Abdel Hakim Belhadj ist ein aufsteigender Stern am Polithimmel Libyens. Er ist einer der wenigen libyschen Kämpfer, der über militärische Erfahrung verfügt, und er wusste sie anzuwenden, um zuerst nach dem Ausbruch der libyschen Revolution die Ausbildung von Freiwilligen im Jebel Nufus an der tunesischen Grenze zu übernehmen, dann deren Führung. Es war eine Truppe von 8000 Mann, sie zog Richtung Tripolis. Er leitete und gewann den Kampf gegen die Aziziya Kaserne, die Hochburg Ghadhafis in Tipolis, und er ist heute der Militärkommandant der Hauptstadt.
Belhadj hat den bisherigen Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Jalil, auf seiner Reise nach Qatar begleitet, wo dieser militärische und finanzielle Hilfe erhielt. Dies wurde als ein Zeichen dafür interpretiert, dass Abdel Jalil ihm traue. Als der Vorsitzende am 21. Oktober die Pressekonferenz abhielt, auf der er das Ende des Krieges in Libyen proklamierte, stand Belhadj im Kampfanzug neben der Tribüne, von der aus Abdel Jalil sprach, gewiss um zu markieren, dass er mit zu den entscheidenden Verantwortlichen des Augenblickes gehört.
Ein islamistischer Kämpfer gegen Ghadhafi
Belhadj, heute 45, in Libyen ausgebildeter Ingenieur, hat eine höchst bemerkenswerte Laufbahn hinter sich. Er war zweimal in Afghanistan, zuerst, um gegen die Russen zu kämpfen, Freund und Verbündeter der Amerikaner, dann kehrte er nach Libyen zurück und gründete dort im Untergrund mit Gefährten die Libysche Islamische Kampfgruppe(LIFG für Libyan Islamic Fighting Group), die von 1992 bis 1994 in der Cyrenaika aktiv war. 1994 hatte sie dreimal vergeblich versucht, Ghadhafi zu ermorden. 1998 hatte der Diktator sie endgültig niedergekämpft.
Belhadj entkam nach Tschad, Mali, Sudan und landete nochmals in Afghanistan, wo inzwischen die Taleban an die Macht gelangt waren. Er traf ein zweites Mal mit Ben Laden zusammen, doch habe er und die Seinen nie mit ihm zusammengearbeitet. "Er war damals ein sehr berühmter Mann. - Ich erklärte ihm, Gott habe uns nicht befohlen, jedermann überall anzugreifen", sagt Belhadj heute. "Wir wollten Libyen befreien, nicht die ganze Welt bekriegen. Ghadhafi hasste den Westen, nicht ich!"
Die Terrorismusfachleute bestätigen, die LIFG seien in verschiedene Ausrichtungen gespalten gewesen. Belhadj habe zu jener gehört, die Ben Laden und seinen weltweiten Jihad kritisierten.
Auf der Terrorliste der USA
Als Ghadhafi in den Jahren zwischen 1999 und 2002 mit den USA Versöhnung feierte, seine Pläne und Vorarbeiten für eine Atombombe auslieferte und Kompensation für Lockerbie zahlte, setzten die Amerikaner im Gegenzug die LIFG auf ihre Liste der Terrororganisationen. Dadurch wurde Belhadj ein gejagter Mann, dem die CIA und MI6 der Engländer nachspürten.
Aus derzeit in Tripolis aufgefundenen Dokumenten, die er den Journalisten vorgelegt hat, geht hervor, dass Belhadj und seine damals schwangere Frau, die sich im Fernen Osten aufhielten, in Grossbritannien um Asyl nachsuchten. Die Geheimdienstleute schienen ihm dieses zugesagt zu haben. Sie gaben ihm sogar eine neue Identität als Marokkaner mit dem entsprechenden Pass und versichertem ihm, er werde in London aufgenommen werden.
Doch er wurde auf seinem Flug in Kuala Lumpur verhaftet und zur CIA nach Bangkok gebracht. Dort, so sagt er, durchaus glaubhaft, wurde er gefoltert, verhört und schliesslich nach Libyen verbracht, um dort im Gefängnis von Abu Salim erneut regelmässig einmal pro Woche gefoltert zu werden und über ein Jahr in einer Einzelzelle zu verbringen. Die Folterverhöre verliefen, so versichert er, im Beisein und unter Mitwirkung von Beamten der CIA und von MIS.
Aus in Tripolis aufgefundenen Dokumenten geht auch hervor, dass die freundschaftliche Zusammenarbeit der CIA- und MI6-Geheimdienstler mit den Diensten Ghadhafis bis zum Beginn der Libyschen Revolution im vergangenen Februar andauerte.
De-Radikalisierungsaktion von Saif ul-Islam
Belhaj wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt und verblieb weitere fünf Jahre in Einzelhaft. Im Jahr 2006 begann Saif ul-Islam, der zweite Sohn Ghadhafis, Verhandlungen über einen "Waffenstillstand" mit den Islamisten. Sie zogen sich über vier Jahre hin und umfassten eine Art von Umerziehung, "de-radicalisation" genannt, der "irregeführten" Islamisten. Im Verlauf dieser Aktionen wurden 2008 80 islamistische Gefangene freigelasen und im Jahr 2010 weitere 200. In dieser zweiten Gruppe befand sich auch Belhadj mit 33 seiner Gefährten aus der LIFG. Damals erklärte er: "Ich bin ein anderer Mensch geworden!" Doch als der Aufstand in Benghazi ausbrach, war er von Anfang an involviert in die Kämpfe, die sich zwischen den Demonstranten und bald darauf Aufständischen einerseits und den Ordnungskräften in Benghazi abspielten.
“Politically correct“ oder überzeugt?
Seither sagt er immer genau das, was man von einem demokratisch denkenden Muslim erwarten würde. Er sei gegen jede Gewalt in religiösen Belangen. Die Muslime müssten selbst und persönlich über Glaubensfragen entscheiden, ohne Zwang auf andere auszuüben. Er verweist sogar auf ein Buch, das seine Gruppierung im Gefängnis von Abu Salim verfasst habe und das ihr neues Islam-Verständnis begründe. Es heisst "Corrective Studies", soll 400 Seiten umfassen und demnächst publiziert werden. Der berühmte Prediger und Theologe Qaradawi, der sich für die ägyptische Revolution eingesetzt hat, soll es begutachtet und gebilligt haben.
Belhaj sagt, gegenüber den Amerikanern und den Engländern empfinde er keinerlei Ressentiments. Allerdings, falls es eine rechtliche Gelegenheit dazu geben sollte, seine Folterer von der CIA und MIS vor einen Richter zu bringen, würde er dies gerne tun.
Tripolis vor einer neuen Regierungsbildung
Von dem gegenwärtigen Vorsitzenden des Übergangsrates Abdel Jalil, wird erwartet, dass er zurücktreten werde, sobald die neue Übergangsregierung gebildet ist über welche gegenwärtig, nach der offiziellen "Befreiung" Libyens verhandelt wird. Gelegentlich hat er angetönt, der Übergangsrat besitze nicht sehr viel Macht, die Chefs der Kampfgruppen besässen mehr. Von diesen Kampfgruppenchefs ist Belhadj einer der wichtigsten und wohl auch der erfahrensten. Was erwarten lässt, dass er in Zukunft in der Führung des Landes mitwirken wird, vielleicht als der Chef seiner neuen Armee.
Karrierist?
Wenn er in zentrale politische oder militärische Positionen aufrücken sollte, wird sich zeigen, wie weit er heute zu jenen Islamisten gehört, die ihr altes Credo revidiert haben. Ebenso wird sich zeigen, ob er wirklich an eine demokratische Zukunft glaubt und mitarbeiten will, um sie zu erreichen. Odeer ob er sich nur "taktisch richtig" verhält und das sagt, was er sagen muss, um weiter Karriere zu machen. Man sollte jedenfalls seine Laufbahn weiter verfolgen.