In unmittelbarer Nähe des Bahnhofes Lausanne entstand «Plateforme 10», ein Areal für drei Museen, die vorher räumlich getrennt waren. Die zwei markanten Neubauten und der von ihnen eingefasste Platz sind eine Visitenkarte für Lausanne.
Fünfzehn Jahre dauerte die Planung von «Plateforme 10», einem rund 25’000 Quadratmeter grossen Grundstück, das für die Zusammenführung der drei Museen MCBA (musée cantonal des beaux-arts), Photo Elysées und MUDAC (musée cantonal de design et d’arts appliqués) ausgewählt wurde. Bis anhin wurde das Gelände, für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, von den SBB für ihr Lokomotivdepot genutzt, wofür grossflächige Hallen zur Verfügung standen.
2011 wurde ein erster Wettbewerb für den Neubau des MCAB ausgeschrieben, der vom Büro Barozzi Veiga in Barcelona gewonnen wurde. Nachdem der Baukredit 2014 bewilligt wurde, konnte 2016 der Grundstein gelegt werden. Seit Oktober 2019 ist das Kunstmuseum für das Publikum geöffnet.
Der Wettbewerb für den zweiten Bau erfolgte 2015 und wurde von den portugiesischen Brüdern Manuel und Franciso Aires Mateus für sich entschieden. Dieser Komplex konnte soeben vollendet werden. Noch fehlt die Platzgestaltung, bei der zusätzliche Bäume vorgesehen sind mit der Bedingung, dass Veranstaltungen im Freien, etwa Open-Air-Kino und dergleichen, möglich sind. Der Name «Plateforme 10» knüpft an die Nummerierung der neun Bahnsteige an und soll andeuten, dass das Kunst- und Kulturquartier als eine Erweiterung der Bahnhofanlage verstanden werden soll.
Das MCBA in einem langen Riegel
Es scheint, dass Brachen entlang von Gleisen für grössere Projekte attraktiv geworden sind. An dieser Stelle wurden bereits die Europaallee neben dem Hauptbahnhof Zürich und das neue Quartier am Bahnhof Rotkreuz vorgestellt. Man könnte zusätzlich den neuen Hauptsitz der SBB entlang der Schienen am Bahnhof Wankdorf Bern oder die derzeit wachsende Überbauung beim Bahnhof Luzern erwähnen.
Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga schirmten den neu gewonnenen öffentlichen Platz mit einem gewaltigen, 145 m langen, mit hellgrauen Klinkersteinen umhüllten Riegel ab, der zu den Schienen mit Ausnahme eines historischen Reliktes ungegliedert ist. Er wirkt wie eine gewaltige Stadtmauer, die – obwohl auf den ersten Blick nüchtern – das mit Gleisen, Fahrleitungen und Brüstungen überstellte Bahntrassee optisch beruhigt. In der Mitte ragt ein Relikt der ehemaligen, mit einem Satteldach versehenen zentralen Werkhalle heraus, eine Hommage an die Industriekultur und an die Vorgängerbauten. An der Stirnwand zum Bahnhof ist die Silhouette eines der Schiffe der ehemaligen Werkstätte nachgezeichnet.
Gleichzeitig erkennt man, dass die Freilegung des Platzes dadurch kompensiert wurde, dass der Riegel auf 22 Meter und somit um das Doppelte erhöht wurde. Die Fassade zum Platz besteht aus einer regelmässigen Abfolge von lamellenartigen Vertikalen, zwischen denen einzelne Fenster verborgen sind. Das verleiht dem Bau etwas Klassizistisches; eine riesige Tempelfront, die durch Blendpilaster strukturiert ist. Wie eine herausgezogene Schublade zeigt ein in Sichtbeton gegossener Vorbau den Haupteingang an.
Nachdem die Schwelle überschritten ist, befindet man sich in einer hohen und erstaunlich engen Halle, die von einem grossen Halbrundfenster und über das verglaste Dach belichtet wird. Im Erdgeschoss sind Büroräumlichkeiten, ein Restaurant und eine Bibliothek untergebracht. Zwei Treppenschächte geleiten zu den Ausstellungsräumlichkeiten im dritten Geschoss, die von den Kuratoren und Kuratorinnen frei bespielt werden können.
Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga, jener italienischer, dieser spanischer Herkunft, betreiben seit 2004 ihr Büro in Barcelona und konnten seither bedeutende internationale Preise einheimsen, so etwa 2015 den Mies-van-der-Rohe-Award der europäischen Union für zeitgenössische Architektur. Nebst Lausanne dürfte die 2014 vollendete Philharmonie in Szczecin (Stettin), Polen, das bekannteste Werk des Büros sein, ein Gebilde aus gebündelten, kristallinen Körpern, die als Ganzes die nach dem Krieg nur teilweise wiederaufgebaute und triste Altstadt entscheidend aufwertet.
In der Schweiz wurden sie durch den 2016 errichteten monolithartigen Erweiterungsbau des Kunstmuseums Chur bekannt. Das MCBA in Lausanne beeindruckt zweifelsohne, und doch kann man sich fragen, ob die Monumentalität der Platzfassade nicht zu viel des Guten ist. Der Auftritt des Museums erinnert an den Chipperfieldbau in Zürich, aber auch an die Prachtsbauten des 19. Jahrhunderts, sodass man geneigt sein könnte, das neue MCBA als ein insgesamt «konservatives» Bauwerk zu werten.
MUDAC und Photo Elysée als Schlussstein
Formal fügt sich der Kubus der Gebrüder Aires Mateus, der sowohl das MUDAC wie das Photo Elysée beherbergt, als Fluchtpunkt bestens in die Gesamtkomposition ein. Er bietet sogar die grössere Ausstellungsfläche an als das MCBA, und doch trumpft er nicht auf dieselbe Weise auf. Das hat damit zu tun, dass ein Grossteil des Volumens vom Platz aus nicht erkennbar ist. Zu sehen ist vorerst lediglich ein über einem quadratischen Grundriss errichteter Block, der die Eingangshalle und das über das Dach belichtete Obergeschoss für das MUDAC umschliesst. Ein unregelmässiges, durchgehendes Fensterband lässt den oberen Teil des in hellem Sichtbeton ausgeführten Körpers schweben.
Erst in der Nähe des Eingangs erfasst man durch einen vertieften offenen Hof das Untergeschoss, das diesen Bereich mit einem auf der Rückseite sichtbaren und durch eine Lücke vom Hauptblock getrennten Trakt verbindet. Das Innere enthüllt für die Besucherinnen und Besucher drei ganz unterschiedliche Ebenen. Im Untergeschoss ist das Photomuseum eingerichtet; es ist abgedunkelt, und die technischen Leitungen der Decke sind sichtbar, jedoch schwarz bemalt. Die Eingangshalle überrascht mit einer verschwenderischen Raumfülle. Prismatisch werden die Wände und die Decke aufgebrochen; es bieten sich kubistisch anmutende Bilder an. Das Obergeschoss erlaubt als stützenloser Raum den Ausstellungsmacherinnen grösstmögliche Freiheiten.
An und für sich ist die architektonische Sprache der bis anhin realisierten Werke der Gebrüder Aires Mateus mit derjenigen von Barozzi und Veiga verwandt, und gleichwohl treiben die portugiesischen Architekten ihre Bauten zu einer nicht mehr zu überbietenden Reinheit und Klarheit. In Tournai fügten sie 2017 für die neue Architekturfakultät einen auf einer Seite hermetisch geschlossenen weissen Block, aus dem die Form eines Kristalls für den Durchgang herausgelöst wurde, in die historische Bausubstanz ein. Der Kontrast zu den Backsteinbauten könnte nicht grösser sein, und gleichwohl empfindet man die überraschende Lösung in diesem Kontext als geradezu zwingend.
Das trifft auch auf Lausanne zu. Wer weiss, wie sich die Fassade des MCBA dargeboten hätte, hätten die Gebrüder Aires Mateus nicht diesen hellen Kubus gesetzt, der die Lamellen des Barozzi-Veiga-Riegels auf der einen und die Arkaden auf der anderen Seite auffängt und erdet. Damit erhielt der riesige Platz mit den Relikten der Gleisanlagen sowie der stilisierten CE 6/8 Krokodil-Lokomotive von Olivier Mosset vor dem MCBA die bestmögliche Kulisse. Noch ist der Zugang eine Baustelle, doch nach Abschluss der Arbeiten dürfte dieser Platz zu einem neuen Begegnungszentrum werden. Projektideen für Anlässe sind vorhanden und wurden in der Einladung zur ersten Begehung schon formuliert.
Die Eröffnungsausstellungen
Mit einer Parforceleistung sondergleichen sind in allen drei Museen Ausstellungen zum Thema «Zug» zu sehen. Das eröffnet ganz neue Wege im Ausstellungsbetrieb, können doch dank der Nachbarschaft der Stätten für Kunst, Fotografie und Design Synergien entstehen mit spannenden Querbezügen über die Gattungsgrenzen hinweg. Es wäre für Lausanne zumindest eine grosse Chance beim Versuch, innerhalb der internationalen Museumslandschaft einen besonderen Platz zu ergattern. Das setzt aber eine Zusammenarbeit aller Kuratoren und Kuratorinnen voraus, was im allgemeinen Museumsbetrieb allerdings noch geübt werden muss.