Herr Manser, die Bauern greifen den Wald an. Sie möchten, dass Wald in Landwirtschaftsfläche verwandelt wird. Unterstützen Sie diese Idee?
Ich würde meinen Job schlecht machen, wenn ich diese Idee generell unterstützen würde.
Meine Aufgabe ist es, das Eidg. Waldgesetz zu vollziehen, und dieses sagt klar, dass der Wald in der Schweiz geschützt ist, und Rodungen grundsätzlich verboten sind. Dies entspricht übrigens dem Willen der Schweizer Bevölkerung, wie wir aus Meinungsumfragen wissen.
Ständig wird geklagt, dass die Landwirtschaft zu viel produziert. Jetzt wollen die Bauern noch mehr Fläche - und dann wohl auch mehr Subventionen. Ist das nicht widersinnig?
Diese Frage betrifft wohl eher die Diskussion um die Versorgungssicherheit in der Schweiz.
Die Bauern argumentieren, dass die Waldfläche in der Schweiz wachse. Da könne man durchaus einen Teil des Waldes roden und zu Landwirtschaftszwecken nutzen. Was sagen Sie zu dieser Argumentation?
Wir gehen mit den Bauern absolut einig, dass dort wo die Waldfläche deutlich zunimmt, diese für Landwirtschaftszwecke gerodet werden können sollte. Dies stellt für die Walderhaltung in der Schweiz kein Problem dar. In diese Richtung geht auch eine parlamentarische Initiative der Umweltkommission des Ständerates, welche wir unterstützen. Allerdings muss man darauf hinweisen, dass die Waldfläche genau darum einwächst, weil die Landwirtschaft aus Rentabilitätsgründen aufgegeben wird. Das heisst, es sind von Seiten der Landwirtschaft auch zusätzliche Anstrengungen nötig, damit auf solchen Grenzertragsflächen effektiv wieder Landwirtschaft betrieben wird.
Wie geht jetzt dieser Streit, Bauern gegen Waldwirtschaft, politisch weiter?
Ich sehe den Vorstoss der Bauern eher als frühzeitigen Positionsbezug für die bevorstehende Revision des Raumplanungsgesetzes denn als einen richtigen Streit. Man darf auch nicht vergessen, dass viele Landwirte auch Waldbesitzer sind.
Geht man im Winter durch unsere Wälder wird geholzt und geholzt und geholzt. Manchmal sieht man fast den Wald nicht mehr. Viele Spaziergänger protestieren dagegen. Was sagen Sie diesen Spaziergängern?
Den Wald nutzen heisst auch Holz schlagen. Holz ist einer der wenigen Rohstoffe in der Schweiz, auf dessen Nutzung wir nicht verzichten sollten. Holz brauchen wir, um Häuser zu bauen, schöne Möbel herzustellen und um den Ofen einzuheizen. Und da Holz bekanntermassen wieder nachwächst, ist die Holznutzung nachhaltig und schont durch die Bindung von CO2 auch unser Klima. In der Schweiz wird in den letzten Jahren regelmässig weniger genutzt als nachwächst, es dürfte also sogar noch "es bitzeli meh" sein.
Sie sprechen die Gesundheit des Waldes an. Ist es nicht so, dass jetzt, wo der Holzpreis hoch ist, die schönsten Bäume geschlagen werden - und wenn der Holzpreis wieder absackt, einem die Gesundheit des Waldes ziemlich egal ist? Dann wird nämlich weniger geholzt.
Man muss zwei Sachen unterscheiden: Die Gesundheit des Waldes ist nicht von der Holznutzung abhängig, sondern von anderen Faktoren wie z.B. erhöhte Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft und dem Verkehr. Die Holznutzung ist wichtig, weil damit die verschiedenen Ansprüche der Menschen erfüllt werden. So benötigt z.B. ein Wald eine regelmässige Bewirtschaftung, damit seine Schutzfunktion aufrecht erhalten bleibt. Dasselbe gilt auch für schön gepflegte Erholungswälder, in welchen sich über 2/3 der Schweizer Bevölkerung regelmässig aufhalten.
Der Mensch hat eine fast emotionale Beziehung zu Bäumen, vor allem zu alten Bäumen. Können Sie verstehen, dass Waldarbeiter ab und zu von Passanten als "Rowdys" oder gar "Baummörder" bezeichnet werden?
Ich verstehe sehr gut, dass es weh tut, wenn schöne alte Bäume gefällt werden; das geht mir zuweilen auch so. Aber um Platz zu machen für junge Bäume, sind solche Eingriffe nötig und sinnvoll. Wir starten noch dieses Jahr eine Kampagne, um den Leuten noch besser zu erklären, warum solche Holzschläge sinnvoll sind. In den letzten Jahren wurde auf lokaler Ebene auch schon viel in diese Richtung unternommen. Wenig Verständnis habe ich für Beschimpfungen der Waldarbeiter - sie machen ihren Job, und sie machen ihn in der Schweiz auf hohem Niveau und mit ausgeprägtem Berufsstolz.
Geholzt wird vor allem in Wäldern rund um die Städte und im Mittelland, weil dort der Abtransport des Holzes günstiger ist. Vernachlässigt man die Wälder in abgelegenen Gebieten?
Die Waldbewirtschaftung in der Schweiz erfolgt nach einer sorgfältigen Planung, welche sich nicht nur an den Kosten ausrichtet, sondern an einer optimalen Funktionserfüllung. Aber es ist in der Tat so, dass in schlecht zugänglichen Gebieten noch eine deutliche Steigerung der Holznutzung möglich und sinnvoll wäre. Es liegt auch ein politischer Vorstoss vor, welcher verlangt, Walderschliessungen wieder mit staatlichen Mitteln zu unterstützen, um die Holznutzung erhöhen zu können.
Früher galt einmal das Prinzip, dass nicht mehr Holz geschlagen werden darf als anwächst. Heute wird doch längst mehr geschlagen.
Dieses Prinzip ist der Grundpfeiler der Nachhaltigkeit, welcher im 18. Jahrhundert von der Forstwirtschaft erfunden wurde, und gilt unverändert. In der Schweiz wird heute immer noch weniger genutzt als nachwächst. Dies hat aber dazu geführt, dass in der Schweiz - verglichen mit Europa - die dunkelsten Wälder mit den höchsten Holzvorräten stehen. Aus diesem Grund kann es durchaus Sinn machen, während einer gewissen Periode mehr zu nutzen und den Vorrrat zu senken. Dies schadet dem Wald überhaupt nicht - im Gegenteil, lichtliebende Tier- und Pflanzenarten können von solchen Eingriffen profitieren.
An wen geht eigentlich der Gewinn aus der Waldwirtschaft?
Die Waldwirtschaft in der Schweiz ist (leider) nicht sehr rentabel - viele Forstbetriebe schreiben rote Zahlen. Für eine optimale Bewirtschaftung der Wälder haben wir aber ein Interesse an einer gesunden Waldwirtschaft. Daher unterstützt der Staat Innovationsbestrebungen finanziell, und es hat in den letzten Jahren auch einige Fortschritte gegeben. Es gibt innovative, moderne Forstbetriebe, welche ihre Aufwände konsequent den Nutzniessern verrechnen und eine effiziente Holzernte betreiben. Diese sorgen denn auch dafür, dass der Gewinn dort hingeht, wo er hingehört - zum Waldeigentümer.
Gibt es genügend Waldreserven - auch dann wenn ein neuer Lothar über uns fegt oder wenn sich der Klimawandel negativ bemerkbar macht?
Die Schweiz hat ja grosse Tradition im Sparen und hat europaweit den höchsten Holzvorrat, zusammen mit einigen deutschen Bundesländern. Das heisst, dass wir in einer guten Ausgangsposition sind, um auch langfristig eine steigende Nachfrage nach dem Rohstoff Holz abzudecken.
Hat der Klimawandel heute schon einen negativen Einfluss auf unsere Wälder? Im Wallis sind in den letzten Jahren aufgrund der verstärkt auftretenden Trockenheit grossflächig Föhren abgestorben. Dasselbe ist nach dem trockenen Sommer 2003 mit Fichten auf gut durchlässigen Böden im Mittelland passiert. Wir sind zur Zeit daran, die komplexen Folgen der Klimaveeränderung auf den Schweizer Wald abzuklären und daraus Empfehlungen für eine zukünftige Waldbewirtschaftung zu formulieren.
Wie steht es um die Biodiversität in unseren Wäldern?
Die Biodiversität hat in den letzten 10 Jahren zugenommen, unter Anderem als Folge des Sturms Lothar, der grosse Lücken in den Wald gerissen und Platz geschaffen hat für lichtliebende Tier- und Pflanzenarten. Ebenfalls positiv wirkt sich die gesetzlich vorgeschriebene naturnahe Bewirtschaftung aus. Trotzdem haben wir noch Defizite - z.B. im Bereich des toten und abgestorbenen Holzes, welches Lebensraum für zahlreiche Insekten und Pilze ist. Zudem sollen noch mehr und vor allem grössere Waldreservate ausgeschieden werden.
Sie möchten, dass zehn Prozent unseres Waldes Waldreservate sind. Was sind Waldreservate?
Waldreservate sind Waldflächen, welche meistens durch einen Vertrag zwischen Öffentlichkeit und Waldeigentümer unter Schutz gestellt und grundbuchlich verankert sind. Die zehn Prozent Waldreservate sind eine Zielsetzung, welche Bund und Kantone 2001 miteinander vereinbart haben und welche 2030 erreicht werden sollte. Diese Zielsetzung muss allerdings mit dem Beschluss der CBD-Konferenz von Oktober 2010, mit welcher sich auch die Schweiz verpflichtet hat, 17% der Landesfläche der Biodiversität zur Verfügung zu stellen, koordiniert werden.
(Das Interview führte hh)