Das Geld ist heute eins der wichtigsten Medien gesellschaftlicher Beziehungen, ja von Beziehungen überhaupt. Es ist beinahe das Mass allen Werts, abstrahiert jedoch von aller Qualität. Darin besteht sein Genie – und sein Irrsinn. So legt es ein süchtiges Denken nahe, welches nur ein Mehr oder Weniger kennt. So wird es, wie jedes Suchtmittel, bald als Fluch, bald als Segen betrachtet, bald als Medium von Abhängigkeit oder von Unabhängigkeit, von Macht oder Ohnmacht und seltener als Medium der Vielfalt möglicher Austauschbeziehungen.
Kassen, Konten und Koffer
Wenn Geld im Film eine Hauptrolle spielt, so tritt, quillt, springt es seinem Publikum oftmals in enormer Menge aus Koffern entgegen – damit wird eine sozusagen exotische, bedrohliche oder begehrte Welt des Reichtums abgebildet, wie sie dem durchschnittlichen Publikum nur im Kino zugänglich ist. Oder dann erscheint das Geld als knappes Gut auf der Leinwand – etwa in Form einiger weniger Münzen, die sich in einer Schatulle noch finden, oder es ist als Fehlendes präsent in leeren Kassen oder auf geplünderten Bankkonten.
Dokumentarfilme zum Geld
Verschiedene neuere Dokumentarfilme hingegen haben ihren Blick auf die Problematik einer auf Quantitäten reduzierten Wahrnehmung des Geldes gelenkt. Drei davon stammen aus dem Jahr 2008 – kaum zufällig: Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte das Wort «Finanzkrise» 2008 zum Wort des Jahres.
Einer dieser Filme ist «L’Encerclement – La démocratie dans les rets du néolibéralisme» (Kanada, Richard Brouillettes). Mit aufeinander bezogenen Interviews mit repräsentativen Befürwortern und Gegnern der neoliberalen Lehre gibt er eine spannende, brilliante, auch bestürzende Geschichte des sogenannten Neoliberalismus.
«Let’s Make Money» (Österreich, Erwin Wagenhofer) arbeitet ebenfalls mit Interviews, und zwar mit Fondsmanagern, Unternehmern und anderen gewinngläubigen Geldmonotheisten, die bemerkenswert unbefangen über ihre Welt berichten, schaut sich dann aber auch die Quellen von deren Reichtum in Afrika oder Indien an – oder in Spanien, wo die damalige bedrohliche Immobilienblase (ein «Zement-Tsunami») die Landschaft grossflächig verwüstet und den umliegenden Bauern das Wasser abgegraben hat.
Der Film-Essay «Grundeinkommen» (von Daniel Häni und Enno Schmidt, Schweiz 2008, ) geht davon aus, dass das Geld nicht ein uns übergeordneter Wert sei, sondern unseren Werthaltungen zu dienen habe. Die Autoren bieten eine intelligente Einführung in die seither politisch reif gewordene Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr... (Lukas 18, 25)
Spielfilme, die dem Quantifizierungsdruck widerstehen und das Geld als Medium auf schlüssige Weise ernstnehmen, sind seltener. Einer davon ist «Il est plus facile pour un chameau...» (Frankreich und Italien 2003). Als dieser Film der sehr begabten, eigenständigen Valeria Bruni-Tedeschi (Regie, Hauptrolle und, zusammen mit Noémie Lvovsky, Drehbuch) auf die Leinwand kam, war er eigentlich zu früh. Die Sensibilität für die psycho-sozialen Bedeutungen und Wirkungen des Geldes waren 2003 noch kein öffentliches Thema. Nur wenige Cineasten mögen ihn seinerzeit gesehen haben; ausser in der Neuen Zürcher Zeitung und der WoZ ist er kaum rezensiert worden. So ist er bis heute wenig beachtet geblieben.
«Il est plus facile…» handelt kritisch, auch selbstkritisch, komisch und traurig, niemals anklagend, vom Leben einer Tochter des Reichtums. Die Protagonistin Federica ist von Haus aus reich und erbt, wie es mit ihrem geliebten Vater zu Ende geht, zusätzlich enorm viel Geld. Dies wirkt sich auf ihre Beziehung zu ihrem Partner Pierre, einem linken Geschichtslehrer und Arbeitersohn, mit dem sie gerne Kinder hätte, katastrophal aus. Federica nimmt Ballettstunden und schreibt gerade ein neues, das eigene Leben widerspiegelndes Theaterstück, welches aber kein Echo findet. Pierre bezeichnet ihre Arbeit als Hobby, der Theaterproduzent lehnt sie als allzu deprimierend ab.
In Rückblenden erzählt der Film von Federicas Kindheit im grossbürgerlichen italienischem Haus, von ihrem älteren Bruder und der kleinen Schwester Bianca und davon, wie die Familie mit den Kindern aus Angst vor der revolutionären Linken auswandern musste.
Die Geschwister sind auf je verschiedene Weise von dem väterlichen Geld überfordert. Federica, das Lieblingskind ihres Vaters, denkt daran, das Erbe auszuschlagen oder viel davon weiterzugeben – oder doch wenigstens die regulären Steuern zu bezahlen. Der Bruder bezeichnet sie deswegen höhnisch als Heilige, die chronisch eifersüchtige, unzufriedene jüngere Bianca (Chiara Mastroianni) aber schreit weinend, sie geniesse nicht die Liebe des Vaters, daher wolle und müsse sie sein Geld haben. Tatsächlich wird im Lauf des Films klar, dass sie wohl nicht das Kind ihres Vaters sei, sondern einer Affäre der Mutter entstamme.
Porträt der späteren Präsidentengattin Carla Bruni
«Il est plus facile pour un chameau...» – der erste eigene Film von Valeria Bruni-Tedeschi (1964) – ist offen autobiographisch inspiriert. Tatsächlich entstammt die Filmerin einer reichen Turiner Industriellenfamilie, die aus Furcht vor den Roten Brigaden 1973 nach Paris emigriert ist. Tatsächlich hat sie einen älteren Bruder gehabt und die jüngere Halbschwester Carla, die spätere Präsidentengattin Bruni-Sarcozy. Ihr kunstsinniger Vater ist 1996 gestorben. Ihre Mutter, Konzertpianistin und Schauspielerin Marisa Borini, spielt im Film der Tochter – der übrigens Federicas erfolglosem Theaterstück gleicht – sich selbst in der Rolle der steinreichen Hüterin einer erstickenden Diskretion.
Ich weiss nicht genauer, inwiefern und inwieweit dieser familiendynamische Salto mortale, der selbstverständlich nicht als Autobiographie oder Dokumentarfilm, sondern als Kunstwerk gelesen werden will, das reale Leben der Filmerin und ihrer Familie wiedergeben.
Gewiss ist, dass ihr Film die Halbschwester Bianca in ihrem erwachsenen Zustand als eine höchst problematische Figur schildert, wiewohl er ihrer verzweifelten Übellaunigkeit tiefes Verständnis entgegenbringt. Es ist denkbar, dass dies für die merkwürdige Stille um diesen sehr berührenden, intelligenten Film mitverantwortlich war und ist.
«Modest Reception» – die Schwierigkeit, Geld zu verschenken
«Modest Reception» (Iran 2012) ist eine Groteske des studierten iranischen Philosophen, Theaterregisseurs und Filmemachers Mani Haghighi. Sie handelt von einem Mann und einer jüngeren Frau, die im Auftrag einer unbekannten Wohltäterin einen Kofferraum voller mit Geldnoten gefüllter Plastiksäcke in den kurdischen Bergen an Arme verteilen sollen. «Modest Reception» – der Name von Bisquits, die einer der Beschenkten dem Paar offeriert – erzählt von der Schwierigkeit, Geld zu verschenken und anzunehmen. «Der Wirt will kein Geld, das er nicht verdient hat, … Immer neue Tricks müssen sie sich einfallen lassen, um das Geld loszuwerden» (Trigon Magazin Nr. 58). Es erweist sich als einfacher, den Leuten etwas abzukaufen als das Geld einfach so wegzugeben. «Es ist wohltätig, was soll daran falsch sein?» – aber deklarierte oder nichtdeklarierte Bedingungen, die an den Transfer geknüpft sein könnten, stimmen die Empfangenden vorsichtig.
«Elena» – Geld als Quelle und Ausdruck von Vereinsamung
«Elena» schliesslich (Russland 2011, Regie Andrei Swjaginzew, Drehbuch Oleg Negin und Andrei Swjaginzew) spielt in Moskau, im neuen Russland, wo, wie der Filmer sagt, ein sozialer Aufstieg sozusagen ausschliesslich mit Geld erreichbar sei. Im übrigen interessiert Swjaginzew das Geld in seiner Funktion bei der Suche der einzelnen Menschen nach ihrem Heil und dem Preis, den sie dafür bezahlen. Er erzählt, wie das Geld die Beziehung und die Beziehungslosigkeit zwischen Schichten, Klassen, Geschlechtern, Generationen mediiert, wie es auch Selbstbild, Selbsterleben und Selbstdarstellung, wie es Verhalten, Entscheidungen, Bewegungen und Körperlichkeit der einzelnen Menschen mitgestaltet.
Elena, die auch nicht mehr junge Protagonistin (Nadezhda Markina), ist mit dem älteren wohlhabenden Vladimir (Andrei Smirnov) verheiratet. Die beiden haben einander zehn Jahre zuvor im Spital kennengelernt, als Elena, gelernte Krankenschwester, ihn anlässlich seiner Blinddarmoperation zu pflegen hatte. Aus früheren Beziehungen existieren Vladimirs Tochter Katja und Elenas Sohn Sergei, beide erwachsen.
Der Alltag des Paars vollzieht sich in einem sehr gepflegten Appartement in feiner Nachbarschaft, wo sie den Haushalt besorgt, während er zum Beispiel ins Fitness geht. Regelmässig jedoch reist sie weit durch die grosse Stadt zu Sergei, der mit seiner Frau Tatjana und seinen Kindern in der ärmlichenVorstadt am Fuss mächtiger Kühltürme lebt. Elena bringt ihren Angehörigen jeweils einen Teil ihrer Pension. Auch Vladimir unterstützt noch immer seine Tochter, eine sehr schöne junge Frau, die ein aufwändiges, ungebundenes Leben führt, an nichts glaubt, sich ihren Vergnügen ergibt und mit dem Vater kaum in Kontakt steht.
Elena wünscht sich, dass Vladimr ihrem Enkel Sascha helfen würde, an die Universität zu kommen; das kostet viel Geld. Vladimir möchte das nicht, er habe Elena geheiratet und nicht ihre Familie, und ihre Jungen sollten selbst für sich sorgen. Er verspricht aber, über eine Unterstützung nachzudenken. Die Welten bleiben also vorderhand getrennt – hier viel Wohnraum für zwei Menschen, dort wenig Platz für vier Menschen, hier leuchtet kalt-blaue Verheissung aus dem geöffneten Kühlschrank, dort wird im trüben Licht nach Bier gesucht. Hier wie dort versucht eine Hausfrau, psycho-sozio-ökonomische Ordnung zu schaffen, dort wie hier gibt es eine Terrasse, von der man herunterspucken kann.
Kritische Frage der Nachkommenschaft
Dann aber kommt Dramatik in den ruhigen Alltag: Vladimir erkrankt schwer und macht sich daran, sein Testament zu schreiben.
So oft brechen – wie auch in Bruni-Tedeschis Film – familiäre Spannungen klar erst hervor, wenn es um das vielfach im Geld repräsentierte Erbe geht.
Nachdem seine Tochter ihn endlich doch einmal besucht hat, entscheidet sich Vladimir, diese als Alleinerbin seines Vermögens einzusetzen und Elena eine monatliche Rente zu vermachen. Damit bricht zwischen den Eheleuten ein Konflikt auf. Beiden geht es dabei um ihre Nachkommen – wie weit sie damit auch sich selber meinen, muss offen bleiben. Eines der letzten Bilder gilt jedenfalls Elenas kleinem krabbelnden Enkelkind.
Andrei Petrowitsch Swjaginzew, der Filmer
Bei aller Dramatik bleibt der Film verhalten. Nach den ihm nächsten Heroen und Heroinen in «Elena» befragt, antwortet der Russe Swjaginzew, für ihn als Regisseur gebe es nur Situationen, die Situationen nämlich, in welchen sich seine Figuren befänden. Deren Entscheidungen seien die cinematographische Sprache, welche deren Verhalten als Filmidee auf die Leinwand bringe. In dieser sei er, der Filmemacher, zugegen.
Tatsächlich ist Swjaginzews filmische Erzählkunst von hinreissender Qualität. Bis ins Detail sind Schärfen, Ausschnitte, Szenenlängen, Dekorationen, Montage, geplant und bewusst eingesetzt, und gerade weil dies unauffällig bleibt, tut es seine Wirkung auf das Publikum. Gelegentlich sind die Bilder von der exquisiten Musik von Philip Glass begleitet. Eine glückliche Hand hat der Filmer auch in der Wahl seiner Darstellerinnen und Darsteller.
1964 in Sibirien geboren, hat Andrei Swjaginzew dort sein Schauspielstudium abgeschlossen und lebt seit 1986 in Moskau, wo er sich bis 1990 an der Russischen Akademie für Theaterkunst weiterbildete. Nach Abschluss seines Schauspielstudiums arbeitete er beim Fernsehen. Mit seinem ersten Kinofilm «The Return» hat er sich an den Filmfestspielen 2003 von Venedig gleich den wohlverdienten Goldenen Löwen geholt.