Hand aufs Herz, mit einer Mischung aus Neugier und Befremden haben Sie diesen Kommentar angeklickt. Tragen Sie’s mit Fassung, sein Inhalt hat nichts mit seinem Titel zu tun. Sondern mit dem Phänomen, dass der spontane Kaufentscheid am Kiosk oder eben der Klick im Internet häufig von der Wucht eines Titels abhängt. Nicht nur im Boulevard. Dort weiss man schon seit Langem, dass «Perverses Sexmonster» mit Foto besser ist als «Mutmasslicher Sexualtäter» ohne Bild. Noch besser: «Stoppt das Sexmonster jetzt!»
«Silvia weint um ihre Kinder» mit Fotos der toten Kinder zieht mehr als «Mutter bittet die Presse, sie in Ruhe zu lassen» ohne Foto. Besonders bei Themen, die nicht ganz neu sind, muss unablässig nach Steigerungen gesucht werden. «Paria Putin», «Der Brandstifter» mit Fotomontagen ist besser als «Anmerkungen zum Verhalten der russischen Regierung in der Ukraine-Krise» ohne Foto. Noch besser ist «Stoppt Putin jetzt!» mit einer Fotogalerie von beim Flugzeugabsturz in der Ukraine Umgekommenen. Ist das besser?
Nein, das ist Leichenfledderei. Ohne, dass die Hinterbliebenen um Erlaubnis gefragt wurden, werden die Toten entwürdigt, als ob es ihr letzter Wunsch gewesen wäre, dass der angeblich Verantwortliche für ihren Tod gestoppt wird. Nicht mal der Boulevard – ausserhalb von England – würde sich trauen, die Opfer eines mutmasslichen Täters mit Bild unter Missachtung der Unschuldsvermutung und mit Namensnennung aufs Titelblatt zu klatschen. Das unterscheidet inzwischen die Brüll-Presse von angeblich seriösen Organen.