Hätte dies jemand vor einem Monat vorausgesagt, wäre er für verrückt erklärt worden. Das Paradoxe ist: Die direkte Demokratie hat die SVP in ihrem Bestreben, den Grundrechtsschutz noch weiter zu killen und die Secondos auszugrenzen, obgleich sie gerade diese zu Ungunsten der politischen Institutionen und der Judikative zu stärken trachtete, blamiert. Mit dem hat die Partei, für die gilt, das Volk hat immer Recht, so nie gerechnet. Das war eine Wende, die sich durch die ganze Schweiz zieht. Grossstädte, die Agglomeration und grosse Teile des Landes stimmten in unterschiedlicher Höhe mehrheitlich gleichermassen Nein. Angesichts von nur 4 1/2 zustimmenden Kantonen kann diesmal nicht im Ernst von einer Spaltung des Landes gesprochen werden. Die fand im Gegenteil an der Urne gerade nicht statt, was überrascht.
Bislang galt die Kombination zwischen Strafrechtsverschärfung und Ausländerausgrenzung als sichere Waffe für die SVP, eine Volksabstimmung zu gewinnen. Und es galt die These der Meinungsforscher, je höher die Stimmbeteiligung, desto eher profitiert die SVP davon. Beides ist diesmal eindrücklich widerlegt worden. Wenn Roger Köppel nun von einem Aufstand der Elite spricht, er der bei der Wirtschaftselite fast wöchentlich einschleimt, wie es nur geht, ist das infantil und die Aussage eines besonders originell sein wollenden Hohlkopfes. Denn der Anti-classe-politique-Effekt, auf den die SVP setzte, hat abseits ihrer Reihen fast nicht stattgefunden. Vielleicht sollte man Roger Köppel künftig schlichtweg einfach ein My weniger ernst nehmen, dies gewissermassen ein Tipp an Medienschaffende.
Nicht voraussehbare Eigendynamik
Es ist ja nun nicht so, dass wir auf ein Abstimmungswochenende zurückblicken, in welchem Links-Grün als eindeutiger Sieger hervorging. Dazu schmerzt die unerwartet deutliche Zustimmung zur Gotthardröhre zu sehr. Dass der Mitnahmeeffekt ausblieb und die überdurchschnittlich gute Mobilisierung von Rot-Grün in den Städten nicht zu einem Nein oder mindestens einem knapperen Ergebnis führte, muss noch genauer untersucht werden. Jedenfalls gelang es nicht, in der Agglo auch bürgerliche Wählerinnen und Wähler gegen das unsinnige Vorhaben zu mobilisieren, was der Zweitwohnungsinitiative damals zum Sieg verhalf. Damit hat der Alpenschutz erstmals eine derbe Niederlage erlitten, die auch damit zu tun hatte, dass es sichtlich nicht gelang, der Rhetorik von Doris Leuthard etwas entgegen zu setzen.
Die Durchsetzungsinitiative hat aber zu einer Sondermobilisierung geführt, die es bislang in dieser Form noch nie gab. Es war nicht mehr die von Parteiexponenten künstlich beschworene Koalition der Vernunft, die immer etwas Lächerliches an sich hatte und nie aufging. Vielmehr erlebten wir eine aus verschiedenen Ecken sich autopoietisch formierende Gesamtkampagne mit je eigener Argumentation, die so nicht von Anfang an geplant war und die eine Eigendynamik erreichte, die so nicht voraussehbar oder steuerbar war. Darin lag auch auch der grosse Unterschied zur Masseneinwanderungskampagne von vor zwei Jahren, bei der sich fast alle einem Einheitsdiktat von Economiesuisse unterordneten, ein Diktat, das nicht verfing.
Zugeständnisse an die SVP zahlen sich nicht aus
Zwei Momente zu Beginn der Kampagne waren initial wichtig und bewegungsmotivierend. Es war zum einen der schon Ende letztes Jahr erfolgte Aufruf praktisch aller Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier. Und es gilt vor allem für die verschiedenen Aufrufe und Verlautbarungen einer immer grösseren Zahl von Rechtsprofessorinnen und -professoren, der Richterschaft aller Stufen, der sich auch eine beachtliche Zahl von SVP-Angehörigen anschloss und am Schluss auch der Staatsanwaltschaften. Diese Initialzündung löste eine zusätzliche Eigendynamik vor allem von unten aus, aber nicht nur in den sozialen Medien, die auch zu einer Rekordmobilisierung an die Urnen führte. Dabei standen mit je unterschiedlichen Argumentationssträngen die drei Schwerpunkte des gefährdeten Gleichgewichts zwischen den politischen Institutionen, der Justiz und der direkten Demokratie, die bedrohte Einzelfallgerechtigkeit und die Ausgrenzung der Secondos und der damit drohenden Zweiklassengesellschaft im Fokus. Zwei Meldungen in den gestrigen Sonntagszeitungen, die nichts miteinander zu tun haben, illustrierten diese Dynamik. Die SP will als Partei, um ihre Kampagnefähigkeit und ihren Apparat zu stärken, nun doch auf CS-Spenden zurückgreifen, derweil über soziale Medien innert kurzer Zeit gegen die DSI 1 Million Franken an Spenden mobilisiert wurden.
Allerdings muss der Realität ins Auge geblickt werden: mit dem indirekten Gegenvorschlag tritt ein Gesetz in Kraft, das auch klar weiter geht als die Ausschaffungsinitiative. Es enthält einen Sozialmissbrauchsstrafartikel, der so extensiv, wie er formuliert ist, völlig aus dem Rahmen des Strafgesetzes fällt. Secondos werden auch durch ihn reichlich ausgegrenzt, allerdings nicht im gleichen Ausmass. Verankert ist eine Härtefallklausel. Rückblickend muss die Frage an die CVP- und FDP-Fraktion gestellt werden, ob die Überdehnung gegenüber der Ausschaffungsinitiative nötig war. Ich bestreite, dass sie für das Nein eine ins Gewicht fallende Rolle spielte. Als Lehre für die Zukunft muss deshalb gelten, dass sich Zugeständnisse an die SVP nicht auszahlen. Ist die Gegnerschaft entschlossen dagegenzuhalten, ist die SVP chancenlos.
Die Täterschutzkampagne verfing nicht
Hätte diese Mobilisierung schon bei der Ausschaffungsinitiative 2009 erreicht werden können? Ich bleibe bei meiner damals formulierten Ansicht: Nein. Denn mit dem Gegenvorschlag war der Weg zum Ja geebnet, weil die Gegnerschaft gespalten war. Der Gegenvorschlag hat der SVP damals den Durchbruch gesichert. Der ist nun dornenvoll gestoppt.
Die Härtefallklausel wird nun zur Herausforderung für die Gerichte. Ich setze weiterhin darauf, dass sie als Verhältnismässigkeitsklausel und nicht als Ausnahmeklausel ausgelegt wird. Damit wird sich entscheiden, wie weit der Automatismus des Gegenvorschlages geht, der für die SVP im Vordergrund steht. Mit Täterschutz hat sie rein gar nichts zu tun, zumal die Täter ja ohnehin bestraft werden. Es ist aber genau diese Täterschutzkampagne, die diesmal nicht verfing.
Keine Mehrheit für die staatspolitischen SVP-Vorstellungen
Die Mobilisierung gegen die DSI kann wegweisend sein. Nicht für herkömmliche Vorlagen, bei welchen sich Linksgrün und Bürgerblock gegenüberstehen. Da kommt es weiterhin auf die „schmürzeligen“ Parteien und die Verbände an. Aber für die bereits eingereichten Initiativen zur Abschaffung des Vorrangs des Völkerrechts und der Asylvorhaben der SVP ist eine Wiederholung durchaus vorstellbar. Denn für die staatspolitischen Pläne der SVP findet sich keine Mehrheit im Volk, es kommt nun darauf an, diese gegen sie zu mobilisieren.