Ein gigantischer Bau wie das New Yorker World Trade Center in sich zusammengestürzt? Ein Koloss aus Stahl, Glas und Stein gefallen wegen eines Terrorangriffs, den ein paar religiöse Fanatiker in den Bergen des Hindukusch ausgeheckt hatten?
Der Schock war weltweit gross. Alle wurden wir von der Gewalt der Tatsachen überrumpelt und fragten uns: Was soll das? Was bedeutet das?
Riesiger Erfolg für wenige Fanatiker
Mittlerweile wissen wir viel, kennen die Attentäter, die Hintermänner. Die Geschichte der Vorbereitung ist uns in Umrissen gegenwärtig. Al Kaida und Osama bin Laden sind zu geläufigen Begriffen geworden, die amerikanischen Truppen marschierten auf der Suche nach den Ausbildungslagern für Terroristen in Afghanistan ein und stehen immer noch dort, und noch immer – oder erst recht - fragen wir uns: was hat das Ganze wirklich zu bedeuten?
Wenige Fanatiker waren in der Lage, eine bis an die Zähne bewaffnete Grossmacht – militärisch tausendfach überlegen – frontal anzugreifen und – gemessen am Aufwand und am verursachten Schaden – einen riesigen Erfolg für sich zu buchen. Es war der für alle sichtbare Eintritt ins Zeitalter der asymmetrischen Kriege, und gleichzeitig der Abschied vom bisherigen Krieg, in dem sich seit Jahrhunderten immer etwa vergleichbare – oder eben symmetrische – Gegner bekämpft hatten.
Pax Americana
Aber der Kalte Krieg hatte diese Grosskriege ad absurdum geführt: Zerstörungspotenziale mit tausenden von Nuklearwaffen in Ost und West führten zu einem Gleichgewicht des Schreckens. Beide Seiten hatten im Falle eines Krieges die Selbstzerstörung zu fürchten und mussten deshalb ängstlich vermeiden, auch nur den Anschein eines Angriffs zu erwecken. Während das riesige konventionelle Militärpotenzial der Sowjetunion und des Warschauer Paktes nach der Auflösung der Sowjetunion verrottete, konnten die USA ihre Macht bereits 1991 gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein erfolgreich einsetzen und die Besetzung Kuwaits verhindern.
Doch das war nur noch ein ordnungspolizeilicher Einsatz im Auftrag der UNO. Die weltweite riesige Überlegenheit der amerikanischen Machtwalze wurde so eindrücklich demonstriert, dass seither kein Staat mehr es gewagt hat, in eine kriegsähnliche Kontroverse gegen die USA einzutreten. Von einer unipolaren Weltordnung, von der Pax Americana - einem Weltfrieden von Amerikas Gnaden - , sogar vom Ende der Geschichte nach dem vermeintlichen Sieg über das Böse wurde gesprochen.
Doch mit 9/11 begann das neue Zeitalter der asymmetrischen Auseinandersetzungen, der David-gegen-Goliath Kriege. Der Mythos von Amerikas Unangreifbarkeit stürzte ein. Was der Politologe Samuel Huntington 1994 angekündigt hatte: dass ein Zeitalter der Kulturkriege beginnen würde, vor allem ein Zeitalter der religiös motivierten Zusammenstösse zwischen islamischen und westlichen Teilen der Welt, schien mit 9/11 und dem Attentat auf die Zentren der amerikanischen Macht Wirklichkeit geworden zu sein.
Nicht "der Islam" griff den Westen an
Dank einer riesigen weltweiten Medienpräsenz, dank der Verwendung eines vollgetankten Flugzeuges als Bombe, dank der radikalen Rücksichtslosigkeit gegenüber tausenden von völlig unbeteiligten Opfern und dank einer ganzen Reihe von weiteren unerhörten Tabu-Brüchen gelang es den Al Kaida Terroristen, die USA in ihrem Grossmachtbewusstsein tief zu erschüttern und in neue, asymmetrische Kriege hinein zu locken, aus denen sich die Riesenmacht USA bis heute weder befreien noch schadlos zurückziehen konnte.
Zweifellos hatte Huntington mit seinen Kulturkriegen nicht Recht: es war keineswegs „der Islam“, der „den Westen“ frontal angreifen wollte, sondern es war (und ist) eine sehr kleine Minderheit radikaler Islamisten, die derart unversöhnlich „den Westen“, und insbesondere die USA, bekämpft.
Aber zwei Dinge markieren eine Zeitenwende zugunsten der Wirkung derartiger Gruppen. Erstens ist die Kampfform des Selbstmordattentates vor allem unter jugendlichen Fundamentalisten zu einer populären Form eines idealisierten Heldentums geworden, die sich mit dem religiösen Radikalismus (nicht nur im Islam) gut verbindet.
Und zweitens stehen heute auch kleinen Gruppierungen von Verschwörern technische Möglichkeiten mit einer gewaltigen Zerstörungswirkung zur Verfügung, mit denen in einer höchst verletzlichen – weil hoch technisierten – und durch Medien sofort global alarmierten Welt ein ungeheurer Aufruhr gestiftet werden kann.
Nicht dass die reale Macht Amerikas durch 9/11 real erschüttert worden wäre. Aber die panische Reaktion der Führung – der Präsident wurde sofort an einen sicheren Ort auf einem Luftwaffenstützpunkt in Nebraska verbracht – zeigte die Desorientierung, die die kleine Gruppe der Terroristen im Zentrum der grössten Weltmacht hatte auslösen können. Weder traditionelle militärische Macht noch geographische Distanz versprachen mehr Schutz und Sicherheit.
DieTaliban, zu neuen Kräften erwacht
Überall war Schlachtfeld in diesem unerklärten neuen Krieg, dessen eine Partei völlig aus dem Dunkeln operierte. Es ist ein Gegner, den man weder verhaften noch bestrafen, weder verfolgen noch besetzen kann. Zwar konnten die Schutzherren der Al Kaida, die Taliban in Afghanistan, die Ausbildungslager für Terroristen auf ihrem Territorium geduldet hatten, innerhalb von wenigen Wochen vertrieben und die Ausbildungslager zerstört werden.
Aber der Triumph war von kurzer Dauer. Noch immer ist Osama bin Laden an unbekanntem Ort in Freiheit, geschützt von einer genügend grossen Zahl von Anhängern, dass er allen Anstrengungen der USA zum Trotz nicht auffindbar ist in den schwer zugänglichen Gebirgen und Tälern zwischen Afghanistan und Pakistan. Und noch immer kämpfen US- und NATO-Soldaten in Afghanistan gegen die zu neuen Kräften erwachten Taliban.
Der Krieg ist ein Proteus, sagte schon Clausewitz, er erscheint in ständig neuen, immer wieder unerwartet anderen Gestalten. Die Siegessicherheit dank militärisch-materieller Übermacht, die mit so ungeheuren Blutopfern noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg gesucht wurde, ist kein Rezept mehr für Sicherheit oder für den Sieg in einer Auseinandersetzung mit völlig anders agierenden Gegnern. 9/11 hat uns diese Zeitenwende bewusst gemacht.
Am Horizont der Zukunft steht sogar die Möglichkeit des Hyperterrorismus: der unerkannt aus dem Untergrund operierenden kleinen Terroristengruppe, die sich in den Besitz von Massenvernichtungsmitteln gesetzt hat und mit diesen unsere offenen Gesellschaften und demokratischen Staaten zerstören will. Dass von nun an Sicherheitspolitik viel umfassender als klassisch militärisch überlegt und geplant werden muss, liegt auf der Hand.