atomkraftwerke sofort gebaut werden sollen und russische Hilfe beim geplanten Bau von sechs weiteren vorgesehen sei. Iran besteht darauf, dass in der Zukunft der ganze Anreicherungszyklus für den Betrieb der geplanten Atomkraftwerke in Iran stattfinden müsse. Russland soll sich seinerseits bereit erklärt haben, Iran die nötigen Brennstäbe zu liefern, solange diese nicht in Iran hergestellt werden könnten.
Weit voneinander entfernte Positionen
Alle durchgesickerten Informationen beziehen sich natürlich auf Verhandlungspositionen. Sie sind keine endgültigen Werte. Sie dienen nur dazu, abzuschätzen, wie weit die beiden Seiten sich zu Beginn dieser letzten Verhandlungsrunde noch voneinander entfernt befanden.
Die grossen Distanzen und das Gewicht des Einsatzes lassen erwarten, dass möglicherweise doch noch eine weitere Verlängerung der Verhandlungen bevorstehen könnte, trotz der anfänglichen Unwilligkeit der Amerikaner. weiteren Verlängerungen zuzustimmen. Diese Verlängerung könnte erneut in der Form eines weiteren provisorischen Abkommens erfolgen, dessen Einzelheiten neu auszuhandeln wären.
Wenn es weder zu einer Verlängerung des Provisoriums käme noch zu einem erfolgreichen Verhandlungsabschluss, wäre dies allem Ermessen nach eine katastrophale Entwicklung für den gesamten Nahen Osten und damit auch für die Weltpolitik.
Boykott und Kriegsgefahr
Ein endgültiger Misserfolg der Verhandlungen würde eine Steigerung der Boykottmassnahmen von amerikanischer Seite bewirken. Die Amerikaner würden auch auf "Sekundärboykott" ausgehen, das heisst Boykott von amerikanischer Seite gegenüber allen - auch nicht amerikanischen - Firmen und Personen, die sich nicht an den Iranboykott hielten. Man müsste mit einer weltweiten Zweiteilung rechnen, Feinde Irans gegen Freunde Irans.
Als Freunde würden sich allem Ermessen nach China, Russland verhalten, sowie offen oder versteckt andere Nationen, die diesen beiden Weltmächten näher stehen als den USA.
Verheerende politische Auswirkungen
Die Trennung in Feinde und Freunde Irans bliebe nicht auf Wirtschaftsfragen beschränkt. Sie würde sich zunächst im Nahen Osten auf die bestehende politische Konstellation auswirken. Im Nahen Osten nimmt Iran gegenwärtig eine Position in fünf Staaten ein, die Teheran erlaubt, in allen Machtkämpfen als Zünglein an der Waage zu wirken. Dies sind Syrien, Libanon, der Irak und Jemen.
In Syrien ist Iran eine entscheidende Stütze des Asad-Regimes, sowohl direkt mit Geld und Militärberatung, wie auch indirekt durch die Hizbullah-Milizen aus Libanon, die eine wichtige Stütze der syrischen Streitkräfte bilden.
In Libanon ist es Hizbullah, der als Instrument der iranischen Macht dient. Illustration: gegenwärtig hat Paris einen diplomatischen Vorstoss bei Iran unternommen, um Teheran dazu zu bewegen, einem Kompromisskandidaten für die Präsidentschaft Libanons zuzustimmen. Libanon hat seit dem vergangenen März keinen Präsidenten, obwohl dieser die Schlüsselposition in der libanesischen Regierung einnehmen sollte. Dies weil Hizbullah auf einem Präsidentschaftskandidaten besteht, General Michel Aoun, der den meisten anderen politischen Kräften des Landes nicht genehm ist.
Um zu vermeiden, dass das libanesische Parlament einen anderen Kandidaten zum Präsidenten wählt, bleiben die Abgeordneten von Hizbullah und deren Verbündete regelmässig von den Wahlsitzungen des Parlamentes fern. Sie verhindern so, dass ein Quorum zustande kommt und damit die Wahl eines anderen Präsidenten als ihres Kandidaten. Dies ist nun bereits neun Mal vorgekommen.
Teherans Einfluss in Libanon, Irak und Jemen
Das heisst, Hizbullah bildet eine Sperrminderheit in der libanesischen Politik. Ohne die Zustimmung von Hizbullah kann das Parlament in wichtigen Fragen nicht handeln. Die Zustimmung von Hizbullah hängt von den Weisungen Teherans ab. Gegen sie kann sich Hizbullah, sogar wenn es wollte, nicht auflehnen, weil die Waffen für Hizbollah aus Teheran kommen.
Eine Sperrminderheit vergleichbarer Art besitzt Iran auch in Bagdad, dort sind es die politischen Formationen und Milizen grosser schiitischer Bevölkerungsteile, die auf Weisungen Irans hören und aus politischen und aus Bewaffnungsgründen auf sie hören müssen.
In den jüngsten zwei Monaten haben sich die Huthis als Machtzentrum in der jementischen Hauptstadt Sanaa etabliert. Iran erklärt offen, die Huthis seien Freunde Irans. Wie weit sie nicht nur politische Freunde sind sondern auch Klienten, die auf iranische Hilfe angewiesen sind, ist umstritten. Jedenfalls folgen sie einer politischen Linie, die jener Irans entspricht.
Die Gegenspieler des Iran
Es gibt auch Feinde Irans im Nahen Osten. Saudiarabien sieht sich selbst als den Vorkämpfer der sunnitischen Araber gegen den von Iran unterstützten arabischen Schiismus. Die Feindschaft wurde zum Kalten Krieg in dem Augenblick, in dem der Irak dank dem amerikanischen Eingriff von 2003 unter eine schiitische Regierung kam.
Saudiarabien hat seinen Kalten Krieg gegen den Schiismus zuerst offensiv geführt: in Libanon, indem es die sunnitischen Gegner von Hizbullah unterstüzte; in Syrien indem es versuchte, das dortige Regime zu Fall zu bringen, das mit Iran verbündet war und bleibt; in Jemen, indem es die Huthi bekämpfte; in Bahrain, indem es Truppen nach Manama entsandte, um den dortigen sunnitischen Herrscher gegen die Mehrheit seiner schiitischen Untertanen zu stützen; gegenüber dem Irak zur Zeit des dortigen Ministerpräsidenten, Nuri al-Maleki, mit Abbruch der Beziehungen zu Bagdad und Unterstützung der sunnitischen Opposition gegen die schiitische Staatsmacht.
IS als dritte Kraft verändert die Lage
Doch die Entwicklung in Syrien hat die saudische Offensive in die Defensive gezwungen. Saudiarabien baut gegenwärtig an einem hochtechnisch gerüsteten Grenzzaun, der das Königreich zuerst an seinen irakischen und jemenitischen Grenzabschnitten einzäunen soll, später an allen Grenzen. Es ist die Präsenz und Macht von IS, die die neue Lage hervorgebracht hat. Hochgekommen ist IS teilweise durch Unterstützung aus dem saudischen Raum und den Golfstaaten, wie weit durch staatliche, wie weit durch private Gelder, bleibe dahingestellt.
Doch nun wird IS von Saudi Arabien als eine ernste Gefahr eingestuft, die das Königreich bedrohe. Der Kampf gegen IS wird wichtiger für das Königreich als das Ringen gegen Iran und die arabischen Schiiten. Sichtbar wurde dies durch den heissen Luftkrieg gegen IS, an dem sich das Königreich und die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligen, und an einem neuen, versöhnlicheren Kurs gegenüber Bagdad, obwohl in Bagdad Qassem Soleiman, der iranische Geheimdienstchef, mit seinen Quds Kräften als Stütze der schiitischen irakischen Milizen operiert.
Der Feind meines Feindes - bleibt Feind
Mit IS erhielten die beiden Feinde, Saudiarabien und Teheran, sowie alle arabischen Schiiten und auch die Regierung von Bagdad einen gemeinsamen Feind, den sie zurzeit getrennt, ein jeder auf seine Rechnung, bekämpfen. Den Amerikanern geht es ähnlich. Sie stufen nach wie vor Asad und sein Regime als Feinde ein, aber auch dessen Feinde, die Aktivisten von IS. Diese werden - allerdings nur aus der Luft - von den Amerikanern bekämpft, das Asad-Regime, zunächst jedenfalls, nicht mit Kriegsflugzeugen und mehr diplomatisch. Iran wäre ein potentieller Verbündeter im Kampf der Amerikaner gegen IS. Doch eine Aktionsgemeinschaft setzte voraus, dass der Atomstreit beseitigt werde.
Wenn die Hoffnungen darauf zusammenbrechen, wird sich die Lage verschieben. Die Spaltung zwischen Amerika und Iran würde tiefer, die Saudis und ihre Freunde könnten damit rechnen, dass ihr Kalter Krieg gegen den Schiismus amerikanische Unterstützung erhielte, und diese Konfronation würde ebenfalls schärfer und heisser werden. Ob es IS gelingen könnte, als lachender Dritter davon zu profitieren ist ungewiss.
Die Interessen der Netanyahu-Regierung
Sicher ist, dass das Chaos im Nahen Osten anwachsen würde.
Natürlich ist in diesem Gesamtbild auch Israel wahrzunehmen. Ministerpräsident Netanyahu hat versucht, doch bisher ist ihm misslungen, einen Krieg zwischen Iran und den USA in Bewegung zu setzen, an dem Israel sich beteiligen wollte. Davon ist zurzeit nicht mehr die Rede, weil Washington deutlich gemacht hat, dass es diesen Krieg, jedenfalls gegenwärtig, nicht führen will.
Doch Israel wird mit aller Macht seiner amerikanischen Lobby darauf bestehen, dass der Boykott Irans, der für den Fall eines Fehlschlags der Verhandlungen angedroht ist, so scharf wie möglich ausfalle. Wenn sich daraus am Ende doch noch ein Krieg ergäbe, wäre dies ohne Zweifel willkommen in Israel.
Zwei Feinde, kein Freund
Wie in Syrien gilt auch für Israel das ungeschriebene nahöstliche Gesetz nicht mehr, nach dem im Mittleren Osten der Feind meines Feindes als mein Freund eingestuft wird. Wie Damaskus Feind von IS bleibt und auch Feind der Feinde von IS, seien es die USA sei es Saudi Arabien, bleibt auch Israel - offiziell - Feind Saudiarabiens und der Golfstaaten, obwohl diese Feinde Irans sind, den Israel ebenfalls als Feind einstuft.
Ein weiter Feind von IS, Amerika, ist jedoch ein Freund Israels, und ob Amerika Freund oder Feind Irans werden soll, darüber entscheiden weitgehend die gegenwärtigen Verhandlungen.
Noch einmal etwas anders ist die Lage aus der Sicht Ankaras. Die Türkei positioniert sich gegenwärtig als Gegner Israels, Gegner von Damaskus und Gegner von IS. Sie ist auch ein Nato-Verbündeter von Amerika, aber kritisch gegenüber Washington - und nicht voll kollaborationsbereit gegen IS -, weil sie ein schärferes Vorgehen gegen Damaskus fordert. Mit Iran stellt sich Ankara gut, doch versucht es auch, mit den Golfstaaten nicht zu brechen.
Israel möchte, dass die USA gegen Iran Krieg führe. Ankara möchte, dass die USA gegen Damaskus kämpfe. Die Mitwirkung Irans im Krieg gegen IS ist eine Voraussetzung dafür, dass dieser Krieg erfolgreich geführt werden kann, weil Iran über genügend Einfluss im Irak verfügt, um die Kriegsführung Bagdads gegen IS zu verstärken oder zu frustrieren.
Verhandlungsabbruch führt zu akuter Frontenbildung
Was gegenwärtig Ambivalenzen sind - Feindschaft gegen Feinde der eigenen Feinde - würde sich im Falle eines Zusammenbruchs der iranischen Verhandlungen wandeln in eine Hauptfront von Iran plus arabische Schiiten und Mitstreiter gegen Amerika, Israel, Saudi Arabien und Golfstaaten. Kampfarena würden zunächst nicht nur wie heute Syrien, sondern auch über Syrien hinaus Libanon, der Irak und Jemen; alle vier potentiell zusammenbrechende Staaten.
Dass auch Iran, falls von Israel und Amerika angegriffen, ein zusammenbrechender Staat werden könnte, ist keineswegs auszuschliessen. Wenn IS eine Folge des Zusammenbruches in Syrien war, muss man annehmen, dass vier mal Syrien viermal IS hervorbringen könnte. Fünf mal syrische Zustände würde mindestens fünfmal IS bedeuten. (Eher mehr, weil Iran ein sehr grosses Land ist und gleich auch noch an Afghanistan und an Pakistan anstösst).
Wie sich die Lage daraufhin im Nahen und im Mittleren Osten weiter entwickelt, würde vermutlich weitgehend davon abhängen, ob und wie die drei antagonistischen Grossmächte, Russland, China, USA, mit ihr umgehen könnten und wollten.