Die Huthis haben die Stadtbevölkerung zu Demonstrationen aufgerufen, die sie aufrecht erhalten wollen, bis die gegenwärtige Regierung zu Fall kommt und bis die im Juli angeordneten Erhöhungen des Benzinpreises wieder gestrichen werden.
Ein besonderer Zweig des Schiismus
Wer sind die Huthis ? Sie selbst nennen sich nicht Huthis sondern "Gläubige Jugend". Ursprünglich waren sie eine religiöse Bewegung auf der Grundlage des zaiditischen Zweiges des Schiismus, der seit Jahrhunderten in den Bergen Nordjemens heimisch ist und oft von Sanaa aus Jemen regiert hat.
Die Zaiditen haben im Gegensatz zu den 12er Schiiten, die in Iran die Macht ausüben, Imame (legitime Leiter der muslimischen Gemeinschaft) bis in die heutige Zeit. Nach dem Glauben der 12er Schiiten ist der 12. Imam im Jahre 897 in die Occultation eingegangen und wird erst am Ende der Zeiten wiederkehren.
Die Zaiditen glauben nicht an die Occultation. Nach ihrer Theologie kann ein jeder Nachkomme der Fatima (Tochter des Propheten und Gemahlin Alis) Imam werden, wenn er zwei Bedingungen erfüllt. Er muss die nötige (theologische) Gelehrsamkeit besitzen und bereit sein, die "Gläubigen gegen die Unterdrücker aufzurufen". Die Huthis sehen als solche Israel und Amerika - wie man von ihren Bannern ablesen kann.
Wiederbelebung des Zaidismus?
Der letzte zaiditische Imam, al-Badr, ist 1962 unmittelbar nach seinem Regierungsantritt durch die jemenitische Revolution gestürzt worden. Seine Anhänger verloren den darauf folgenden jemenitischen Bürgerkieg, der von 1962 bis 1970 dauerte, und al-Badr lebte seither im Exil, zuerst in Saudi Arabien und später in England, wo er 1996 gestorben ist.
Huthi ist der Familienname des führenden Klans der Bewegung. Sie wurde von Hussein Badr ad-Din al-Huthi ins Leben gerufen. Dieser wurde, wie viele andere Führungsfiguren der Bewegung, von der jemenitischen Armee 2004 erschossen. Heute gilt einer seiner Brüder, Abdel Karim al-Huthi, als der Leiter der Bewegung. Die Bewegung begann in 1994 in einem Dorf bei Saada. Seit 2004 steht sie im Krieg mit dem jemenitischen Staat. Sie anerkennt diesen nicht als legitimen Staat, weil er aus der Revolution gegen den zaiditischen Imam hervorging.
Der Dauerkrieg, der oftmals durch Waffenstillstände und Verhandlungen unterbrochen wurde, hat viele Menschenleben gekostet, auf Seiten der Armee und auf Seiten der zaiditischen Kämpfer. Er hat auch grosse Zerstörungen verursacht, die zu Strömen von Obdachlosen führten. Er spielte sich im Norden des Landes ab, und blieb der Berichterstattung zu grossen Teilen verborgen, weil die Armee die Zugänge nach der Provinz von Saada kontrollierte und keine unabhängigen Berichterstatter zuliess.
Nutzniesser der Erhebung gegen den Präsidenten
Nach ihren eigenen Angaben war die Armee stets siegreich und hatte die Aufständischen jedesmal niedergeschlagen, wenn sie eine Meldung veröffentlichte - nur, dass die Huthi-Bewegung immer fortdauerte und sich mit den Jahren weiter ausdehnte .
Etwa 30 Prozent der Jemeniten gehören dem zaiditischen Glaubenszweig an. Als 2011 die Massendemonstrationen in Sanaa gegen das Regime des Präsidenten Ali Saleh Abdullah ausbrachen und andauerten, konnten die Huthi, die an den Proteten beteiligt waren, ihre politische Position verbessern. Die Armee war nicht mehr in der Lage, den nördlichen Krieg mit der gleichen Energie und Rücksichtslosigkeit wie bisher fortzuführen. Sie war mit anderen Fragen beschäftigt und ab März 2011 in zwei Teile gespalten, die für und gegen den Präsidenten standen.
Ein eigenes Herrschaftsgebiet
Im Verlauf der folgenden Jahre, in denen das Ringen um die Herrschaft des Präsidenten andauerte, konnten die Huthi die nördliche Hauptstadt Saada zum Zentrum eines eigenen Herrschaftsbereiches machen und ihre Macht über Teile der Nachbarprovinzen östlich nach Jawf und westlich nach Hajja ausdehnen. Ihre Grenzen sollen zur Zeit das Rote Meer erreicht haben.
Die Huthi nahmen Teil an der Nationalen Dialogkonferenz, die sich über das ganze Jahr 2013 erstreckte und die Grundlagen schaffen sollte für ein neues gerechteres Regime in Jemen. Im Verlauf des Kongresses wurden zwei der Vertreter der Huthis von ihren Feinden in den Strassen von Sanaa ermordet. Der Kongress beschloss neben Hunderten von anderen Reformvorschlägen auch eine föderale Aufteilung Jemens in sechs föderale Staaten. Was geschah, um die Wünsche der südlichen Separatisten oder Föderalisten zu berücksichtigen, die einen eigenen Staat in Südjemen fordern und auch um auf die Ansprüche der Huthis auf Selbstregierung im Norden einzugehen.
Streit über die geplante Föderation
Doch beide Bewegungen waren und sind nicht einverstanden mit der Art, in der die Auftrennung in die sechs geplanten föderalen Staaten festgelegt wurde. Dies geschah nämlich so, dass die nördliche und die südliche Opposition nicht die ganzen Gebiete zugesagt erhielten, die ihre Bewegungen beanspruchen, sondern nur Teile davon, während andere Teile benachbarten Föderalstaaten unter den sechs geplanten zugeschlagen wurden.
Die Huthi erklärten, das ihrem geplanten Staat zugewiesene Gebiet, nur gerade die Provinz Saada, sei das ärmste von allen, die es in Jemen gebe. Ihrer Ansicht nach sollte ihr Staat alle Gebiete umfassen, in denen die Zaiditen die Mehrheit inne haben. Das wäre ein Staat, der sich von Saada bis nach Sanaa erstreckt und der östlich und westlich Teile der Nachbarprovinzen umfasste, bis hinab an die Rotmeerküste und hinüber bis in die Wüsten des Jawf .
Der Süden fordert einen grösseren Staat
Auch die südlichen Separatisten sind mit dem ihnen zugesprochen Gebiet von nur gerade der Aden-Provinz unzufrieden. Sie beanspruchen viel mehr, nämlich alle Gebiete, die einst zum Südjemenitischen Staat gehörten. Der Unterschied liegt im Falle der Zaiditen darin, dass es ihnen gelungen ist, die von ihnen beanspruchten Landesteile zu grossen Teilen militärisch einzunehmen und zu halten, während die südliche Opposition sich bisher mit Protesten und Demonstrationen begnügen musste.
Saudi Arabien gegen Iran im Hintergrund
Wie immer in der arabischen Welt, wenn innere Kriege ausbrechen, ist auch der Huthi Krieg teilweise ein Stellvertreterkrieg geworden. Die saudische Regierung steht den Huthi feindlich gegenüber, weil sie sie in den Zusammenhang ihres islamweiten Kampfes gegen den Schiismus stellt. Sie hilft daher der Regierung von Sanaa, und sie hat die jementische Armee unterstützt, zum Teil durch die saudische Luftwaffe, als sie im Kampf mit den Huthi stand. Die Regierung von Sanaa und auch Riad klagen die Huthi an, sie erhielten Waffenhilfe von Teheran. Die Huthi verneinen dies. Doch es ist wahrscheinlich, dass in der Tat Waffenlieferungen aus Teheran stattfanden.
Besondere Feinde der Huthi sind die Anhänger der Islah Bewegung. In Islah geben sunnitische Aktivisten den Ton an, sie stehen Saudi Arabien nahe, und die Huthi gelten ihnen als "unislamisch". Islah ist zur Zeit die eine von zwei Parteien aus denen die jemenitische Regierung paritätisch zusammengesetzt ist. Die andere ist jene des abgesetzten Staatschefs Ali Abdullah Saleh, die sich "Volkskongress" nennt.
Militärische und zivile Gegner der Huthis
Die grossen politischen Parteien in Jemen haben immer Verbündete unter den Stämmen, die mit ihnen zusammenwirken. Islah und die mit Islah verbündeten Stämme haben gegen die Huthi gekämpft, auch in Zeiten, wie der gegenwärtigen, in denen die Armee sich aus dem Huthi Krieg soweit wie möglich fern hält. Im vergangenen Juli und August haben die Huthi einen Vorstoss nach Süden unternommen, Richtung Sanaa.
Sie haben dabei nach vielen Kämpfen und mehreren Waffenstllständen den Widerstand von Islah und seiner verbündeten Stämme des Jawf überwunden und sich der Stadt Amran bemächtigt , die ungefähr halbwegs zwischen Saada und Sanaa liegt.Dabei haben sie offenbar auch schwere Waffen der Armee erbeutet, die in Amran gelagert waren. Es gibt Berichte nach denen Huthi Kämpfer auch in Syrien eingesetzt würden, dies natürlich auf Seiten der Asad Regierung und ihrer iranischen Helfer.
Auf der Welle des Volkszorns
Die Huthis haben im August den Volkszorn ausgenützt, der ausbrach, als die Regierung von Sanaa im Juli beschloss, die Subventionen für Treibstoff zu reduzieren und dadurch den Preis von Benzin um 60 Prozent, den von Diesel Öl um 90 Prozent ansteigen liess.
Dies trifft am schwersten die armen Bevölkerungsteile, das heisst jene Hälfte der jemenitischen Bevölkerung von 25 Millionen, die unter oder knapp über der Armutsgrenze von 2 Dollar im Tag leben muss, weil die Lebensmittelpreise durch die höheren Transportkosten anstiegen. Auch die Landwirtschaft ist betroffen, weil grosse Teile der Pflanzungen mit der Hilfe von Dieselpumpen bewässert werden.
Das Sicherheitsnetz versagte
Nach den Ankündigungen der Regierung sollten die staatlichen Unterstützungen, die an Bedürftige gehen, ausgebaut und auf eine weitere halbe Million von Unterstützungsempfängern ausgedehnt werden. Die Unterstützung, die ausbezahlt werden sollte betrug 60 Dollar im Vierteljahr! Doch die Gelder dazu fehlen. Das Finanzministerium überwies sie nicht an die Behörde, die die Auszahlungen vornehmen sollte, und die bisherigen Unterstützungsgelder wurden seit einem halben Jahr nicht mehr oder nur in seltenen Fällen ausgezahlt, von den versprochenen neuen gar nicht zu reden.
Demonstrationen geschützt von Bewaffneten
Die Huthis nützten die Lage aus und riefen das Volk von Sanaa, sowie anderer Städte, zu Demonstrationen gegen die Regierung auf. Sie forderten die Rückgängigmachung der Subventionsstreichungen und den Rücktritt der Regierung. Ihre Demonstrationen sind nicht so leicht mit Gewalt niederzuschagen, wie die unbewaffneten Massenproteste gegen den früheren Präsidenten es waren, denn die Huthis sind bewaffnet. Sie haben mehrere Lager für ihre Kämpfer und Anhänger in Sanaa sebst und am Rande der Hauptstadt aufgebaut, und sie rufen die Bevölkerung zu Demonstrationen und zum "zivilen Ungehorsam" auf.
Dies soll solange dauern, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Es hat in Sanaa am vergangenen Freitag auch Gegendemonstrationen gegeben, die mit der Forderung "bewahrt die Einheit Jemens" auf die Strassen zogen. Hinter ihnen dürften "Islah" und die Regierung stehen. Doch ihnen fehlt die Motivierung durch die für Millionen im Zentrum stehende Frage der sich für ihre Mittel unerträglich verteuernden Lebenskosten.
Kompromissvorschlag des Präsidenten
Der amtierende Präsident Abdrabbo Mansur al-Hadi hat versucht, die Huthi zu besänftigen. Er formulierte einen Plan, nach dem er gewillt sei, die gegenwärtige Regierung zu entlassen und eine neue zu bilden, an der alle Parteiungen des Landes beteiligt sein sollen, auch die Huthi. Nach dem Plan behält sich der Präsident allerdings vor, die wichtigsten Minister der neuen Regierung selbst zu ernennen, den Ministerpräsidenten sowie die Minister für Verteidigung, innere Sicherheit, Aussenbeziehungen und Finanzen.
Der Vorschlag enthält auch ein Versprechen, den gegenwärtigen Benzinpreis um 30 Prozent zu senken.Was ihn allerdings nicht auf die Ebene der Preise zurückführen würde, die vor der Subventionsstreichung galten.
Nicht genug für die Huthis
Aus den ersten Reaktionen der Sprecher der Huthi geht hervor, dass sie diesen Vorschlag nicht annehmen wollen. Sie bestehen auf der vollen Erfüllung ihrer ursprünglichen Forderungen, und sie fügen eher vague hinzu, der Willen des Volkes müsse durchgesetzt werden.
Die UNO, unter deren Leitung der vergangene einjährige Nationale Dialogkongress durchgeführt worden war, hat die Unruhestiftung der Huthi scharf verurteilt. Sie mahnt, dass Jemen seinen Übergang zu einem demokratischen Regime, den der Dialog eigeleitet hatte, nicht verfehlen dürfe. Hinter dem Dialog stehen auch die Golfstaaten und Saudi Arabien, die ihn finanzierten und die Jemen bisher soweit unterstützt haben, dass der Staat fortleben konnte.
Ein neuer Krieg ist keine Option
Ein Krieg zwischen den Huthis und der jemenitischen Armee würde wahrscheinlich blutig und zerstörerisch werden, aber wie alle früheren Feldzüge gegen die Huthi keinen endgültigen Sieg der Streitkräfte bringen.
Die Armee und die Sicherheitskräfte stehen nach wie vor in einem blutigen Kleinkrieg mit AQAP, dem al-Qaeda Zweig auf der Arabischen Halbinsel. Auch in diesem Krieg ist kein endültiger Sieg der Armee abzusehen, trotz der Hilfe durch die amerikanischen Drohnen.
Die politischen Köpfe der Separationsbewegung im Süden verfolgen die Lage genau. Wenn es zu einem Dauerkrieg im jemenitischen Norden käme, wäre dies möglicherweise für sie der Moment, um ihre Unabhängigkeit im Süden auszurufen.
Der Fahrplan der Uno gefährdet
Die Uno möchte natürlich die politischen Gewinne bewahren, die aus dem erfolgreichen Abschluss der Dialogkonferenz hervorgingen, und sie hofft auf ihnen aufzubauen. Ihr Fahrplan sieht vor, bis Ende 2015 sei eine Verfassung niederzulegen auf der Basis der über 1000 Beschlüsse des Dialogs. Im gleichen Jahr sollten darauf auch Wahlen stattfinden. Ein Huthi- Krieg würde all diesen Plänen ein Ende bereiten.
Dies dürfte der Grund sein, weshalb der Präsident sich kompromissbereit zeigte. Doch auch die Huthis kennen die Zeichen der Zeit, und sie suchen ihre sich neu ergebende Lage im Zentrum der jemenitischen Politik zu nützen, um ihre Anliegen zu fördern.
Verfolgt der Präsident seine eigenen Ziele?
Ob der Präsident seinerseits nun den angekündigten Plan durchführen wird, oder ob er ihn angesichts seiner Ablehnung durch die Huthis wieder aufgeben wird, bleibt abzuwarten. Es ist denkbar, dass er seinerseits die Gelegenhit wahrnemen will, um eine Regierung zu ernennen, deren wichtigste Minister durch ihn bestimmt werden. Dies war bisher nicht der Fall.
Die gegenwärtige Regierung besteht aus Vertretern der beiden Hauptparteien des Landes. Sie sind politische Rivalen und blockieren einander oftmals. Der Präsident sucht seit dem Ende der Dialogkonferenz seine eigene Macht gegenüber den Parteipolitikern zu steigern.
Verlockung der zaiditischen Vergangenheit
Die Huthi-Bewegung ist stark gewachsen, weil sie wie andere religiös verbrämte politische Ideologien der islamischen Welt dem immer weniger zufriedenstellenden "modernen" Nationalstaat ein Gegenmodell entgegenstellt, das sich auf die eigene und islamische Vergangenheit beruft und verspricht, diese wieder herbeizuführen. Sie glauben und verkünden, dies werde geschehen, wenn die Jemeniten sich nur genau an die von der Bewegung selbst ausgelegten und als "zaiditisch islamisch" angesprochenen Regeln und Vorschriften hielten.