Den Ständerat „aufmischen“, Licht in die „Dunkelkammer“ bringen, die Dominanz von Freisinnigen und Christlichdemokraten aufbrechen: Das war eines der Ziele, die sich die Schweizerische Volkspartei für diesen Herbst gesetzt hatte. Und weil ihr Ernst war damit, warf sie ihr Spitzenpersonal in den Kampf: Parteipräsident Toni Brunner, Chefstratege Christoph Blocher, Fraktionschef Baader, den Aargauer Fuhrunternehmer Giezendanner, im Welschland die in den Bundesrat strebenden Jean-François Rime und Guy Parmelin.
Baader, Rime und Parmelin blieben bereits am grossen Wahlwochenende vom 23. Oktober auf der Strecke, den Parteivize und bisherigen Berner Standesvertreter Adrian Amstutz wählte das Berner Volk vor einer Woche ab. Und mit dem heutigen 1. Advent nahte, wie sich nun zeigt, ein weiterer schwarzer Sonntag für die Partei.
Die Ära Blocher klingt aus
Eigentlich hätte Parteipräsident Toni Brunner den Sprung ins Stöckli schaffen müssen. Die Ausgangslage für ihn war ausserordentlich günstig, weil die traditionsreiche, im konservativen Kanton St. Gallen stark verankerte CVP mit einem Leichtgewicht ins Rennen stieg. Dass der Präsident der wählerstärksten Partei nun vom Sozialdemokraten und Gewerkschaftschef Paul Rechsteiner geschlagen wurde, kommt einer Sensation gleich. Keine Sensation ist dagegen die Niederlage – seine zweite in einem Ständeratswahlkampf – von Christoph Blocher in Zürich. Sensationell ist höchstens ihr Ausmass. Auch in ländlichen Bezirken lag er so deutlich hinter dem Zweigespann Gutzwiller (FDP) und Diener (GLP), dass man sagen kann: Die Ära des machtbewussten, die Innenpolitik sei bald zwei Jahrzehnten dominierenden Milliardärs ist am Ausklingen. Auch im Kanton Aargau ging die SVP-Wahlstrategie nicht auf. Dort drängte die Partei den Bisherigen Maximilian Reimann, seinen Stuhl einer jüngeren, dynamischen Kraft zu überlassen. Ulrich Giezendanner, zwar auch nicht mehr der jüngste, hätte es richten sollen. Er tat es nicht, er unterlag – mit dem Ergebnis, dass nun erstmals zwei Frauen - die junge Sozialdemokratin Pascale Bruderer Wyss und die freisinnige und in ihren Urteilen erfreulich unabhängige Christine Egerszegi - den eher konservativen Kanton im Ständerat vertreten. Schliesslich blieb auch in Uri der SVP-Angriff chancenlos.
So hat sich der gross angekündigte Sturm in einen vergleichsweise harmlosen Föhn verwandelt, und der blies im kleinen Lande Schwyz. Nur dort gelang der SVP der grosse Coup. Peter Föhn, der nach vielen Nationalratsjahren der Politik eigentlich den Rücken kehren wollte, trat – gewissermassen der Not (der Partei) gehorchend und weniger dem eigenen Trieb, erst im zweiten Wahlgang für den Ständerat an und verdrängte CVP-Mann Bruno Frick, dem erstens Sesselkleberei und zweitens undurchsichtiges Taktieren bei der Flugzeugbeschaffung vorgeworfen wurden.
Unterm Strich aber ist die Bilanz für das rechtskonservative Lager äusserst ernüchternd. Bisher verfügte die SVP über 7 von 46 Ständeratssitzen. Künftig werden es noch 5 sein. Bei den Wahlen in den Nationalrat reduzierte sich ihr Wähleranteil ebenfalls um 2,3 auf 26,6 Prozent und die Zahl ihrer Mandate um 7 auf deren 55.
Was sie kann und was nicht
So markiert der Herbst 2011 den Zeitpunkt, in dem die SVP ihren Zenit überschritten hat. Die andern Parteien, lange fixiert auf Christoph Blocher, auf seine Ränke, seine Unter- und Hinterzüge, werden sich, so ist jedenfalls zu hoffen, aus dem eigentümlichen Bann lösen und den ewigen Drohgebärden des „starken Mannes“, der nun Schwächen offenbart, souveräner die Stirn bieten.
Nach wie vor bleibt die SVP aber die stärkste Partei. Ihre Stärke liegt darin, dass sie – dank ihrem Apparat, ihren Finanzen, ihrem „Riecher“ – auf Probleme und Erscheinungen aufmerksam macht, die zahlreiche Menschen in diesem Land beschäftigen. W i e sie es macht, ist in der Regel wenig sympathisch. D a s s sie es macht, ist so schlecht auch wieder nicht. Die Finanzlage der Invalidenversicherung etwa wäre vielleicht noch desaströser, wenn die Partei nicht den Finger auf ein paar wunde Punkte gelegt hätte. Und weshalb soll nicht über die Zuwanderung oder das Asylwesen diskutiert werden, wenn Ängste da sind oder Missbräuche vorkommen?
Die Schwäche der Partei aber äussert sich darin, dass ihr an vernünftigen Lösungen nicht gelegen ist. Ja oft hat man gar den Eindruck, dass sie an Missständen, seien sie echt oder nur vermeintlich, geradezu interessiert ist, weil sie sich dann umso mehr profilieren kann. Weil dann für die grossen Tenöre, die Haudegen, die Polterer, die in ihren Reihen nun jahrelang das Sagen hatten, die grosse Stunde schlägt. Exakt aber diese Figuren haben in den Ständeratswahlen, die nach dem Majorzprinzip durchgeführt werden, nicht reüssiert. Mit zum Teil frappant deutlichen Mehrheiten machten die Wählerinnen und Wähler klar: Euch wollen wir nicht in der Kleinen Kammer (die man auch „chambre de réflexion“ nennt).
Was für diese gilt, gilt auch für den Bundesrat, der am 14. Dezember neu bestellt wird. Hardliner à la Baader, Blocher oder Brunner haben keine Chance, den zweiten Sitz, der der SVP rechnerisch durchaus zusteht, zu besetzen. Andere Schwergewichte wie die drei Thurgauer Eberle, Spuhler oder Walter, die konstruktiver Zusammenarbeit fähig wären, wollen nicht. Was bleibt, ist eine zweite Garnitur von Kandidaten, die sich von ihrem Format her nicht unbedingt aufdrängen.
Die Partei, die lange von Erfolg zu Erfolg eilte, wird nach den Misserfolgen dieses Herbstes erst einmal festlegen müssen, was sie eigentlich will.